07| Ein Nickerchen

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Snow
Ricky Montgomery

Gwaine

»Gwaine!« Ich schreckte hoch, als das Donnern von Büchern auf der Tischplatte mich unsanft aus meinem Schlaf riss. Ich blinzelte verwirrt, in den dunklen Raum, »Hm?« Der Schlaf klebte in meinen Augen, doch ich erkannte wie Vivian sich vor meinem Tisch aufgebaut hatte, ihre Hände anklagend in den Hüften. Ich sah mich verwirrt um. Meine Hefte lagen noch offen vor mir, meine Bücher waren unverändert, nur die Bibliothek war leer. »Dein Ernst?« fragte sie, als sie sich einen Stuhl heranzog, um sich mit gegenüber zu setzen. Ich fuhr mir immer noch träge über mein Kinn, streckte meine steifen Glieder. »Wie lange bist du schon hier?« forderte sie zu wissen.

Ich musste beim Lernen eingeschlafen zu sein. Ein Blick nach draußen verriet mir, dass es mittlerweile schon dunkel war. Doch das hatte im Dezember nichts zu sagen. Dicke Schneeflocken beleuchtet von den einzelnen Straßenlaternen, zeichneten ein deutliches Bild von der Dauer meiner unfreiwilligen Pause. »Nicht lange.« murmelte ich und fuhr mir über den versteiften Nacken. Die Bibliothek war über das Semester hinweg, wie mein zweites Zuhause gewesen und jetzt wo wir kurz vor den Winterferien standen, war es endlich leer genug für meinen Geschmack. Ich unterdrückte ein Gähnen und klappte ein paar Bücher auf. Ich hatte gute Zeit mit diesem Nickerchen verschwendet, Zeit in denen ich Finanzmodelle hätte lernen sollen. Viv klappte sie wieder zu. Ich sah auf und merkte dass sie mich stumm musterte. Ich hielt inne, »Was?«

»Warum bist du überhaupt noch hier? Du hasst Menschen.« Ich schnaubte. »Ich hasse Menschen nicht. Nur ihre Gegenwart.« Vivian ignorierte mich, stürzte ihre Ellbogen auf die Tischplatte, »Ist es wegen diesem Charlie?« Erschöpft rieb ich mir die Augen. Es würde nicht gut enden, wenn wir zu lange an einem Ort waren - und dieser Ort war meistens mein Zimmer. Und ich steckte mitten in den Prüfungen. Ich hatte keine Zeit für kindische Streitereien. Ich hatte im letzten Semester schon genug Nerven an ihn verloren. Aber das musste sie nicht wissen. »Ich nehme meine Bildung ernst. Das hat nichts mit ihm zu tun.« Die Klausurenphase war bald vorbei. Nur noch ein paar Prüfungen und ich konnte wieder schlafen.

Vivian fuhr sich die kurzen braunen Haare hinter die Ohren, ließ ihre Finger über einen der Buchrücken fahren, »Weißt du, ich bin seit Jahren genauso gut wie du, wenn nicht besser und du hast dich nie daran gestört. Aber jetzt wo irgend ein Typ anfängt dir deinen Streber-Thron wegzunehmen, schiebst du Panik?« Ich legte meine Hände an meine Wangen. Sah ich etwa panisch aus? Ich war zu müde um noch meine Gesichtszüge im Zaum zu halten. Viv hob die Augenbrauen, »Wär's mir nicht so absolut egal, wär ich fast schon beleidigt.« Ich musste Lächeln. Es würde sie bestimmt freuen, würde ich ihr erzählen, wie sehr ich, in der fünften Klasse getan hatte, um im Debattier-Team nicht gegen sie zu verlieren. Doch mittlerweile ... »Du bist keine Konkurrenz für mich Viv.« Sie war meine Freundin. Mein einzige. Als hätte ich sie beleidigt, flickte sie mir gegen die Stirn, »Du mich auch, Moreau.«

Ein müdes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich sie ansah. Sie war die einzige Konstante, die sich in all den Jahren nie verändert hatte. Sie zog ihre Tasche auf ihren Schoß und zog etwas hervor. Polternd schmiss sie es vor mich auf einen der alten Holztische der Bibliothek, »Hier. « Skeptisch nahm ich die kleine Plastikverpackung entgegen, »Was ist das?« Viv sah mich an, als wäre ich schlichtweg dumm, »Nahrung? Etwas, das du in den letzten Tagen anscheinend nicht mehr kennst?« Ich legte den Schokoriegel zurück auf den Tisch zwischen uns. »Gott, machst du dir etwa Sorgen um mich, Rutledge? Widerlich.« Sie trat mir gegen mein Schienbein, was mich lautstark fluchen ließ. »Weißt du, ich bin nicht deine Momschnaubte sie, als hätte ich sie dazu gezwungen. Nein, Mom würde es nicht mal auffallen. Ich fieselte mit der Verpackung, »Und dennoch bringst du mir was zu essen.« zog ich sie auf.

Als könnte sie es selbst nicht fassen, legte sie ihren Kopf in den Nacken und blies die Luft aus ihren Wangen, »Echt armselig, nicht? Erzähl das nicht meinen Eltern. Sonst schlagen sie noch vor, dass ich Gefühle für dich habe.« Ein kehliges Lachen entkam mir, »Mein Dad würde mich umbringen, wenn er wüsste, dass ich deine Nähe auch nur toleriere.« Es war ein Scherz, doch die Worte laut auszusprechen, ließ mich realisieren, dass sie wahrscheinlich wahr waren. Ich schluckte, sah zu den warmen Lampen die den alten Raum in ein spärliches Licht tauchten. Hm. Vivian nahm mir den Riegel aus der Hand, öffnete ihn und brach ihn in die Hälfte. Zufrieden schob sie ihn mir wieder vor die Nase, »Also bin ich dein dreckiges kleines Geheimniss, Moreau?« Ich sah auf die zerbrochene Schokolade, bevor ich wieder ihrem Blick begegnete, mir ein Lächeln abrang, »Die einzige Sünde auf meiner weißen Weste.«

Sie sah mich eine Weile an, als würde sie auf etwas warten. Dann lehnte sie sich seufzend im Stuhl zurück, »Wie geht es deinem Vater?« Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare »Gut.« log ich. Ich wusste nicht wie es ihm ging. Wir redeten nicht über so etwas. »Er hat mir vorher ein paar Verträge geschickt. Ich soll über Weihnachten ein bisschen in der Firma aushelfen.« Ich würde es niemals laut aussprechen, aber meine Finger kribbelten vor Vorfreude, endlich am Ort des Geschehens zu sein. »Sein Geschenk für dich?« säuselte sie, als hätte sie es mir dennoch angesehen. »Eine Möglichkeit mich zu beweisen.« verbessert ich und setzte mich aufrecht hin. Viv schnappte sich eine Hälfte des Riegels, murmelte mehr zu sich selbst, »Als wüsste er nicht, wie gut du bist.«

»Fährst du nach Hause über die Ferien?« änderte ich schnell das Thema, als ich die implizierte Spannung ihrer Worte spürte. Augenblicklich sah ich wie sich ihre dunklen braunen Augen mit diesem einen bestimmten Schimmer füllten. »Na klar. Wir fahren über Silvester nach Portugal.« Ich nickte verstehend. »Fliegt ihr auch weg? Oder Ski Urlaub?« Ich öffnete den Mund. Mit der ganzen Familie auf einer verschneiten Hütte festzustecken, wäre meine persönliche Hölle. »Wahrscheinlich nach London.« log ich ohne mit der Wimper zu zucken. »Hm, fancy. Vielleicht besuch ich dich.« Sie wischte sich die Schokolade von den Mundwinkeln. »Du würdest den Strand für ein verregnetes Land mit schlechtem Essen aufgeben?«
»Nah, hast recht. Aber ich schick dir ne Postkarte.« Stille legte sich wieder über uns.

Das Ticken der Uhr schien die Luft noch schwerer werden zu lassen. Die meisten freuten sich auf das Wochenende. Endlich wieder nach Hause zu kommen. Ich hatte noch nicht einmal angefangen zu packen. Mein Kopf war immer noch bei den Prüfungen. »Ich spiel nachher mit ein paar Leuten Basketball in den Sporthallen.« Vivs Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah wieder zu ihr auf. »Kommst du mit?« Wir beide wussten warum sie mich das fragte. Und nicht aus meiner Liebe zum Sport wegen. »Um einen Ball durch die Gegend zu werfen?« fragte ich monoton. Es gab tausend Dinge die ich lieber tun würde. »Angst gegen ein Mädchen zu verlieren?« Höhnend neigte sie ihren Kopf, »Oder gegen einen Rutherford?«

Ich schnalzte mit der Zunge, »Du denkst also ich werde verlieren?« Vivian verzog das Gesicht, »Bei aller Liebe, aber du siehst aus als würdest du bald vom Ast fallen. Ich lass mich doch nicht von Slendermanns Neffen besiegen.« wie um ihre Worte zu unterstreichen, schob sie mit den Rest des Riegels hin, während sie sich von ihrem Stihl erhob, ihre Umhängetasche schulterte. »Erwachsen, Viv.« schnaubte ich.

»19:00 Uhr! Komm nicht zu spät.« rief sie nachdem sie ihren Weg zurück bereits angetreten hatte, über ihre Schulter. »Ich hab noch nicht mal zugesagt!« rief ich hinterher.

Seufzend sah ich wieder auf meinen vor mir ausgebreiteten Arbeitsplatz, als ich wieder allein war. Es war noch so viel zu tun. Ich tippte mein Handy an, sah auf die Uhr. 3 Stunden war ich weg gewesen. Das war jedoch nicht der Grund warum ich meinen Blick nicht von meinem Bildschirm wenden konnte. 1 verpasster Anruf von Lancelot.

Ich zog mein Handy näher zu mir entsperrte es. 2 Stunden nach seinem Anruf hatte er mir ein Bild geschickt. Es war ein Selfie. Ein breit lächelnder Lance mit sichtbarer Zahnlücke, im Hintergrund waren 2 Schneemänner zu sehen. Einer trug sogar eine Krawatte. Lächelnd speicherte ich das Bild.

Doch als ich wieder aufsah, hatte ich das Gefühl die Luft hatte den Raum verlassen. Schwer zischend versuchte ich Luft zu holen. Ich sah wieder aus den riesigen Fenstern der Bibliothek. Ich hatte nicht mal bemerkt, als es begonnen hatte zu schneien. Ich hatte noch nie einen Schneemann gebaut.

Kopfschüttelnd schüttelte ich den albernen Gedanken ab. Wozu war das nütze?Ich erhob mich von meinem Stuhl, schlug meine Bücher zu. Ich hatte genug gelernt.

Auf dem Weg nach draußen, schmiss ich den Rest des Riegels in den Müll.

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