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zehn / ten / dix.-

Nach und nach sickert ihre Aussage in meinen Verstand und ich sehe sie sprachlos an.

„Du musst einfach etwas finden, das du liebst, und dann tötest du es, bevor es dich tötet", sagt sie schlicht und ihr Tonfall verursacht eine Gänsehaut bei mir.

Bei einer ruckartigen Handbewegung, es sollte wohl eine komische Geste werden, reißt sie aus Versehen an ihrem Sondenschlauch und die Infusionsstange, welche neben uns steht, beginnt gefährlich zu wackeln. Hektisch greife ich nach ihr, mein Herz rast, da ich urplötzlich aus den Gedanken gerissen wurde.

„Kannst du jetzt auch mal was sagen, anstatt nur dämlich Sauerstoff einzuatmen?", blafft sie mich an und entlockt mir damit ein Grinsen. „Tut mir wirklich äußerst leid, dass ich atme. Ich werde versuchen, es in nächster Zeit einzustellen", meine ich und sie rollt genervt mit den Augen.

„Wie lange bist du schon hier?"

Gleichgültig zuckt sie mit ihren Schultern. „Nach den ersten drei Tagen hier habe ich aufgehört zu zählen. Hält doch kein Mensch aus in diesem Dreckloch", antwortet sie und ich bestätige ihre Aussage. Diese Klapse, die zerbrochenen Jugendlichen Fröhlichkeit aufzwängt, macht einen noch kränker als man es bei der Ankunft ist.

„Zum Glück muss ich nur noch ein paar Wochen hier her. Länger hätte ich es sowieso nicht ausgehalten", sage ich erleichtert und greife nach einer Zigarette. Rauchen über den Häusern der Stadt mitten in der Nacht. Würde ich Savannah nicht kennen und wäre sie nicht so kratzbürstig und verkorkst, dann könnte das glatt der romantischste Abend, den ich bis jetzt mit einem Mädchen verbracht habe.

„Suchen die eigentlich nicht nach dir?", wende ich ein, um diese ekelhaft, peinliche Stille zwischen uns zu brechen. Theatralisch lacht sie auf. „Selbst wenn, würde ich trotzdem nicht auf mein Zimmer gehen. Ich bin doch nicht deren Hund, der ihre Befehle befolgen muss. Außerdem sind es für mich nur irgendwelche fremden Personen, die mir überhaupt nichts zu sagen haben."

„Wieso bist du so?"

Mein Mund übernimmt das Denken und ihre Augen blitzen schlagartig auf. „Wie bin ich denn?", fragt sie provokant und grinst dabei.

Sofort fallen mir mehrere Worte ein. „So desinteressiert, ignorant, distanziert, keine Ahnung. Nenn es, wie du willst."

Wieder folgt ein leises Lachen und sie nimmt einen tiefen Zug, bevor sie mir antwortet. Der Rauch um uns herum verblasst langsam.

„Kennst du all diese Mädchen, die so unglaublich perfekt sind? So einen tollen Charakter haben, dass Bücher über sie geschrieben werden und Filme von ihnen handeln? Ich wollte immer so eine sein, aber ich konnte es nie. Ich passe einfach nicht in diese pinken Schubladen. Schon allein, weil mein Leben nicht so schön glitzernd ist wie bei ihnen. Ich habe noch nie in irgendeine Schublade gepasst."

„Savannah, das hat meine Frage nicht beantwortet. Wieso bist du denn überhaupt so geworden?"

„Deine Lebenserfahrungen machen dich zu dem, was du bist, Kleiner."

„Ach, was ist dir denn widerfahren?", frage ich provokant und hoffe dennoch auf eine ehrliche Antwort ihrerseits.

„Wenn du jetzt ernsthaft denkst, ich packe hier jetzt mein Leben vor dir aus, dann hast du dich aber gewaltig geirrt", lacht sie und ich stimme mit ein.

„Aber wieso hungerst du dann?", rutscht mir dann endlich die Frage raus, die sich seit Tagen in meinem Kopf verkriecht. Ihre Miene verändert sich und das erste Mal kann man so etwas wie Trauer in ihren Augen sehen.

„Wenn du etwas von Außen kaputt machst, bringst du das Innere ebenfalls zum einstürzen."

Ihre Stimme ist nur noch ein leises Flüstern und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihren  wunden Punkt getroffen habe. Wortlos steht sie auf und sieht mich an. Mit zusammengezogenen Augenbrauen erhebe ich mich ebenfalls und beobachte sie schließlich, während sie ihre Sachen wieder in dem schwarzen Rucksack packt. Noch immer frage ich mich, wie sie ihn hier hochschmuggeln konnte. Wie sie ihn überhaupt in die Klinik schmuggeln konnte.

Hektisch zerrt sie ihren Infusionsständer hinter sich her und schreit frustriert auf. Ich zucke zusammen, da ich auf ihren Aufschrei nicht vorbereitet war und sehe sie verwirrt an. „Jetzt kann ich mich noch nicht mal mehr frei bewegen", zischt sie und gibt dem Ding einen Kick, während sie ihn festhält. Pure Wut ist ihr ins Gesicht geschrieben.

„Ich helfe dir, warte", sage ich möglichst ruhig, um sie nicht weiter zu reizen. Ehrlich gesagt würde ich ihr auch zutrauen, dass sie mich in diesem aggressiven Zustand nach einem falschen Wort von der Dachkante schubst und mir lachend beim Fallen zusieht, was ich nicht unbedingt riskieren möchte.

„Ich brauche deine scheiß Hilfe nicht", kommt es wie aus der Pistole geschossen und ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Aktion nicht sehr weit gekommen bin.

Genervt drehe ich mich um und laufe zurück zu der Luke, durch die wir auf das Dach gekommen sind. Sie steht immer noch offen und ehrlich gesagt frage ich mich langsam wirklich, was das hier für ein Krankenhaus ist oder zumindest welches verfluchte Überwachungssystem sie installiert haben, wenn sie nicht einmal bemerken, wenn jemand auf ihrem Dach herum hampelt.

Ohne einen weiteren Gedanken an Savannah oder ihrem Wohlergehen zu verschwenden, klettere ich die Leiter wieder herrunter und laufe die Treppen zu meiner Station. Wenn die Olle keine Hilfe will, dann soll sie gefälligst selbst schauen, wie sie da runter kommt.

Energisch reiße ich die Tür auf und betrete den immer noch stillen und dunklen Gang. „Austin, wo kommst du denn her?", ertönt plötzlich Minas Stimme, während ich die Tür leise zuziehe und ich zucke erschrocken zusammen.

In einem weißen Nachthemd steht sie im Gang und wollte anscheinend zurück in ihr Zimmer gehen. „Fuck, musst du mich denn so erschrecken?", keuche ich und lehne mich gegen die Tür, nachdem das Klacken des Sicherheitsschlosses zu hören war.

Sie kichert kurz und streicht sich dann eine Strähne aus ihrem Gesicht. Mit dem weißen Nachthemd unter flackernden Lampen sieht sie aus wie eine Horrorfilmbesetzung.

„Tut mir leid, ich hatte dich aber nicht hier erwartet. Ich hatte überhaupt niemanden hier erwartet, weshalb eher du mich zu Tode erschreckt hast. Wo warst du?"

„Oben auf dem Dach", antworte ich ihr flüsternd, damit uns niemand bemerkt. Schließlich sollten wir es vermeiden, dass wir noch mehr Lärm nach diesem lauten Aufeinandertreffen produzieren.

„Sie ist auch oben, oder? Es herrschte ein ziemliches Tumult wegen ihr. Ich denke,so schlimm wie heute war es noch nie", erzählt sie mir besorgt. Ich nicke kurz und atme tief ein. „Sie hat die angedrohnte Sonde gekriegt. Ja, sie ist oben, aber es ist besser für alle Beteiligten, wenn sie jetzt nicht in der Nähe von jemandem ist. Sie ist gerade eben..naja. Ein wenig eskaliert."

Mitleidig sieht mich Mina an. Wir wissen beide, was es bedeutet, wenn Savannah wieder einen ihrer Ausraster kriegt.

„Mach dir nichts draus Austin, wir alle verstehen sie nicht."

SavannahTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang