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"Vor ein paar Jahren, als Rico und ich angefangen haben, hin und wieder mal miteinander zu schlafen, hat mein Vater ein benutztes Kondom Päckchen in meinem Zimmer gefunden. Ich hatte es beim Aufräumen wohl übersehen und dann lag es einfach da", erklärt er und hebt dabei die Schultern in die Höhe, nur um sie einfach wieder nach unten fallen zu lassen.

"Anfangs hat er einfach dumme Scherze darüber gemacht, dass ich langsam Mal aufhören sollte, diese Dinger zu benutzen, weil es als ältester Sohn meine Aufgabe war, endlich mal für Enkelkinder zu sorgen. Dann hat er Scherze über die ungewöhnliche Marke der Kondome gemacht, weil es eine italienische Firma Marke war und irgendwann hat er es einfach gut sein lassen. Als ich ein paar Tage später von irgendeinem Job, den er mir gegeben hatte, wieder nach Hause gekommen bin, hat er plötzlich ein Portemonnaie in der Hand gehalten und mich gefragt, ob ich eine Schwuchtel sei."
Mein Atem bleibt mir förmlich im Rachen stecken und mein Herz beginnt zu schmerzen.

"Es war Ricos Portemonnaie und natürlich hatte er noch ein weiteres Kondom darin aufgehoben. Es war dieselbe italienische Marke, die Rico bei irgendeinem Ausflug ins Ausland gekauft hatte. Scheiße, Mara, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie hart er an diesem Abend auf mich eingeprügelt hat", sagt er und lacht dabei auf, weshalb Rico sich sofort nach vorne lehnt, seine Arme um Avion legt und sein Kinn auf seiner Schulter ablegt.

"Ich musste mir irgendeine Ausrede einfallen lassen, also habe ich gesagt, dass Rico mir die Kondome gegeben hat, weil ich keine mehr hatte. Für das Portemonnaie hatte ich mir die Ausrede einfallen lassen, dass ich irgendwann einen Typen umgebracht hatte, der für Ricos Geschäfte wichtig war und er daher bei mir war, um einige Dinge klarzustellen."
Wieder hebt Avion die Schultern, als wolle er mir ständig sagen, dass es keine große Sache sei und er es Ganz locker hingenommen hat.

"Dadurch mussten wir viel vorsichtiger sein, aber Ramiro lässt sich nicht so einfach verarschen. Also mussten die lügen und der Schein her. Rico und ich haben uns dazu entschlossen, zwischendurch verdammt offensichtlich mit anderen Leuten zu schlafen, damit wir von dem Verdacht meines Vaters loskommen. Er hätte Rico eiskalt abgeknallt, Mara. Er hätte ihn einfach umgelegt, um mir eine verdammte Lektion zu erteilen und um mir zu zeigen, dass ich kein Recht dazu hatte, mit einem Kerl zusammen zu sein."
Ich verstehe sofort, was er damit sagen will und kann aus eigener Erfahrung genau sagen, wie beschissen sich die Lektionen unserer Väter eigentlich anfühlen können.

"Es war wirklich verdammt passend, dass Rico mit dir schlafen konnte, Mara, denn..."

"Sag das nicht so, Avion. Mir wird schlecht, wenn ich nur daran denke, dass wir dich betrogen haben", unterbreche ich ihn, doch schon schüttelt er eilig den Kopf.

"So darfst du das ganze nicht sehen. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte Ramiro ihn schon vor vier Jahren umgebracht. Natürlich erst ihn und dann mich, damit ich schön mitansehen konnte, wie er ihn umgebracht hätte", erklärt er mir und verzieht dabei sofort angewidert das Gesicht.

"Dabei hat mir schon gereicht, dass er ihm eine Waffe ins Gesicht gehalten hat", fügt er noch leise hinzu und sieht zu seinen Händen, ehe er beginnt, nervös an seinen Fingernägeln zu ziehen.

Avion wird nicht nervös.

Leute werden nervös, weil sie Avion begegnen.

Und genau dieser Anblick ist auch der Grund dafür, dass ich verstehe, warum das alles in den letzten Jahren so abgelaufen ist.

Warum Avion nicht Nein sagen konnte.

Warum Rico nicht einschreiten konnte.

"Wie lange seit ihr schon verheiratet?", frage ich schließlich, was dazu führt, dass Avion langsam wieder zu mir aufsieht.

"Bald zwei Jahre", antwortet Rico an seiner Stelle und beteiligt sich damit zum ersten Mal an diesem Gespräch.

"Wir wollten dich weder ausnutzen noch belügen oder hintergehen, Prinzessin. Wirklich nicht", versichert Rico mir schließlich und starrt mir dabei tief in die Augen, weshalb ich ihm ein sanftes Lächeln widme.

"Seid ihr glücklich mit dem, was ihr in den letzten Jahren durchmachen musstet?", frage ich und schon lachen beide auf.

"Scheiße, Nein."

"Absolut nicht."
Antworten beide, wie aus einem Munde.

Ich senke nachdenklich den Blick und atme tief ein, ehe ich meinen Kopf in meine Hände fallen lasse und mir verzweifelt mit den Fingern über die Kopfhaut fahre.

"Weiß deine Familie davon, Rico?"

"Meine Mutter würde sich nicht dafür interessieren. Es reicht ihr schon, wenn ich aufhöre, ständig alleine zu irgendwelchen Veranstaltungen aufzutauchen. Die ganze Zeit war es nur zu gefährlich, ihr irgendetwas zu erzählen."
Ich nicke mit meinem Kopf in meinen Händen, um ihn wissen zu lassen, dass ich verstehe.

Fuck, die beiden tun mir leid.

Sogar mehr, als die Wut gestern noch auf Rico beständig war.

Also stehe ich auf, sehe die beiden voller Entschlossenheit an und spüre den Hass auf meine Familie tief in meiner Brust.

"Ihr wisst, dass ihr euch in meiner Gegenwart niemals verstellen oder verstecken braucht, richtig? Bei mir könnt ihr sein, wie auch immer ihr wollt. Und ich würde meine Hand ins Feuer legen und diese Meinung voller Entschlossenheit verteidigen, wenn ich euch sage, dass es bei den anderen mit Sicherheit auch so sein wird", sage ich und zeige mit dem Daumen zur Tür.

Rico lacht auf.

"Léon hat uns sofort etliche Fragen gestellt und uns die halbe Nacht Gesellschaft geleistet. War ziemlich abwechslungsreich, wenn ich ehrlich bin", murmelt er und lächelt zu mir auf, ohne sich auch nur einen Millimeter von meinem Cousin entfernt zu haben.

Ich schnipse mit den Fingern.

"Dann ist diese Sache jetzt auch geklärt. Lasst eure Ringe mal an die Sonne und tut mal öfter so, als würdet ihr einander wirklich lieben. Ist ja schrecklich, all die unterdrücken Emotionen mit ansehen zu müssen", murmel ich und gehe dabei zur Tür des Zimmers.

"Und das von dir zu hören", höre ich Avion plötzlich amüsiert spotten, weshalb ich mich auf der Hacke wieder zu den beiden umdrehe.

"War das gerade eine Stichelei, werter Cousin?"
Er grinst und winkt es ab.

Also drehe ich mich erneut zur Tür, öffne sie und trete bereits in den Flur, ehe ich mich ein letztes Mal zu den beiden umdrehe.

"Ihr solltet noch etwas schlafen, bevor wir später die letzten Details besprechen. Aber eine kurze Frage wäre da noch", sage ich und umfasse den Türgriff automatisch etwas fester.

Ich will keine falsche Antwort hören, also bitte Beweis mir, wie schlau die beiden wirklich sind.

"Welchen Namen habt ihr angenommen?"
Mit einem Mal bildet sich das wohl größte und stolzeste Lächeln überhaupt auf Ricos Lippen, weshalb ich nicht anders kann, als sein Lächeln sofort zu erwidern.

"Russo natürlich", grinst er, ehe er sein Gesicht in der Halsbeuge von Avion vergräbt und beginnt, seinen Hals mit küssen zu bedecken, die ihn gespielt genervt aufstöhnen lassen.

Avion tut so, als würde er es hassen und doch kommt da dieses winzige zucken in seinen Mundwinkeln zum Vorschein.

"Avion Russo", murmel ich, als ich mich schließlich endgültig umdrehe und den Raum verlasse.

"Gefällt mir definitiv besser", ist das Letzte, was ich sage, bevor ich die Tür hinter mir ins Schloss ziehe.

Jetzt nur hoffen, dass Léon auch eine so gute Erklärung für sein verfluchtes Verhalten hat.

Passionate VengeanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt