Im Auge des Sturms I

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Der Segelmeister zeigte sich erstaunt und erschrocken zugleich: »Godverdomme, vor ein paar Tagen schienen die Leinen noch in Ordnung zu sein. Ich kümmere mich sofort darum.«

Lorena beschloss, sich das gut zu merken. Auf einem Schiff war es wichtig, stets alles im Blick zu behalten, es sei denn, man war lebensmüde. Was heute noch im guten Zustand war, konnte sich schon morgen als unbrauchbar erweisen.

Joris hatte sie stumm angehört. Als sie die Lufttrübung und die glatte See erwähnte, verdunkelte sich sein Gesicht. »Es ist zwar keine Hurrikanzeit, dennoch kann sich das Wetter in der Karibik schnell ändern.« Während er überlegte, hob und senkte sich plötzlich das Schiff. Nur einmal, doch Joris machte große Augen und sprang auf. »Das reicht mir! Ich mache beim Schipper Meldung. Sicher ist sicher.« Und schon war er zur Tür hinaus.

Lorenas Herz klopfte. Sein Verhalten bestätigte ihr, dass es richtig gewesen war, sich an ihn zu wenden. Wie würde sich Bakker entscheiden?

Es dauerte keine halbe Stunde. Kaum war die Schiffsglocke nach einem Schlag verklungen, erschien Thorsson auf dem Achterdeck, rief die Boots- und Steuerleute zu sich und nach kurzer Beratung ergingen die Befehle in rascher Folge. Damit hatte Lorena nicht gerechnet. Schon jetzt ergriff man alle Vorsichtsmaßnahmen, obwohl es immer noch keine Anzeichen für ein bevorstehendes Unwetter gab? Wie zuvor zeigte das türkisfarbene Meer kleine, sanfte Wellen, und außer einem milchigen Dunst am Horizont war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Offenbar wollte Bakker so kurz vor dem Ziel kein Risiko eingehen. Was ihr allerdings zu denken gab, war das Verhalten der älteren Seeleute. Ohne Fragen zu stellen oder Verwunderung zu zeigen, arbeiteten sie ruhig und viel schneller als sonst. Dies war das Signal für die anderen, ebenfalls kräftig mit anzupacken.

Alles fürs Schiff!

Diese Reaktion vertrieb ihre letzten Zweifel, und sie half überall mit - sei es beim Festzurren der Taue und Wanten, beim Verstauen loser Gegenstände unter Deck oder beim Vertäuen der Schiffsladung und Kanonen. Insbesondere galt es, sämtliche Luken und Schotten zu verriegeln und das Bilgenwasser von Unrat zu säubern, um eine Verstopfung der Pumpen zu verhindern. Zuletzt spannte man die Rettungsleinen quer über das Deck. Die dringendste Maßnahme, nämlich die Segel zu reduzieren, um die Manövrierfähigkeit des Schiffes zu erhalten, konnte jedoch nicht durchgeführt werden. Hoch im Rigg waren der Segelmeister und seine Helfer noch immer damit beschäftigt, die schadhaften Taue zu ersetzen. Lorena war nicht die Einzige, die besorgt nach oben blickte. Würden die Segelleute es rechtzeitig schaffen? Selbst von unten konnte man sehen, wie hart sie arbeiteten, fertig zu werden.

Aber sie konnte nicht länger verweilen und abwarten. Sie musste einen sicheren Platz für Fenja suchen. Zusammen mit Roluf begab sie sich in den Proviantraum, um den Hühnerkäfig seefest zu verstauen. Doch Fenjas Verhalten gab ihr Rätsel auf: das sonst so quicklebendige Huhn hockte sich still hin, zog den Kopf ein und gab keinen Laut von sich, während ihr Käfig rundum mit Decken ausgepolstert wurde. Jetzt war Lorena überzeugt: das Unwetter war nicht mehr fern. Fenja war Stürme gewohnt, sie kannte die Anzeichen. Auch ihr eigener Instinkt schlug Alarm.

Als sie wieder oben an Deck angelangt war, flog sofort ihr Blick zum Himmel: er hatte sich halb zugezogen, war aber nicht trübe oder grau, sondern fast beängstigend hell. Die Sonne strahlte weiß. Das Wasser schimmerte jetzt dunkelgrün. Plötzlich hob sich das Deck, sie taumelte ... eine weitere Dünung glitt unter dem Schiff hindurch, viel höher als die andere, der Wind sprang um.

Dem Segelmeister blieb gerade noch genug Zeit, die neue Reffleine einzufädeln, als die ersten Böen kamen. Er klammerte sich in die Webleinen fest und schrie: »Segel klar! Hol über -« Seine weiteren Worte gingen im wilden Flattern und Knattern der Segel unter. Aber die Mannschaft verstand auch so. Sie stürmten zu den Nagelbänken und griffen nach den Tauen, noch bevor Cornelis »Klar zum Reffen!« rufen konnte. Die anderen enterten bereits zu den Rahen hinauf. Mit geübten Griffen bändigten sie die Segel, kürzten und banden sie fest, zogen die Seile straff. Es war keine Minute zu früh. Alle Segel hielten dem Winddruck stand!

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now