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Er streckt mir die Hand hin und ich schüttel sie kurz. Ich linse über seine Schulter und sehe, dass Simon und Dner sich verwunderte Blicke zuwerfen. Der Arzt fährt fort. ,,Ihr Bruder hatte einen schweren Unfall, aber seine Lage ist stabil. Er ist schwach noch bewusstlos. Wir können bisher nicht sagen, wann er aufwacht, aber er wird es."

Das ist meine Schuld. Ich hätte auf ihn aufpassen sollen. ,,Die Ursachen können ihnen Herr Wiefels und Herr von der Laden erklären. Ich muss nun zu einem anderen Patienten." Dann tritt er zur Seite, um mich in den Raum zu lassen.

Der Arzt schließt die Tür hinter sich und ich lasse mich an ihr runtersinken und vergrabe den Kopf in die Hände. ,,Verdammte Scheiße!" fluche ich. Eine Weile bleibe ich so, dann höre ich Schritte und spüre eine Hand an meinem Arm. ,,Manu?" Ich hebe meinen Kopf und schaue Simon an. Jetzt ist es wieder ruhig. Er zieht mich hoch und drückt mich an sich. ,,Es tut mir so leid." Der sonst so lustige Simon, mit dem man jeden Blödsinn machen kann, ist jetzt so aufgelöst und verzweifelt, wie ich es nie war. Und das will was heißen.

Während wir so da stehen, holt Dner einen dritten Stuhl und stellt ihn auf die andere Seite vom Bett. Dann setzen wir uns. Es ist still. Unangenehm still. Beschämt sehe ich zu Boden. Ich merke, wie ihre Blicke anfangs ebenfalls am Boden kleben, doch dann immer wieder den Weg zu meinem Gesicht finden und es schließlich, so gut es geht, mustern. Ich hebe meinen Kopf und weiß gar nicht, wo genau ich hinsehen soll. Irgendwie ist mir das peinlich. Dann streiche eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sekunden später ist sie aber wieder am altem Platz.

,,Wollen wir gehen? Möchtest du vielleicht zu uns?" fragt Dner und lächelt leicht. Ich zögere. ,,Ich weiß nicht so recht. Ist vielleicht doch ein bisschen viel auf einmal. Versteht ihr?" Verständnisvoll sieht Simon mich an. ,,Ja klar. Wir sagen den anderen nichts. Du kannst es dir ja überlegen." Ich nicke und bevor ich das Krankenhaus wieder verlasse, machen wir aus, dass ich zu ihnen kann, wann immer ich möchte. Sobald ich bereit bin, den nächsten Schritt zu wagen. Simon hat mir die Adresse auf einen Zettel geschrieben, den ich nun, während der Fahrt, fest in der Hand halte, dass er ja nicht verloren geht.

Im Hotelzimmer ziehe ich die Schuhe aus und lege den Zettel von Simon auf den Nachttisch. Dann gehe ich ins Bad und putze meine Zähne. Ich betrachte mich im Spiegel. Das mit Simon und Dner ging nochmal gut. Aber was, wenn Taddl und Ardy mich wegen meinem Aussehen nicht mehr mögen?

Was ist so besonders an mir? Richtig, nichts. Einfach nur ein Versager, der es nicht mal schafft, auf den Bruder aufzupassen. Ich hätte bei ihm bleiben sollen. Ich hätte auf ihn Acht geben müssen. Ich hätte einfach sagen sollen, dass wir gehen, sobald die anderen am Steinstrand aufgetaucht waren. Dann läge er jetzt nicht im Krankenhaus. Tränen steigen mir in die Augen. Warum musste das passieren? Ich bin Schuld daran. Ganz allein ich. Ich sehe an mir herunter. Bei meinem Arm bleibe ich hängen. Viele dünne, feine Narben zieren den linken Arm. Beim erstem Blick kaum zu Erkennen. Ein Glück, dass sie vohin niemand gesehen hat. Aber ich bin es gewohnt, meinen Arm so zu halten, dass es keiner sieht. Als ich eine Zeit lang alleine war, konnte mir niemand helfen. Keiner war da. Vor einem Monat kam Peter dann, merkte es und zog bei mir ein. Er sagte nicht "Hör auf." oder ähnlich. Er war auch nie sauer oder enttäuscht. Er war für mich da. Und jetzt. Jetzt geht es ihm schlecht, weil ich so ein versagerischer Bruder bin.

Meine Hand kriecht zu meiner Hosentasche. Ich habe sie immer bei mir, als mein permanenter Begleiter. Ich betrachte sie. Silbern, dünn, flach, scharf. Langsam verschwimmt die Sicht. Die Schuldgefühle zerstören mich noch.

Kurze Zeit später beobachte ich fasziniert, wie die rote Flüssigkeit meinen Am herunter rinnt und in das Waschbecken tropft. Tränen kommen keine mehr. Ich seufze nur enttäuscht. Enttäuscht von mir selbst. Heute hätte ich sagen können »1 Monat clean.« Hätte. Dann wasche ich alles ab, was nun voller Blut ist. Die Klinge stecke ich in die Hosentasche zurück. Als ich wieder auf dem Bett sitze, fällt mein Blick auf den Zettel. Soll ich? Ich entscheide mich dafür. Gesellschaft tut vielleicht gut. Vielleicht können sie mir irgendwie helfen. Nicht in dem Sinne von ,,Hey, ich verletze mich selbst und brauche Aufmerksamkeit, helft mir.", aber unbewusst. Zeit mit mir verbringen, mich auf andere Gedanken bringen. Ich glaub, keiner versteht, wie ich das meine, aber egal. Ich werde es sehen. Bevor ich weiter nachdenken kann, ziehe ich mich um und schlafe ein.

Als ich aufwache, ist es hell. Wahrscheinlich Mittagszeit. Tatsächlich zeigt mir der Wecker 14:56 an. Ich betrachte den Zettel. Noch kann ich die Meinung ändern.

GlpaddlWhere stories live. Discover now