Primrue Mellark 3 | Kapitel 38

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Ich schreckte hoch und rieb mir über die Augen. Fast konnte ich sie mittlerweile wirklich nicht mehr offen halten aber es war mir egal. Schlafen würde ich sowieso nicht können, nach alldem was der gestrige Tag und besonders die Nacht, gebracht hatte.
Gerade als Nio gestorben war, hatten sich zwar die restlichen Soldaten im Haus zu uns durchgeschlagen, genauso aber der komplette Rest unserer Gruppe. Die Wachen hatten keine Chance und einige von ihnen ergaben sich sogar, weswegen zumindest wir, keine weiteren Verluste hatten. Zwar gab es ein paar Kratzer und andere kleine Verletzungen aber nichts erstens. Wenn man es also statistisch sah, war es ein Wunder, dass wir bei dieser Mission nur einen Toten zu beklagen hatten. Das der Tote jedoch meine Mutter war, machte es für mich genau so schlimm, als wenn ich die einzige gewesen wäre, die überlebt hätte.
Natürlich dauerte es ein wenig, bis zu allen Anhängern von Nio durchgedrungen war, dass er tot war, jedoch war es nun, wo die Sonne aufging, zumindest hier im Kapitol, regelrecht ruhig.
Einige seiner Anhänger waren geflohen aber sie würden nicht weit kommen. Die meisten waren schlau genug gewesen sich zu ergeben, womit sie zumindest vorerst überlebten. Wer sich um sie kümmerte war mir ziemlich egal, da ich einfach nur fertig war.
Jede Bewegung schien zu anstrengend und ich bewegte mich auch nur so sehr, wie es minimal nötig war. Ich hatte gehofft, dass ich nach Nios Tod mich endlich besser fühlen würde und wenn einfach die Last der Toten von mir abfallen würde. Doch das tat es nicht. Sie waren immer noch wegen ihm gestorben und das konnte auch sein eigener Tod nicht verhindern. Es hatte sich auch kein Gefühl von Sicherheit eingestellt, obwohl er Weg ist und ich konnte nicht verhindern, dass es mich frustrierte.
Um nicht wieder einzunicken stand ich von dem Sofa auf, auf dem ich die letzte halbe Stunde verbracht hatte, weil Nex meinte, dass ich eine Pause machen sollte.
Ich wollte jedoch keine Pause und schaute mich deswegen zum wahrscheinlich zehnten mal im Zimmer um, damit mein Gehirn einfach nur beschäftigt war.
Nach Nios Tod hatten wir uns zum Trius Anwesen durchgeschlagen, was nicht wirklich schwer gewesen war. Seitdem lenkte Nex alle Aufträge von hier und hatte auch Dervan Bescheid gegeben, dass wir es geschafft hatten.
Ich wollte auch irgendetwas tun, wusste jedoch nicht wirklich was, da ich anscheinend nirgendwo wirklich gebraucht wurde.
Die Rebellen hatten den Schritt schon lange und gut geplant. Jeder wusste, was zu tun war, wenn Nio tot war.
Damit blieb mir nur das dumm herum stehen.
Als die Tür aufging schreckte ich zusammen. Eine Angewohnheit, die ich wohl nicht so schnell verlieren würde.
Ich wirbelte herum und konnte nicht anders als zu lächeln, während ich gleichzeitig begann zu weinen.
Auch Cato lächelte zaghaft, ehe er ganz ins Zimmer trat.
So schnell wie ich konnte, überbrückte ich die wenigen Meter zwischen uns und klammerte mich so fest ich konnte an ihn. Auch er hielt mich fest, bettete sein Gesicht in meinen Haaren und schien mit sich zu kämpfen.
„Ich wusste nicht, ob ich dich wiedersehe.", gestand er leise.
„Entschuldige.", brachte ich hervor, „Aber ich bin wieder hier und Nio ist weg."
Ich rutschte nur ein klein wenig von Cato ab, aber nur damit er zu mir schaute und ich unsere Lippen verbinden konnte.
Er war sanft und zögerlich, als wäre es ein erneutes kennenlernen, ehe Cato mich näher an sich zog und den Kuss vertiefte.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe wir uns von einander lösen konnten und Stirn an Stirn nach Luft rangen.
Ich genoss es einen Moment in seinen grauen Augen abtauchen zu können. Cato schiem es dabei genau so zu gehen.
Seine Nähe gab mir unglaublich Kraft, um zum ersten Mal hatte ich das Gefühl noch ein wenig länger durchzuhalten.
„Wo ist mein Vater.", zerstörte ich aber bewusst diesen wundervollen Moment, da ich mich erst um ihn kümmern musste.
„In einem der Schlafzimmer. Gale hält Wache vor seiner Tür, da er niemanden zu sich lassen will. Keine Sorge, in dem Zimmer ist nichts, mit dem er sich etwas antun kann und die Fenster sind aus Panzerglas und verschlossen. Er bekommt sie nicht klein.", erklärte mir Cato.
Ich wusste nicht wirklich, wie ich darauf reagieren sollte. Das es ihm nicht gut gehen würde war mir klar. Schließlich ging es mir auch nicht wirklich gut und ich schaffte es kaum an meine Mutter zu denken. Aber das es ihm so schlecht ging...
„Hat er denn schon was versucht?", wollte ich trotzdem wissen.
„Nein, dass nicht. Wir waren alle in der Zentrale als es passiert war. Er war zusammen gebrochen und hatte geschrien. Seitdem nichts mehr. Keine Reaktion auf irgendetwas."
„Wie ich in der Arena damals.", stellte ich fest.
Ein Schauder durchzog mich, als ich mich daran erinnerte, wie es damals nach dem Tod meines kleinen Bruders war. Der Schmerz hatte mich im ersten Moment regelrecht überrollt aber danach war da einfach nichts mehr.
Ich hatte damals nie vorgehabt zu überleben. Mein einziges Ziel war es gewesen, ihn da heraus zu holen, doch ich hatte versagt. Er war vor meinen Augen gestorben und alles machte keinen Sinn mehr. Ich wollte einfach auch nur noch sterben. Ich hatte aufgegeben, genau wie mein Vater jetzt.
„Ich will zu ihm.", brachte ich hervor und Cato nickte, ehe er mich noch einmal an sich drückte.
Dann nahm er meine Hand und zog mich mit sich.
Der Weg war nicht weit, als ich auch schon Gale am Boden sitzend vorfand.
Als er uns sah sprang er regelrecht auf und kam auf mich zu.
Ehe ich wusste was los war drückte er mich auch schon unglaublich fest an sich, dass ich schon Sorge hatte, dass gleich meine Rippen brechen werden.
„Alles okay mit Peeta?", fragte Cato sofort und sprach damit meine Sorge aus.
„Soweit alles gut. Haymitch ist bei ihm.", antwortete der Mann, der mich immer noch nicht loslassen zu wollen schien.
Ich konnte spüren, wie angespannt er war und erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, dass ich nur an meinen Vater gedacht hatte aber nicht an die anderen Menschen, denen meine Mutter was bedeutet hatte, wie Haymitch oder besonders Gale. Sie hatten sich gerade erst wieder gefunden und nun war Katniss nicht mehr da.
„Es tut mir Leid Gale.", gestand ich deswegen leise.
Ich spürte wie er den Kopf schüttelte, mich gleichzeitig aber noch fest an sich zog, auch wenn ich dachte, dass dies nicht möglich gewesen wäre.
„Immerhin bist du wieder hier.", flüsterte Gale und ich konnte hören, dass er mit den Tränen kämpfte.
Deswegen legte ich nun ebenfalls die Arme um den großen Mann und drückte ihn an mich.
Das schien alles zu sein, was er brauchte, um endlich los lassen zu können. Das erste Schluchzen brach nur leise aus ihm hervor, doch es reichte aus, damit er den Schmerz zuließ.
Ich spürte erneut die Tränen in meinen Augen brennen, doch es war Catos Hand auf meinem Rücken, die mich auf ein Neues durchhalten ließ, während ich den älteren Mann einfach hielt.

Primrue Mellark 3 | Ungewolltes VermächtnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt