Wir müssen handeln

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Seit ich das erste Mal mit Evelyns Beinahe-Bruder telefoniert hatte, ging mir eins nicht mehr aus dem Kopf: Ich glaube, sie hält es hier alleine nicht aus, hatte er gesagt. England würde ihr Untergang sein.
Eve hatte mir mehr oder weniger zufällig unter dem Einfluss von Alkohol, gestanden, dass sie entweder fliehen oder sich umbringen musste. Nur ihr Traum Benny und Leuten wie ihm zu helfen, schien sie davon überzeugt zu haben, dass die Flucht die bessere Möglichkeit war.
Aber jetzt war Eve wieder in England und Benny zweifelte an ihrem gesunden Menschenverstand. Mit Fynn hatte ich nicht mehr gesprochen, dafür aber mit Dean. Da wir sowieso größtenteils dieselben Kurse besetzten, nutzte er diese Zeit um mit mir zu sprechen, ohne dass Fynn sofort auf uns aufmerksam wurde. Langsam bekam ich das Gefühl zu einer hinterhältigen Lügnerin zu mutieren.
Da die Prüfungszeit begonnen hatte, verlagerten wir unsere Gespräche in jenes Café von Judith, in dem Eve vor wenigen Wochen noch ausgeholfen hatte.
Dean kaufte mir kein Wort ab, er hätte Psychologe werden sollen, wobei einem als Anwalt eine solche Fähigkeit ebenfalls hoch angerechnet wurde. »Kommst du mir endlich die Wahrheit sagen?«, fragte er und wischte die Theke.
»Einem White Chocolate Mocca, bitte.«, erwiderte ich darauf.
»Eine kleine Prise Wahrheitsserum obendrauf?«
»Kommt Elena heute?« Unsere Unterhaltungen liefen größtenteils so ab. Keiner von uns wollte die Fragen des anderen beantworten. Als Dean nichts darauf sagte, ließ ich mich auf einem der bequemen Sessel nieder und spielte mit den, am Tisch stehenden, Servietten. In dem metallischen Behälter spiegelte sich mein Gesicht wie durch ein Fischauge. Ich war so konzentriert, dass ich Nunns gar nicht bemerkte. Nunns, eine etwas zu große Koreanerin aus einigen meinen Kursen, begrüßte mich stürmisch. Ihre Art würde Evelyn sicherlich zur Weißglut treiben.
»Megan.«, begann sie lächelnd.
»Nunns.«, sagte ich und versuchte so kalt und ausdruckslos wie Eve zu wirken. Es gelang mir nicht sonderlich gut.
Sie sah sich im Raum um, beugte sich näher zu mir und sprach mit gesenkter Stimme weiter: »Bevor wir hier die Gerüchteküche aufheizen: Wie geht's Evelyn Dunkens? Sieht man ihren Bauch inzwischen?«
Ich sah sie schockiert an. »Was?«, fragte ich panisch und rutschte unruhig in meinem Sessel hin und her.
»Sieht man das Baby schon?«, fragte Nunns etwas lauter. Natürlich musste Dean grade jetzt auftauchen. Ich presste die Lippen aneinander und starrte ihn an. Entweder er ignorierte es oder hatte es nicht gehört. Kaum war Dean wieder gegangen wollte Nunns die Unterhaltung unter allen Umständen weiter führen
»Woher weißt du von dem Kind?«, fragte ich sie und versuchte nicht allzu resigniert zu klingen.
»Ich hab euch in dem Café gesehen.«
»Uns belauscht?«, fragte ich ungläubig. Dean begann die sauberen Tische um uns herum zu wischen.
»Nein.«, antwortete sie nüchtern und zuckte mit den Schultern. »Jeder in diesem Café hat wohl von Evelyns Schwangerschaft erfahren.«, fuhr sie im Plauderton fort. Bei ihren Worten stieß Dean den Eimer mit der Wasser-Waschmittel-Mischung um. Unter Judiths wütenden Blick holte er einen Mopp und begann den Boden zu wischen.
»Ihr geht's gut, aber sprich bitte leiser, Eve will's geheim halten.«

»Wann ist es so weit?«
»Ich weiß nicht... « Ich warf einen Blick in Deans Richtung. Scheiß drauf, würde Eve sagen, er wusste es eh schon, würde mich ausfragen und es tat so verdammt gut, mit jemandem über Evelyns Probleme und ihre noch problematischeren Lösungen reden zu können. »Ich glaube in etwa vier Monaten. Genaueres weiß ich erst, wenn sie den Ultraschall gemacht hat.«
Nunns senkte die Stimme und lehnte sich mehr zu mir. Die plötzliche Nähe machte mir Angst. »Und wie geht es Fynn damit? Es ist nicht nur schwer für die Mutter.« Meine Augen huschten zu Dean. Er hatte aufgegeben so zu tun als würde er arbeiten sondern starrte gradewegs zu uns. Nunns schien entweder nichts zu merken oder mit Absicht dieses Thema anschneiden, damit Dean es mitbekommt.
Ich knetete meine Finger und zupfte an meinem Shirt. »Fynn weiß es nicht.«, sagte ich schließlich, meine Stimme zitterte. »Nunns, tut mir leid, ich muss los, bitte sag niemandem etwas, vor allem nicht Fynn.«
»Wieso nicht Fynn? Er hat ein Recht darauf.«, fragte sie aufgebracht und funkelte mich an. Ich schulterte meine Tasche und stand auf.
Als ich antwortete, sah ich zu Dean. »Weil Fynn sein Leben und seine Träume aufgeben würde um Eve zu finden.« Mit den Worten verließ ich das Café und lief um den Block herum. Dank Eve kannte ich den Weg zum Hintereingang. Eine ungemütliche Gasse gefüllt mit Mülltonnen. Dean wartete bereits draußen.
»Ist er es ganz sicher?«, fragte er direkt. Dean zog an seiner Zigarette und betrachtete mich mit einem kühlen Blick.
»Sie war treu, Dean. Es ist seins.«, versicherte ich ihm. Wir schwiegen kurz, dann setzte ich fort: »Du weißt ganz genau, dass er sofort hinter her rennen würde, um ihr beizustehen. Er würde das Kind mit ihr großziehen wollen und im Endeffekt seinen großen Traum davon werfen.«
»Sein großer Traum ist abgehauen und er weiß nicht wohin.«
»Zu ihren Eltern. Der Typ mit dem sie aufgewachsen war hat mit mir vor einigen Tagen telefoniert.« Ich zögerte kurz. »Er glaubt sie treibt sich mit diesem Vorhaben selbst in den Tod.«
»Er muss es wissen.«
»Ich weiß nicht wie, Dean... Hey, Fynn! Übrigens: Eve hat gelogen, es ist dein Kind, sie ist in England bei ihren Eltern und steht am Abgrund?«, schlug ich vor. Dean seufzte.
»Kannst du ihn anrufen?«
»Er hat mir seine Nummer gegeben.«
»Ruf ihn an.«
»Jetzt?«
»Ja.« Dean beobachtete mich dabei, wie ich mein Handy aus der Tasche zog und das alte Ding nach Bennys Nummer absuchte. Mit einem kurzen Seitenblick zu Dean rief ich an. Einen Moment lang hoffte ich er würde nicht ran gehen, doch nach dem vierten Piepen erklang seine Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Benjamin?«
»Ich sagte doch, du kannst mich Benny nennen.«
Ich holte tief Luft. »Benny. Dean, der beste Freund von Fynn, hat's herausgefunden.«
»Kann ich ihn sprechen?« Ich reichte Dean stumm das Telefon und lauschte dem Einseitigen Gespräch.

»Ich finde, Fynn hat das Recht es zu erfahren.«, begann Dean. Ich schloss die Augen. »Es geht nicht darum wie es Evelyn geht, wichtiger ist mir, dass ich Fynn nicht belügen muss.«

Die Unterhaltung zog sich endlos in die Länge, als Dean schließlich auflegte und mir wieder mein Handy reichte, breitete sich eine unangenehme Stille zwischen uns aus. Wir wussten beide, dass wir zusammen mit Benny die Einzigen waren, die handeln konnten und mussten. Wir wussten nur nicht wie.

Couple in a roundabout wayWhere stories live. Discover now