Did You Like It Like I Did?

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Der nächste Schultag ist weit weniger angenehm als der Vorabend und zudem mehr als nur seltsam. Erstmal kommt Gerard allem Anschein nach zu spät, zumindest habe ich bis zum Klingeln vergeblich draußen auf ihn gewartet, und dann ist er auch in den Pausen für mich unauffindbar, was mich ziemlich beunruhigt und ein ungutes, mulmiges Gefühl in mir auslöst. Natürlich liegt es vielleicht einfach nur daran, dass wir bis jetzt ausschließlich getrennte Kurse hatten und somit eh immer woanders waren und auch von da aus folglich ebenfalls ganz woanders hin mussten, aber das hat uns bislang auch noch nie davon abgehalten, einander auf den Fluren zu treffen und ein Wenig zu reden, sei es auch nur für ein paar Minuten gewesen. Tja, aber was heißt das nun? Dass er mir wirklich aus dem Weg geht? Das wäre ja zumindest eine halbwegs plausible Erklärung... Allerdings auch die, die mir von allen, die ich mir bis jetzt ausgedacht habe, am wenigsten gefällt, auch wenn es wirklich die Wahrscheinlichste ist... Und das nur, weil ich ihn gestern –

„Frank, könnten Sie bitte den nächsten Abschnitt vorlesen?", unterbricht mich eine nervtötend hohe Stimme. Genervt stöhne ich auf und gebe mir auch sonst keine Mühe, meinen Missmut ihrer Bitte gegenüber zu vertuschen. Ein letzter, unfreundlicher Blick wandert zu unserer Religionslehrerin, bevor ich mir den Zettel zurechtlege, den sie uns vorhin ausgeteilt hat und den wir nun zusammen lesen, weil wir ja nicht in der Lage sind, das selbstständig zu tun. Mal davon abgesehen, dass ich so oder so im Augenblick mit wirklich anderen und vor allem viel wichtigeren Dingen beschäftigt bin... Gerade deshalb muss ich erstmal herausfinden, wo genau wir überhaupt sind, finde dann nach zwei Anläufen und mitsamt halbherziger Hilfe meines Sitznachbarn den richtigen Absatz und beginne laut vorzulesen.

„Da erbarmte sich Zeus und gab ihnen ein anderes Mittel an die Hand, indem er ihnen die Schamteile nach vorne verlegte, denn vorher trugen sie auch diese nach außen und zeugten nicht eines dem anderen, sondern in die Erde wie Zikaden. Nun aber verlegte er sie ihnen nach vorne und bewirkte vermittels ihrer das Zeugen ineinander, in dem weiblichen durch das männliche, deshalb, damit in der Umarmung, wenn der Mann eine Frau träfe, sie zugleich zeugten und Nachkommenschaft entstände, wenn aber ein Mann den anderen, sie doch Befriedigung hätten durch ihr Zusammensein und erquickt sich zu ihren Geschäften wenden und was sonst zum Leben gehört besorgen können."

„Danke. Michelle, Sie lesen den letzten Teil." Während Michelle ebenso motiviert wie ich zuvor, den weiteren Text verliest, runzele ich etwas skeptisch die Stirn. Ich bin... verstört. Vielleicht hätte ich doch vorher aufpassen sollen, worum es in diesem grammatikalisch gewöhnungsbedürftigen Text geht... Allerdings interessiert es mich trotz allem nicht wirklich, weswegen ich mich lieber wieder meinen Sorgen bezüglich Gerard widme. Er verhält sich irgendwie komisch, so weit war ich ja schon. Und ich kann nicht anders, als das auf diesen verdammten Kuss zurückzuführen. Wer weiß, womöglich hat's ihm ja garnicht gefallen, vielleicht wollte er es nicht und hat sich belästigt gefühlt. Vielleicht denkt, dass ich das einfach nur zum Spaß und nicht aufgrund tiefer reichender Gefühle getan habe... Vielleicht... Aber ich habe eben keine Gewissheit. Und das macht mich fertig. Bringt mich sogar dazu, das Geschehene anzuzweifeln.

Sollte es wirklich deswegen sein, dann wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Alles wäre mir lieber gewesen, als die Situation, die wir momentan vorliegen haben. Ich hätte mich einfach mit dem zufrieden geben sollen, was ich hatte; mit dem, was er mir von sich aus gegeben hat. Aber nein, ich musste natürlich all meine Prinzipien und Vorsätze missachten und unbedingt mehr nehmen, als letztendlich wohl gut war. Wozu hatte ich dann überhaupt erst besagte Regeln für mich aufgestellt? Sollten sie mich nicht genau vor so etwas beschützen? Gott, es regt mich auf, dass ich mir schon wieder an allem die Schuld gebe, doch ich kann es nicht ändern. Und eigentlich ist diese Schuldzuweisung nicht mal unbegründet... Nur weiß ich nicht, was ich jetzt tun soll.
Ob ich mich entschuldigen sollte.
Oder ob ich mich nicht entschuldigen und ihm stattdessen meine Gefühle gestehen sollte...

Ich schüttele gedankenverloren den Kopf. Nein, ich kann es ihm nicht sagen. Nicht, bevor ich nicht ganz sicher weiß, was überhaupt grade los ist. Es kann ja sein, dass sein Zuspätkommen nichts mit mir zu tun hatte und auch, dass wir uns ausnahmsweise in den ganzen vier Stunden noch nicht über den Weg gelaufen sind, ist eventuell einfach nur Zufall. Hoffe ich jedenfalls. Diese Option ändert dennoch nichts an meinem Unwohlsein oder der Tatsache, dass dieser Kuss eben passiert ist. Völlig gleich, was genau Gee davon hält, früher oder später wird das Thema spruchreif. Früher oder später werden wir darüber reden müssen. Hoffentlich eher später...

Ich hab keine Ahnung, wie lange und wie tief ich genau in meinen Grübeleien versunken war, doch ich werde erst aus ihnen herausgerissen, zurück in die Realität geholt und vor nackte nackte Tatsachen gestellt, als das Quietschen von Stuhlbeinen auf dem billigen Linoleumboden schmerzhaft laut an mein Ohr dringt und ich ein sanftes Vibrieren in meiner Hosentasche vernehme. Obwohl ich noch alle meine Sachen einpacken muss, bin ich einer der ersten, die den Raum verlassen und hinaus auf den Flur strömen. Dort suche ich mir zwischen einigen Spinden ein sicheres Eckchen, wohl darauf bedacht, nicht an die falschen Leute zu stoßen, die mich dafür mit dreifacher Wucht gegen die Metallschränckchen drücken würden, und krame außerhalb des Blickfelds vorbeistürmender Lehrer mein Mobiltelefon aus der eigentlich viel zu kleinen Jeanstasche. Wer auch immer diese Teile entwirft, denkt ganz offensichtlich nicht mit. Die Handys werden immerhin immer größer, nicht kleiner...
Die SMS ist von Gerard. Allein diese Erkenntnis lässt das mir mittlerweile nur allzu gut bekannte Kribbeln wieder aufleben, welches allerdings schlagartig von einem unangenehmen Ziehen in der Magengegend überschattet wird, sobald ich die wenigen Worte überflogen habe, die mir dort vom Display entgegen flimmern.

»Wir müssen reden. Unsere Ecke. Jetzt.« ~ 12:31

Intuitiv schlucke ich schwer. Das klingt nicht gut... Alleine dieser Satz. Wir müssen reden. Müssen wir das denn? Können wir das denn nicht... Keine Ahnung... Wann anders? Denn egal, wie sehr ich Gee mag, aber ich habe urplötzlich doch keine allzu großen Ambitionen mehr, mich jetzt mit ihm zu treffen, um ein Gespräch zu führen, dass sich wahrscheinlich nicht darum drehen wird, was wir alles Tolles in den Ferien unternehmen wollen. Sondern wohl eher darum, ob wir überhaupt nochmal etwas unternehmen werden... Auch wenn das überheblich klingen mag, aber ich habe ernsthaft Angst, dass ich ihn vergrault haben könnte, was wohl gemerkt nicht ganz so toll wäre. Immerhin ist er mein einziger Freund.
Und noch viel mehr...
Er ist der Einzige, den ich überhaupt noch habe. Und ich kann mir da jetzt noch so viele Gedanken drüber machen, wie ich will, davon wird es auch nicht besser. Ich muss mich einmal in meinem verdammten Leben erwachsen verhalten und mich seinem Anliegen stellen, was auch immer es ist. Somit stecke ich mein Handy wieder weg, rücke den Träger meiner Umhängetasche etwas zurecht und mache mich dann mit gesenkten Haupt auf den Weg nach draußen, raus aus dem miefigen Gebäude, das mittlerweile übrigens nicht mehr nur nach Schule riecht, sondern auch neuerdings immer eine dezente Schweißnote vorzuweisen hat. Ich liebe den Sommer...

Wir haben Mittagspause, weshalb der Schulhof mit übermüdeten und in knappe Klamotten gehüllten Körpern überfüllt ist, doch das interessiert mich nicht. Auch hier setze ich meinen Slalomlauf um meine Mitschüler fort und je näher ich unserem Treffpunkt komme, umso weniger Menschen finden ich vor. Sehr gut. Immerhin sind wir dann, wie immer eigentlich, ungestört. Allerdings wird mir auch zunehmend schlechter, meine Knie werden weich und mein Atmen wird stetig flacher, bis er kurzzeitig vollkommen aussetzt, als ich um die letzte Ecke biege und Gerard erblicke, der lässig an der hellen Wand des Gebäudes lehnt. Er sieht wunderschön aus. Das kann ich auch so sagen, ohne näher an ihn heran zu gehen, weil er das immer tut und egal wie nervös ich auch bin, dieser Gedanke zaubert mir ein leises Lächeln auf meine Lippen. Er steht einfach nur da, den Kopf gesenkt, den Blick auf den Boden geheftet und in Gedanken wahrscheinlich ganz woanders, vielleicht bei Mikey und seinem Dad oder bei mir oder bei dem, was ihm, und uns beiden, gleich bevorsteht.
Die letzten Meter überbrücke ich etwas langsamer, als ich mich zuvor noch fortbewegt habe, dennoch allerdings viel zu schnell, wenn es nach mir geht. Ich komme nur ganz knapp vor ihm zum Stehen, was Gerard aufsehen lässt, genau in meine Augen und in den Seinen spiegelt sich meine eigene Sorge und ein Teil meiner Angst wieder. Auch er wäre jetzt wohl lieber wirklich am anderen Ende der Welt, als das hier zu machen. Nur leider weiß ich nicht, warum er ebenso angespannt ist. Was befürchtet er denn? Ich kann es mir nicht erklären...

„Hey...", durchbricht er schließlich die Stille, die zuvor lediglich durch das entfernte Lärmen des Schulhofes gestört wurde und ab diesem Moment hört alles andere auf, zu existieren. Es gibt wieder nur uns, ihn und mich, sonst nichts. Es ist fast wir letztens, als das mit Killer passiert ist, aber irgendwie... anders eben. Fast schon bedeutender.
Ich sehe ihn an, erwidere sein unsicheres Lächeln und begrüße ihn mit einem ebenso leisen 'Hey'. Ja, einfallsreich. Aber mir fällt beim besten Willen nichts anderes ein und ich schätze, wenn ich wirklich noch länger über angebrachtere Worte nachgedacht hätte, wäre ich in Tränen ausgebrochen. Die Situation ist so wahnsinnig verkorkst... Ich hasse es. Ich hasse diese Spannung, die schon vor nicht allzu langer Zeit über uns lag, besser gesagt erst gestern Morgen. Dann sagt erstmal wieder niemand etwas, was mich nur noch verrückter macht. Dieses Schweigen tut fast schon weh, psychisch und körperlich. Wenn er reden will, dann soll er es auch gefälligst tun! Ich bin nicht umsonst hier! Ich zerbreche mir nicht umsonst den Kopf und frage mich, was hier grade passiert! Tja, doch Gerard schweigt still. Ich bemerke lediglich, wie er mich immer wieder aus dem Augenwinkel anschaut, sich allerdings kein richtiges Herz fassen kann. Na dann... einer muss ja wohl den Anfang machen.

„Weshalb wolltest du mit mir reden?" Ich vermeide es, ihn anzusehen. Ich weiß nicht, was er gleich sagen wird, aber ich gehe momentan immernoch vom Schlimmsten aus und dann ist es besser, wenn ich ihn dabei nicht sehen muss. Dann würde es weniger weh tun.
Gerard scheint fast schon erleichtert, dass ich gefragt habe und schmeißt seine halb fertig gerauchte Zigarette weg, klingt aber alles andere als glücklich. Seine Stimme zittert und hört sich merkwürdig matt an. Insgesamt könnte man es wohl als ungesund bezeichnen. Selbstverständlich flammt ein gewisses Maß an Besorgnis in mir auf, weshalb ich ihn dann doch so richtig direkt ansehe, das erste Mal an diesem Tag. Er sieht wirklich müde aus, seine Augen werden geziert von dunklen Ringen und seine Haare wirken etwas fettig. Oh oh... Vielleicht hat es garnichts mit mir zu tun. Was, wenn seiner Mom heute Nacht was passiert ist? Oder wenn es ihm einfach schlecht geht? Er sieht so erschöpft aus, wie ich ihn glaub ich noch nie gesehen habe...

Nachdem er mir erzählt hatte, dass er ja mal depressiv war wegen dem ganzen Scheiß, den er durchmachen musste, habe ich mich natürlich im Internet etwas schlau gemacht und herausgefunden, dass die Rückfallquote nicht sonderlich gering ist. Fuck... Ich weiß auch nicht, wie genau ich jetzt darauf komme, aber in diesem Moment habe ich eine Heidenangst, dass genau das passiert sein könnte. Das Gee irgendwie... Ja... Dass es ihm wieder schlecht geht. Und das löst in mir das dringende Bedürfnis aus, ihn fest an mich zu drücken und ihm übers Haar zu streichen und ihn einfach nur zu halten. Ihm zu versichern, dass alles gut wird. Wenn es wirklich das ist... Mein Gott, ich würde alles erdenkliche tun, damit es ihm gut geht. Bleibt eben nur die Frage, ob das jetzt das Problem ist. Oder ich. Oder der Kuss...

„Die Gerüchte, die über dich im Umlauf sind... Du weißt, ich geb da nichts drauf, aber... Hand auf's Herz. Ist da irgendwas Wahres dran?" Verwirrt blinzele ich ein paar Mal, hat mich diese Frage doch grade ein wenig aus der Bahn geworfen.

„Ähm... Naja, ich... also... kommt drauf an, welche du meinst?" Da gibt es ja ein paar mehr, die man sich so erzählt... Gerard verlagert sein Gewicht unruhig von einem Bein auf's andere und streicht sich fahrig einige dunkle Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wie gerne hätte ich das für ihn getan... Nein, stopp. Fokussieren. Gerard zuhören. Doch der sagt nichts weiter und sieht nun schon fast flehend zu mir hinunter, was ich einfach mal so deute, dass es ihm irgendwie unangenehm ist, weiter zu fragen, weshalb ich wohl gezwungenermaßen dazu Stellung beziehen muss. Zu allen Gerüchten, die mir so einfallen, auch wenn ich nicht weiß, was das jetzt soll.
Schwer ausatmend lasse ich mich gegen die kühle Mauer fallen und schaue hoch in den Himmel, während ich meine Gedanken ordne und schließlich anfange, zu erzählen.

„Also... Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", gestehe ich ehrlich, fahre dann aber trotzdem einfach fort.
„Es stimmt, dass ich schon mit sehr vielen hier in Beziehungen war, aber... Das war nie was Ernstes, weißt du... Ich hab sie alle nur... ja... ausgenutzt. Aber ich hab nicht mit ihnen geschlafen oder sowas. Das stimmt nicht, überhaupt nicht. Auch nicht gegen Bezahlung. Das ist gelogen, sowas habe ich beim besten Willen nicht nötig."

„Also stimmt es, dass du niemanden ernsthaft rangelassen hast?" Mit leicht zusammengezogenen Brauen schaut er mich an und ich nicke, nicht wissend, worauf das alles hier hinauslaufen soll.
„Aber du hast mit ihnen rumgemacht?", hakt er weiter nach und dann wird plötzlich doch klar, was sein Anliegen ist und es schmerzt mich irgendwie, dass er so von mir denkt. Dass er offenbar ernsthaft davon ausgeht, dass mir das gestern nichts bedeutet hat. Natürlich stimmt das nicht und ich setze auch an, ihm das alles irgendwie plausibel darzulegen, aber außer ein paar hilflose Gesten und abgehackten Lauten kann ich ihm nichts entgegen bringen. Ich will nicht, dass er schlecht von mir denkt, aber natürlich stimmt es, dass ich tatsächlich hin und wieder den ein oder anderen Kandidaten mit Petting, Handjobs und ähnlich Harmlosem beglückt habe. Mein Gott, ich bin doch auch nur ein Kerl! Aber das mit Gee, das... ist anders. Das muss er doch wissen! Sowieso dachte ich, hätten wir schon längst geklärt, dass ich keine Schlampe bin, beziehungsweise war.

Bevor ich irgendeine gescheite Antwort aus mir heraus zaubern kann, tritt er plötzlich so nah vor mich, dass ich fast schon seinen Atmen an meiner Nasenspitze fühlen kann, legt eine seiner Hände an meine Wange, die andere an meine Seite und sieht mich eindringlich und überhaupt nicht mehr verunsichert an. Nein, sein Blick ist fast schon drängend, verlangend. Es lechzt ihn geradezu nach etwas. Nach einer Antwort, einem Satz, einem Wort, irgendwas Bestimmten, und ich wünschte, ich könnt ihm sagen, was er hören will, aber ich weiß nicht, was das ist, deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn fragend anzusehen, stumm um eine Erklärung bittend.

„Frank, warum hast du mich geküsst?" Seine Augen brennen sich in meine eigenen und er festigt den Griff an meiner Wange etwas, verhindert, dass ich den Kopf senke, doch ich weiche ihm trotzdem mit meinem Blick aus. Der Seine ist einfach zu intensiv, als dass ich ihm jetzt standhalten könnte, ohne mich darin zu verlieren, was ja im Moment nicht wirklich angebracht ist. Warum habe ich ihn geküsst... Es war ja klar, dass diese Frage kommt, nur leider habe ich mir noch keine Antwort überlegt, die einigermaßen Sinn macht, deshalb muss ich wohl oder übel improvisieren.

„Weil... Ich... Ich weiß es nicht. Ich... Wollte es einfach." Wow. Toll. Wäre seine Hand da nicht im Weg, würde ich mich selbst ohrfeigen für diesen Satz. Und als ob es das Ganze irgendwie besser machen würde, schiebe ich noch ganz leise hinterher: „Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt", was mindestens genauso wenig ein Argument darstellt, wie mein anderer Grund davor. Was Besseres fällt mir halt nicht ein! Sorry! Sowas wird man ja in der Regel auch nicht jeden Tag gefragt...

Gee's Bick wird sofort etwas weniger so drängend und ich befürchte schon, etwas Falsches gesagt zu haben, doch er lässt nicht von mir ab und wirkt nun sogar fast schüchtern, als er weiter fragt.
„Oh, und... Wie fandest du es?" Jetzt ist es auch an mir, verlegen zu werden, ganz automatisch. Was für eine Frage... Ich könnte garnicht in Worte fassen, wie gut es sich angefühlt hat! Anstatt ihm das aber zu sagen, werde ich etwas mutiger und stelle ihm eine Gegenfrage, lehne mich währenddessen mit der Seite meines Kopfes etwas mehr gegen seine Hand, um ihn besser spüren zu können und lasse auch meine eigenen Finger zaghaft und ebenso schüchtern, wie er selbst es ist, über seinen Oberkörper streichen, bis sie an seiner Schulter ankommen und dort ein kleine Pause einlegen.

„Wie fandest du es denn?" Innerlich hoffend, dass ich damit jetzt nicht irgendwie zu weit gehe, beiße ich mir auf die Unterlippe, während ich seine Antwort abwarte. Erneut fährt er sich mit der Hand, die eben noch an meiner Taille ruhte, durchs Haar und wird tatsächlich rot. Ich muss sagen, die Richtung, in die das hier nun zu laufen scheint, ist bei weitem nicht so schlimm, wie ich anfangs befürchtete. Er hasst mich offensichtlich nicht und er scheint auch keinen mentalen Rückfall zu haben. Sehr gut, somit wären ja meine schlimmsten Befürchtungen aus der Welt geschafft. Dennoch hätte ich mit dem Folgenden jetzt nicht wirklich gerechnet.
Nachdem Gee nämlich fertig ist, an seinen Haaren rum zu fummeln, platziert er seine Hand abermals auf mir, diesmal etwas weiter am Rücken und zieht mich näher, sodass unsere Körper aneinander stoßen. Fast schon reflexartig lege auch ich meine zweite Hand an seine Hüfte, gleichzeitig rutscht die andere von seiner Schulter wieder etwas tiefer auf seine Brust, wo ich seinen beschleunigten Herzschlag deutlich spüren kann. Und dann tut er etwas, dass mich sämtliche Sorgen und Ängste und was weiß ich nicht noch alles vergessen lässt.

„Ich hätte nichts dagegen, es nochmal zu tun", haucht er tonlos gegen meine Lippen, bevor er meinen Mund mit einem Kuss versiegelt, der meinen Atmen und die Zeit stillstehen lässt. Überrumpelt und perplex schließe ich die Augen, noch bevor ich richtig realisieren kann, was genau in diesem Moment passiert. Gee, er... Er küsst mich. Gerard küsst mich. So richtig auf den Mund und...und...
Und dann macht es klick und ich schaffe es, diese wertvolle Information zu verarbeiten und in den Kuss mit einzusteigen. Unsere Lippen bewegen sich nur ganz leicht gegeneinander, zaghaft, berühren sich eigentlich kaum, dafür sind die Gefühle, die dadurch ausgelöst werden, umso stärker und berauschender. Ich seufze und gebe mich ihnen vollkommen hin, stolpere ein wenig rückwärts, bis ich wieder die Mauer des Schulgebäudes im Rücken spüre, gegen welche ich auch sogleich von Gee gedrückt werde. Meine beiden Hände verirren sich in sein rabenschwarzes Haar, fahren fast schon verspielt hindurch und kommen in seinem Nacken zum liegen, um ihn noch näher zu mir zu ziehen. Der Druck, und somit auch der ganze Kuss, wird etwas intensiver, besser, noch betörender als zuvor und ich bin so hin und weg, dass um uns herum der Dritte Weltkrieg ausbrechen könnte, ohne dass es mir auch nur das Geringste ausmachen würde. Wahrscheinlich würd ich es nicht mal merken. Wie gesagt, die Welt um uns herum hat aufgehört, zu existieren. Leider.
Denn dadurch bemerkt keiner von uns, dass wir schon längst Gesellschaft an unserem kleinen, stillen Fleckchen Schulhof bekommen haben. Erst als ein spottendes Prusten an unsere Ohren dringt, lösen wir unsere Lippen voneinander und schauen synchron in die Richtung, aus der das Geräusch kam, nur um eine Gruppe von circa Sechs Personen zu erblicken, die uns allesamt recht wenig amüsiert mustern. Ich erkenne sogar einige Leute. Da wären Sarah, der Kerl mit der Basecap, der Typ aus Geschichte, ein Mädchen, das mich damals auf Jimmy's Party ziemlich billig angemacht hat, jemand, der mir nicht bekannt vorkommt, der aber garantiert auch ein Problem mit mir hat und ganz vorne dabei Mark. Natürlich, wie sollt es auch anders sein... Es war klar, dass wir diesen Moment nicht ungestört würden auskosten können.

Gerard und ich halten einander weiterhin umschlungen und warten darauf, dass die anderen ihr Anliegen äußern. Im Normalfall wäre es offensichtlich, was sie wollen – mich in irgendeiner Art und Weise schikanieren. Aber das tun sie nie, wenn Gee in der Nähe ist, also kann ich mir ihr Auftreten und Lauern nicht erklären, bis Psycho-Mark sich etwas von der Gruppe löst und auf uns zu kommt, ein dreckiges, angsteinflößendes Grinsen im Gesicht.

„Na sieh mal einer an, was wir hier haben. Seit wann versteckt man sich denn zum Rumknutschen? Ist es dir peinlich, Frankie-Baby? Oder willst du nur nicht, dass jemand mitbekommt, was für ein falsches Spiel du wieder mal abziehst?" Mark kommt wenige Schritte von uns entfernt zum Stehen und verschränkt selbstgefällig die Arme vor der Brust, während ich mich dann doch aus Gerards Armen löse und ihn halb böse und halb verwirrt anfunkele.

„Was willst du, Mark? Kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen?"

„Nein, kann ich nicht. Ich muss Gee doch noch sagen, wie enttäuscht ich von ihm bin. Von dir mal ganz zu schweigen, Frank. Aber wirklich... Gerard, was fällt dir eigentlich ein, hm?" Der Ton, den seine Stimme einnimmt, gefällt mir nicht. Er hat etwas Aggressives und Vorwurfsvolles.
Auch Gee's Gesichtszüge verfinstern sich, die Zärtlichkeit von eben ist verflogen. Nichts lässt mehr darauf schließen, dass wir nur wenige Momente zuvor noch einen unheimlich gefühlvollen Kuss geteilt haben, was auch auf seine Stimme zutrifft, die ebenfalls fest und herrschend klingt.

„Ich weiß zwar nicht, wovon du redest, aber es wäre echt besser, wenn du und deine Leute nen Abgang machen."

Mark lacht trocken und humorlos auf und macht einige schnelle, bedrohliche Schritte auf uns zu. Sein Blick trieft vor Missgunst und Hass und ich denke, spätestens jetzt ist es offiziell. Er ist verrückt geworden.

„Tu doch nicht so scheinheilig, Way! Du bist so dumm! Einfach nur dumm, hörst du? Du bist das Letzte! Du wusstest von Anfang an, was ich für ihn empfinde und trotzdem nutzt du deine Chance und lässt zu, dass er sich an dich ran macht?! Checkst du überhaupt noch was? Erstens: Frank gehört mir! Nur mir! Und Zweitens meint er es doch eh nicht ernst mit dir! Er benutzt dich nur, weil er denkt, ich würde ihn nicht mehr wollen, aber das stimmt nicht! Hörst du Frank?", wendet er sich nun an mich, „Ich will dich immernoch, aber du... Du siehst mich nicht! Was muss ich denn noch tun, damit du mich endlich als das siehst, was ich bin?" Seine Stimme überschlägt sich, so laut schreit er und in seinen Augen glitzern Tränen. Bevor ich mich versehe, macht er noch einen Schritt nach vorne und will nach meiner Hand greifen, um mich grob zu sich zu ziehen, aber Gerard zieht mich glücklicherweise noch rechtzeitig nach hinten, sodass Mark ins Leere schnappt. Ich bin mehr als verstört. Der hat sie doch nicht mehr alle! Sowas gehört eingesperrt!

„Fass ihn nicht an!", keift Gee, der sich nun schützend vor mir aufbaut. Ein schneller Blick versichert mir, dass Marks Anhängerschaft nicht versucht, einzuschreiten und dann gilt meine Aufmerksamkeit wieder dem Führer der Truppe, der sich wild die Haare rauft.

„Halts Maul, Gerard! Du bist für mich gestorben, du mieser Wichser! Und jetzt lass mich durch!"
„Nein!"
„Du Verdammter..." Mit diesen Worten springt Mark förmlich nach vorne und versucht Gee zu schlagen, seine Faust trifft ihn auch mit voller Wucht. Das reicht! Nun bin ich es, der Gee wegzieht und sich dafür zwischen ihn und Mark stellt, Letzteren hart nach hinten stößt, sodass wieder etwas Abstand zwischen uns liegt. Niemand schlägt Gerard. Nicht meinen Gerard.

„Verpiss dich Mark, hörst du? Du erreichst hier nichts, garnichts. Ich empfinde nicht das Geringste für dich, also nimm deine Freunde und mach nen Abgang." Ich bin selbst überrascht, wie ruhig und beherrscht ich klinge, aber das ist gut, denn dadurch signalisiert auch meine Stimme die Gleichgültigkeit, die ich Mark gegenüber zur Schau stelle. Wenn er checkt, dass er mich nicht kriegen wird, vielleicht geht er ja dann. Und es scheint zu klappen. Sein Gesichtsausdruck nimmt erst etwas Verständnisloses, dann etwas zutiefst Niedergeschlagenes und Verletztes an. Ich habe selten jemanden so traurig gesehen und frage mich unweigerlich, wie oft ich ihm wohl noch das Herz brechen muss, damit er es versteht und mich endlich in Ruhe lässt.

„Aber... ich liebe dich doch..."

„Ich dich aber nicht."

Eh er noch etwas erwidern kann, schreiten Sarah und dieses andere komische Mädchen ein und reden beschwichtigend auf Mark ein, dessen Körper nun von heftigen Schluchzern geschüttelt wird. Ich muss zugeben, es tut mir leid, dass es so gekommen ist... Ihn so zu sehen macht mich betroffen, auch wenn ich wirklich nie sonderlich viel von ihm hielt. Sarah will ihm eine Hand auf die Schulter legen, doch er schlägt sie weg und da ist es plötzlich wieder, dieses verachtende Funkeln in seinen dunklen Augen.

„Na gut, dann werd doch glücklich mit dem! Ich hoffe, er bricht dir dein verdammtes Herz, so wie du mir meins!" Und dann dreht er sich um und stürmt davon. Vorbei an den beiden Mädchen und dem Rest der Truppe, der sich kurz danach dann auch ohne Weiteres auf den Weg macht, da es geklingelt hat. Bevor jedoch auch ich meine Tasche nehme und mich nach drinnen begebe, muss ich mich erstmal vergewissern, dass es Gee gut geht.

„Alles okay?" Ich wende mich ihm zu und fahre mit meinem Daumen ganz vorsichtig über seine Unterlippe, die zwar leicht geschwollen, aber zum Glück nicht aufgesprungen ist. Doch auch dies tut seiner Perfektion keinen Abbruch, was dazu führt, dass ich mich vollkommen in der Bewunderung seines Antlitzes verliere, bis er schließlich meine Hand in seine nimmt und kurz drückt, was mich wieder zurück in die anstrengende, ereignisreiche Realität holt.

„Alles okay. Danke Frankie." Er lächelt mich so gut es geht an und drückt meine Hand erneut, lässt sie dann allerdings los, um seine Sachen zu nehmen, damit wir uns gemeinsam auf den Weg ins Innere des alten Gebäudes begeben können. Ich kann es nicht fassen... Wir haben uns geküsst. Und wir haben das geklärt, was kurzzeitig zwischen uns stand, was auch immer das nun genau war. Gee weiß, dass ich ihn nicht einfach nur benutze und Mark hat jetzt hoffentlich ein für allemal eingesehen, dass er mich nie für sich haben wird. Wie der aber auch abgegangen ist... Ich hoffe wirklich, dass er jemanden findet, der ihm helfen kann. Ein Arzt vielleicht, oder einfach nur ein anderer Kerl, der ihn liebt und den er auch lieben kann.
Aber eines steht dennoch offen. Ich habe Gee noch garnicht geantwortet. Naja, eigentlich schon, aber doch nicht so richtig, weswegen ich, kurz bevor wir den Medienraum erreichen, nach seiner Hand greife und ihn zu mir herum drehe, woraufhin er mich etwas verblüfft anschaut.

„Ich fand es übrigens auch schön," spiele ich auf seine Frage an, wie ich unseren ersten Kuss denn fand. Ein breites Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, die vorhin noch auf seinen lagen und die bloße Erinnerung daran macht, dass ich mich vollkommen sorglos und unbeschwert fühle. Daran kann nicht mal Mr. Djevas etwas ändern, der uns anschnauzt, weil wir ganze 4 Minuten zu spät sind. Oh, Schande über uns. Da wir allerdings heute nur einen Film gucken, spielt unsere Verspätung keine sonderlich große Rolle und so lassen wir beide uns in der letzten Reihe nieder – die Vorderen sind natürlich schon besetzt, weil man dort am besten hören und sehen kann – und vertreiben uns anderweitig die Unterrichtsstunde. Nur die ersten 10 Minuten verfolgen wir den alten Schwarz-Weiß-Streifen, bis es uns letztlich zu langweilig wird und wir beschließen, Tik Tak Toe auf der Tischplatte zu spielen. Sehr romantisch, ich weiß. Aber ich denke, unsere Lehrkraft wäre nicht ganz so angetan davon, wenn wir jetzt wieder anfingen, einander die Zunge in den Hals zu stecken. Rein theoretisch gesehen, geht das doch aber, oder? Die Tatsache, dass wir uns erneut geküsst haben, beziehungsweise er mich, ist doch sowas wie die offizielle Bestätigung, dass das okay ist und ich ihn demnach küssen darf, wann ich will, oder etwa nicht?
Doch, ist es. Oh man... Ich kann nicht anders, als ihm ein vermutlich endlos verliebtes Lächeln zuzuwerfen, welches er mit genauso viel Zuneigung erwidert, was das meine Wiederum nur noch wachsen lässt. Ob er auch diesen riesigen Schmetterlingsschwarm in sich hat? Jeder Mensch empfindet gewisse Emotionen ja anders... Mich würde wirklich interessieren, was er dabei fühlt, wenn ich ihn so ansehe. Und was genau er gestern gefühlt hat, als ich ihm diesen schüchternen Schmatzer aufgedrückt habe...

„Ach fuck...", flucht er leise, als ich zum dritten Mal in Folge gewinne, was mich verhalten kichern lässt.
„Aww, Gee, nicht traurig sein. Ich lass dich gewinnen, okay?"

„Was macht dich so sicher, dass ich nicht mit Absicht verliere, damit du dich freust?"

„Als ob ich das nötig hätte."

„Hast du." Jup, es ist definitiv wieder alles beim Alten. Naja, fast. Es ist noch besser. Trotzdem ramme ich ihm meinen Zeigefinger in die Seite, was ihn amüsiert aufquiecken lässt, wofür wir einen strengen Blick vom Kinderquäler ernten. Das könnte uns allerdings nicht weniger egal sein und somit verfallen wir in einen kleinen Stupskrieg, stets darum bemüht, den anderen dazu zu bringen, komische Laute von sich zu geben, bis wir zwischenzeitlich einen Waffenstillstand ausrufen, um nach Atem zu ringen. Ja, wir sind beide im Prinzip schon erwachsen. Na und? Man darf ja wohl trotzdem noch Spaß haben!

„Oh man, Frankie... Du machst mich fertig..."
„Du mich auch", schnaufe ich so leise wie möglich. Gee grinst, schaut dann aber schlagartig etwas schuldbewusst drein. Ähm...

„Du?"
„Ja?" Verwirrt mustere ich ihn und beobachte, wie er sich etwas gerader hinsetzt und gedankenverloren mit einem Finger über unsere unzähligen kleinen Spielfeldchen streicht.

„Tut mir leid, dass ich in der Pause keine Zeit für dich hatte, aber Julia hat mich gefangen genommen."
„Oh, echt? Na dann... Ich dachte schon, du wärst mir aus dem Weg gegangen oder so..."

„Was? Warum hätte ich das denn tun sollen?"

„Naja, weil... Ich dachte, du bist sauer, weil ich dich gestern Abend geküsst habe." Gegen Ende meiner Erläuterung wird meine Stimme immer leiser, was weiß ich, warum. Aber immerhin ist das jetzt auch raus.

„Awww, Frankie, echt? Oh man, ich... Gott, tut mir leid. Aber Jules wollte unbedingt, dass ich ihr was vorlese und als ich dann herausgefunden habe, was genau das ist, wollte ich dich verschonen und hab dich deshalb nicht gefragt, ob du dazu kommen willst. Mal davon abgesehen, dass sie das sicherlich eh nicht so toll gefunden hätte..."

„Okay, und... Was musstest du ihr da vorlesen?" Was kann denn bitte so schlimm sein, dass er es mir vorenthält und mich aus purer Nächstenliebe nicht gefragt hat, ob ich ihm dabei Gesellschaft leisten möchte? Als er antwortet, lässt er sich nach hinten gegen die Stuhllehne sinken und streckt sich einmal ausgiebig.

„Ach, was weiß ich... Irgend so'ne Geschichte von ihren Bands da, die sie so hört. Fanfiktion oder so. Der letzte Scheiß. Aus irgendeinem Grund sind da immer alle schwul." Ungläubig, doch auch belustigt verziehe ich das Gesicht.
„Nicht ernsthaft, oder?"

„Doch. Ernsthaft."

„Und... was war daran so schlimm? Ich meine... Ich hab nicht so viel gegen Schwule." Er schenkt mir ein Lächeln à la Ach-was-du-nicht-sagst und schüttelt kurz den Kopf, wobei ihm einige Strähnen vor die Augen fallen, die er zu meiner Freude aber nicht sofort wieder an ihren Platz verweist.

„Das, was ich ihr vorgelesen habe, war die Homo-Form von 50 Shades Of Grey. Ein richtiger Hardcore-Soft-Porno." Er unterstreicht seine Aussage mit vielsagenden Blicken und ich kann nicht anders, als in einen kleinen Lachanfall auszubrechen, den ich, so gut es geht, zu unterdrücken versuche. Die Vorstellung, wie Gerard da mitten in der Klasse sitzt und ihr sowas vorliest, ist irgendwie äußerst amüsant.

„Hahaha, Gee.... Warum?! Alter, du hättest das doch nicht tun müssen", lache ich weiter. Angesprochener wirft mir nur einen beleidigten Blick zu.

„Ich bin eben ein guter Freund. Aber wo wir schonmal beim Thema Julia sind... Sie schmeißt nächsten Mittwoch ne Party, weil ihre Eltern wohl für längere Zeit in Italien sind oder so und sie Geburtstag hat. Sie meinte, ich dürfte einen +1 meiner Wahl mitbringen. Na? Was sagst du?"

„Duuu... willst, dass ich dein +1 bin?" Voll freudiger Erwartung strahle ich ihn an, obwohl ich ja eigentlich keine Bestätigung mehr brauche, da er es immerhin von sich aus angeboten hat. Mein Sitznachbar nickt nur zufrieden und hat mich im nächsten Moment halb auf dem Schoß hängen, weil ich ihn so gut es geht fest umarme.

„Ja, ich will", hauche ich scherzhaft gerührt in sein Ohr, um ihm eine Antwort zu geben, bevor ich mich wieder richtig hinsetze und beginne, die kleinen Tic Tac Toe-Felder weg zu radieren. Wenn wir mit denen erwischt werden, dürfen wir Tische putzen. Und zwar alle 20, nicht nur den unseren.
Mit Gee's Hilfe ist das Ganze auch schnell vollbracht und nur wenige Minuten später kann man die dünnen Linien nur noch schemenhaft auf dem Kunststoff ausmachen. Ist zwar nicht sonderlich schön, aber für die Ansprüche der Schule gilt das hier durchaus als sauber.
Da uns momentan nichts Besseres einfällt, versuchen wir nun, dem Film zu folgen, der wirklich genauso langweilig ist, wie erwartet, doch Gee macht auch das erträglich. Er ist nämlich ganz dicht an mich herangerückt, hat einen Arm um mich gelegt und seinen Kopf auf meiner Schulter gebettet, während ich mehr oder minder mit dem Oberkörper auf dem Tisch liege, meinen Kopf auf meinen Händen, die flach auf der Tischplatte ruhen, abgelegt. Es ist wirklich bequem und als Gee ein stilles, aber herzhaftes Gähnen entweicht, werde ich zum einen davon angesteckt, zum anderen auch an eine weitere Frage erinnert, die ich mir heute Morgen noch gestellt habe.

„Sag mal... Hast du heute verpennt oder so?" Gerard bewegt seinen Kopf etwas, scheint eine für's Sprechen günstigere Position zu suchen.
„Ja. Ich hatte gestern Abend noch Besuch."
„Ach wiiiirklich?", grinse ich und schnaube belustigt. Als ob ich vergessen hätte, dass ich gestern bei ihm –
„Nein, ich mein nicht dich. Max war da." Oh. Ähm. Jemand anderes? Nach mir? Aber... Ich bin doch schon relativ spät gegangen... Und wer ist dieser Max überhaupt? Gee hat diesen Namen mir gegenüber noch nie erwähnt... Er scheint zu wissen, dass ich mich genau das frage und gibt mir eine Antwort, noch bevor ich etwas sagen kann.
„Max ist ein sehr guter Freund von mir und... er hat momentan ein paar Probleme. Sein Dad und er sind mehr oder minder zufällig grade in der Gegend. Eigentlich wohnen sie in Philadelphia seit ein paar Monaten, aber zurzeit besuchen sie ein paar Verwandte und ja... naja, wie auch immer. Jedenfalls hat er mich die ganze Nacht wach gehalten, weshalb ich heute Morgen nicht rechtzeitig aus den Federn gekommen bin."
Ich kann spüren, wie er grinst, kann mich aber diesmal nicht davon anstecken lassen, weil ich jetzt erstmal Detektiv spielen und kombinieren muss. Ein Freund, ein guter Freund, von weit weg, ist vor einiger Zeit wieder hierher gekommen. Er scheint Gee echt wichtig zu sein, wenn er sich seine kostbaren Nächte mit ihm um die Ohren schlägt, und auch Donna muss den Jungen mögen, wenn sie sowas zulässt. Hmm...

„War Max die Überraschung, wegen der du Sonntag schon früher nach Hause musstest?"
„Mh-hm. Er wollte mich überraschen und hat deshalb nicht Bescheid gesagt, dass sie herkommen. Dumm nur, dass ich garnicht zuhause war. Mom hat aber am Telefon nicht gesagt, was da in meinem Zimmer auf mich wartet." Wow, bin ich schlau. Ich sollte mich als der neue Sherlock bewerben!

„Okay, und... Wenn du dich gefreut hast, ihn zu sehen, wovon ich einfach mal ausgehe, warum warst du dann gestern Morgen so komisch? Und warum wolltest du mir nicht sagen, dass du einfach diesen Besuch hattest?" Das kann ich mir nicht erklären. Es ist doch schön für ihn, wenn ein Kumpel vorbei kommt, den er länger nicht gesehen hat, auch wenn es mir irgendwie nicht ganz passt, dass er 'nur' wegen nem anderen Kerl früher als sonst bei mir abgehauen ist.
„Ich hab nichts gesagt, weil ich nicht wollte, dass du... Keine Ahnung... Eifersüchtig wirst oder so. Und das andere... Das... ist nicht so wichtig. Hat was mit dem Grund, warum er hier ist, und mit seinen Problemen zu tun, aber das betrifft dich nicht, und mich auch nicht sooo sehr, also musst du dir da keine Sorgen machen, okay?"

„Okay. Lern ich den auch mal kennen?"

„Klar. Ich geh Freitag mit ihm auf den Jahrmarkt, da ist ja Sommerfest. Ich kann fragen, ob du mitkommen kannst, wenn du willst."

„Tu das." Soso... Ich muss schon sagen, ich bin mehr als nur gespannt, diesen Max kennenzulernen. Immerhin scheint er Gerard wirklich wichtig zu sein, denn auch nach Schulschluss, als ich ihn frage, ob ich ihn vielleicht nach Hause fahren soll, lehnt er ab, mit der Begründung, dass er sich jetzt mit eben diesem Typen treffen würde. Und nochmal: Es passt mir nicht. Immerhin kann ich so den Abend garnicht mit Gee kuschelnd auf seinem oder meinem Bett verbringen. Ob er wohl auch mit Max so eng umschlungen geschlafen hat? Ach Quatsch, was denke ich denn? Er und der andere sind nur Freunde, gute Freunde, mehr nicht.
Aber wenn ich es mir so recht überlege, sind Gee und ich ja auch nur befreundet, offiziell zumindest. Ja klar, wir haben uns geküsst und ich bin mir sicher, dass ich nicht mehr der Einzige bin, der mehr empfindet, aber letztendlich haben wir nicht geklärt, was genau das zwischen uns nun ist oder wird oder wie auch immer, weshalb wir automatisch das sind, was wir zuletzt in der Richtung festgelegt haben. Freunde halt. Von mir aus können wir es auch dabei belassen, wenn wir nur so weitermachen, wie bisher, vorausgesetzt, dieser Max stellt keine Konkurrenz dar. Ich werde ja bald sehen, wie er und Gee zueinander stehen. Dann kann ich immernoch entscheiden, ob ich überhaupt einen Grund habe, so eifersüchtig zu sein, wie ich wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit sein werden, sollte Gerard weiterhin so viel mit diesem Kerl machen. Oder es insgeheim vielleicht auch schon bin.


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Zwischendurch mal ein klitzekleines Dankeschön an alle die immer so fleißig voten und Kommentieren x3 Eure Arbeit zahlt sich endlich aus; ich verschütte euch unter nem Haufen neuer Kapitel xD Naja... 'Neu' zumindest für diejenigen, die das alles noch nicht auf ff.de gelesen haben /.\

I'll Be Your Moon When The Last Sun Is SettingWhere stories live. Discover now