Zu Hause

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Ich sitze auf meinem Bett. Wie fast den ganzen Nachmittag, wenn ich nicht gerade Klavier spiele, jongliere oder spazieren gehe. Oder natürlich, wenn ich Chor oder Gerätturnen habe. Meine Ohren sind von Kopfhörern bedeckt, doch sie sind mir etwas zu klein. Ich hätte Größere in einem anderen Zimmer liegen, bin jedoch zu faul, sie zu holen. "Story of my live" dröhnt in meine Ohren.
"Willst du einen Orangensaft trinken?", höre ich meine Mama rufen.
"Nein danke!", antworte ich. Ich schreibe. Ich bin konzentriert. Jetzt gehe ich sicher nicht hinauf um einen Orangensaft zu trinken.
Wie ich schon erzählt habe, sitze ich in der Schule gerade neben Max. Und was ich euch wahrscheinlich auch erzählt habe, ist, dass ich versuche, meine Freundschaft mit ihm wieder aufzubauen. Gestern war er nicht in der Schule und ich habe schon befürchtet, er würde heute auch nicht kommen. Doch fünf Minuten vor der Schulglocke betrat er das Klassenzimmer. Ich schenkte ihm ein breites Lächeln und nahm meine Mathesachen von seiner Hälfte des Tisches, nur um sie auf Vronis Platz zu legen.
"Hallo!", sagte ich, "Warst du gestern krank?"
Max grinste mich an. "Ehm... War gestern irgendetwas Wichtiges in der Schule?"
Ich runzelte meine Stirn. "Nein... Warum?"
"Okay gut. Ich habe nämlich verschlafen..."
"Und dann hast du beschlossen, gar nicht in die Schule zu kommen?", unterbrach ich ihn kopfschüttelnd.
"Ehm... so ungefähr."
Ich holte tief Luft. "Oookay..."
In der ersten Stunde hatten wir Mathe. Ich versuchte, zum Teil erfolgreich, zum Teil erfolglos, Max den Oberflächeninhalt des Drehzylinders zu erklären.
Als es schließlich zur Pause läutete, sah ich, wie Max seine Deutschsachen aus der Schultasche holte.
"Ehm...", bemerkte ich, "Wir haben Sport."
Ungläubig sah Max mich an. "Echt?"
Ich nickte.
"Oh, ich hasse Sport.", beklagte sich Max, "Die Jungs aus der anderen Klasse, mit denen wir Sport haben, sind alle so blöd. Es gibt einen, der heißt Levin, und der..."
"Habt ihr mit der E oder der D Sport?", unterbrach ich ihn, "Die E-Mädchen sind nämlich auch alle sehr dumm. Die können nicht mitturnen, weil sonst ja ihre schöne Schminke verschmiert!", äffte ich sie nach.
Max grinste mich an und begutachtete mein Gesicht. "Schminkst du dich?", fragte er.
"Ich? Nein. Du etwa?", entgegne ich.
"Ernsthaft, Paula? Das ist eine blöde Frage.", erwiderter er.
"Von dir auch.", entgegnete ich schulterzuckend.
Nicht, dass ich etwas dagegen habe, wenn Mädchen sich schminken. Doch warum sollte ich das auch machen? Ich bin zufrieden damit, wie ich aussehe. Dafür stehe ich nicht eine Stunde in der Früh im Badezimmer. Eigentlich achte ich gar nicht so wirklich auf mein Aussehen. Ich meine, natürlich ziehe ich etwas an, was mir gefällt. Das macht doch wohl jeder. Doch wieso soll ich mein natürliches Aussehen... also quasi meine Haut verändern? Und warum machen das nur Mädchen und Frauen und keine Männer? Dieses Prinzip ist mir schon einmal unsympathisch.
Ich bin wohl ein sehr untypisches Mädchen. Ich kleide mich, wie es mir gefällt, also mache nicht bei Modetrends mit. Ich ziehe keine knallweißen Sneakers an. Ehrlich gesagt sind die ja gar nicht so schlimm. Aber bei so etwas bin ich dann schon eher so, dass ich aus Prinzip andere Schuhe anziehe. Weil ich eben nicht aussehen möchte, wie alle anderen auch.
Wie eben erwähnt schminke ich mich nicht, ich habe auch keine Skin-Care-Routine, was auch immer das genau sein soll. Ich meine, in der Früh wasche ich mein Gesicht und creme es mit einer bestimmten Creme ein, die ich ärztlich verschrieben bekommen habe, da ich eine genetische Veranlagung für eeehm... mir ist das Wort entfallen... komme hier her zurück wenn es mir einfällt.... habe. Neurodermitis. Ich habe eine genetische Veranlagerung für Neurodermitis.
Tja, und was sollte ich denn sonst noch für meine Haut tun?
Ich weiß nicht, was ich noch aufzählen sollte. Jedenfalls unterscheide ich mich wohl um einiges von den anderen Mädchen, die ich kenne... bis auf Vroni natürlich. Vroni ist einfach die Beste.
Sie hat zwar ein Smartphone, verwendet es aber so gut wie gar nicht. Also... ich meine wirklich. Sie dreht es vielleicht jede 2. Woche kurz auf und beantwortet die wichtigsten Nachrichten... ja. Das kann natürlich auch manchmal nervig sein, wenn man etwas dringend von ihr braucht, aber insgesamt finde ich es einfach nur cool von ihr.
Außerdem trägt sie uralte Kleidung. Leggins, die riesige Löcher haben. T-Shirts, die sie schon vor vier Jahren hatte, als wir uns kennengelernt haben (oooookay, mache ich zum Teil auch). Sie hat Schuhe, wo sich bereits die Schuhbänder auflösen. Das ist einfach so ökologisch... ich liebe sie dafür.
Vroni schminkt sich natürlich auch nicht, hat auch keine Skin-Care-Rountine.
Dafür hat sie eeeewig lange Haare!

Okay, jetzt muss ich Hausaufgaben machen. Bis bald!

An den Grenzen der RealitätWhere stories live. Discover now