🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*

Der neue Navigator

Diesmal war es Schwerstarbeit. Mit vier Helfern war Lorena bereits seit einer Stunde im Einsatz,  jeder hatte seinen eigenen Bereich.  Die aufgewühlte See hatte alles Mögliche auf das Deck geworfen: kleine Fische und Schalentiere, sogar Wrackteile fremder Schiffe, die wahrscheinlich im selben Sturm gekentert waren. Die Planken waren zwar repariert worden, befanden sich aber in einem erbärmlichen Zustand. Unzählige Wellen hatten reichlich Sand vom Meeresboden auf das Deck gespült und eine zähe Schicht hinterlassen, zusätzlich waren die Bohlen von Salzablagerungen verkrustet. Beharrlich arbeitete sie sich vorwärts; als endlich die letzten Spuren beseitigt waren, glühte ihr Scheuerstein beinahe. Doch damit war sie noch nicht fertig: in vielen Ritzen hatten sich kleine Stücke von Korallen und Muschelschalen festgesetzt, die komplett entfernt werden mussten. Geduldig pulte sie die Rückstände einzeln heraus und dichtete die Spalten sorgfältig mit Werg ab. Dies ging ihr leicht von der Hand, es war eine Arbeit, die sie mittlerweile sofort erledigte, sobald sie auch nur einen kleinen Riss im Boden entdeckte. Sie fühlte sich verantwortlich für die Zeelandia, dieses treue Schiff, das sie heldenhaft gegen den Orkan und die gefräßigen Wellen verteidigt hatte.

Die Schiffsglocke schlug vier Doppelschläge – das bedeutete Wachwechsel! Es kam zur rechten Zeit. Ihre Arbeit war getan. Sie räumte Pütz, Kalfateisen und das Gesangbuch, den Scheuerstein, zurück in die Kiste und meldete sich beim Quartiermeister ab. Der Sturm hatte ihm übel mitgespielt: Ein losgerissenes Tau hatte sein Gesicht wie eine Peitsche getroffen und ihm eine tiefe Schramme beigebracht. Sie blutete immer noch. Oder wieder.

»Wart Ihr wegen Eurer Wunde schon beim Shipdoctor?«, wagte sie sich teilnahmsvoll zu erkundigen und hoffte, dass er sie nicht gleich anblaffte. Trotz seiner Ruppigkeit war er nämlich ein feiner Kerl und es tat ihr leid, ihn so zugerichtet zu sehen. Eine Verletzung wie diese konnte sich rasch verschlimmern.

Doch er nahm es mit Humor. »Das mach ich später. Ist doch nur ein Schmiss wie von Cornelis' Katze! Aber schön, dass ich meine Zähne behalten durfte.« Er lachte.

Sie stimmte in sein Lachen ein. »Ihr habt recht, das ist viel wichtiger. Und dass man das Leben behalten hat.«

»Genau. Bis dann.« Er nickte ihr zum Abschied zu.

»Aye, aye«, gab sie zurück und durfte nun gehen.

Sie wusste bereits, wie sie ihre Freiwache verbringen wollte. Es war Zeit für einen Besuch bei Fenja. Sie hatte den Sturm mit viel Glück überstanden, denn beinahe wäre sie in ihrem Käfig zerquetscht worden. Durch den Aufprall der Wellen waren die fest vertäuten Kisten ins Rutschen geraten und hatten, während das Schiff von der tobenden See hin und her geworfen wurde, die Seitenwände immer weiter eingedrückt. Doch die um den Käfig gestapelten Decken hatten Schlimmeres verhindert. Nun brauchte Fenja ein paar Leckerbissen zur Stärkung.

Auf dem Weg zur Großluke spähte Lorena zum Achterdeck hinauf. Dort hatte Sjard den Platz des Rudergängers eingenommen, neben ihm stand Janko. Auch für die beiden Freunde hatte der Sturm ein Nachspiel gehabt. Als Anerkennung für seine Verdienste sollte Janko zum Untersteuermann ausbildet werden, und Sjard, der wegen seines Rippenbruchs vorerst keine normale Seemannsarbeit verrichten konnte, als Ersatz gleich mit.

Als ob er ihren Blick gespürt hätte, drehte Janko den Kopf und sah zu ihr herunter. »Komm zu uns!«, rief er und winkte.

Sie zögerte. Durfte sie das so einfach? In diesem Bereich durften sich außer dem Schipper nur die höheren Ränge und die Steuerleute aufhalten, es sei denn, man wurde gerufen. Schließlich schlug sie alle Bedenken in den Wind und setzte sich in Bewegung. Vielleicht gab es neuerdings Ausnahmen. Sie stieg die Treppe hoch und betrat zum ersten Mal das Achterdeck.

Janko lächelte ihr zu. »Komm ruhig näher, nur keine Scheu! Unser Ausbilder, der zweite Steuermann Johan Mossel, ist beim Schipper; bis er zurückkommt, kannst du dich hier umsehen.«