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fünfundzwanzig / twenty-five / vingt-cinq.-

Und tatsächlich sitze ich wenige Tage später nach langer Zeit wieder einigermaßen ausgeschlafen und ohne den hässlichen Augenringen, die mich zu verfolgen scheinen, auf einem der unbequemen Stühlen vor dem Büro meines Direktors und warte auf meine Mutter, die mit ihm ein Gespräch führt. Dadurch, dass meine Mutter recht viel Druck gemacht hat, haben wir relativ früh einen Termin bei ihm bekommen und nun liegt es nur noch an der Überzeugungskraft meiner Mum. Jedoch schien sie ziemlich zuversichtlich, als sie im Büro verschwunden war.

Nach vielen Telefonaten mit meinem Vater und Gesprächen mit meiner Mutter haben wir uns zusammen dafür entschieden, dass ich dort zur Schule gehen solle, falls das mit dem längeren Besuch tatsächlich klappt.

Mein Vater wohnt mit zwei weiteren Kindern und seiner neuen Lebensgefährtin zusammen. Die Älteste stammt aus der Ehe der Frau vor meinem Vater und die Jüngere von Dad, also habe ich noch die Nachricht bekommen, dass ich neben einer Stiefschwester auch eine Halbschwester habe.

Es tut zwar weh zu wissen, dass er sozusagen eine neue Familie und ein neues Leben aufgebaut hat, aber es ist auch schön zu sehen, dass es ihm dadurch besser geht. Und durch die Ältere der beiden Geschwister könnte mir ein Besuch der Schule dort ermöglicht werden.

Wenn ich Glück habe, werde ich in weniger als zwei Wochen in einem Flugzeug nach Deutschland sitzen und endlich alles hinter mir lassen können.

Während ich warte, blicke ich immer wieder zwischendurch auf mein Handy. Auch, wenn es für mich zurzeit bergauf ging, bereitet mir die Sache mit Savannah immer noch schlaflose Nächte. Ich habe seit der Nacht, an der sie bei mir war, nichts mehr von ihr gehört. Sie hat ihr Handy anscheinend seitdem nicht mehr angerührt und ich überlege die ganze Zeit, ob ich ihr schreiben oder sie lieber in Ruhe lassen soll.

Ihre Eltern haben eine Vermisstenanzeige aufgegeben, weshalb die Polizei auch bei uns war. Aber ich konnte ihr nicht einfach dreist in den Rücken fallen und ich konnte ihr nicht die Freiheit nehmen, die sie so dringend brauchte. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht.

Dennoch kann ich mich nur zu gut in die Lage ihrer Eltern versetzen, auch wenn sie in meinen Augen ekelhafte Personen sind und jedes Leid verdienen. Die Ungewissheit, was mit Savannah ist und wie es ihr geht, zerfrisst mich von innen und bricht langsam nach außen durch.

Die Bürotür wird aufgerissen und meine Gedanken damit unterbrochen. „Ich danke Ihnen, schönen Tag noch", höre ich meine Mutter sagen, bevor sie aus dem Raum tritt und mich erschöpft anlächelt. Sie hat sich extra für den Tag frei genommen und ihre Sonntagskleidung angezogen, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Nervös springe ich auf und werfe ihr einen fragenden Blick zu.

Sie nickt kurz, während sie ihren Mantel anzieht. „Er meint, dass es möglich wäre. Dadurch, dass Deutschunterricht an dieser Schule ein Kurs ist, der nachmittags stattfindet, würde er einwilligen", sie macht eine kurze Pause und ich grinse vor Aufregung. „Die Bedingung ist, dass du nach deinem Aufenthalt dort an dem Kurs teilnimmst. Du kannst deine Eindrücke mit den Anderen teilen und die Sprache noch etwas lernen, damit du dann auf den nächsten Besuch etwas vorbereitet bist", teilt sie mir mit und ich nicke hektisch. Ich würde alles dafür geben, meinen Vater besuchen zu können und dass meine Mutter auch insgeheim an mehr als nur einen Besuch denkt, macht mich für den Moment unglaublich glücklich.

„Danke, Mum!", erleichtert umarme ich sie kurz und knete meine Finger, um irgendwie runterzukommen.

Wieder lächelt sie nur. „Kein Problem. Jetzt musst du nur noch den Flug buchen. Von der Seite deines Vaters gibt es ja nichts mehr, was geklärt werden müsste und du könntest jetzt problemlos losfliegen", meint sie und wir verlassen gemeinsam das Schulgebäude. Ich freue mich darüber, dass ich womöglich eine Weile nicht mehr hier her kommen und somit auch die mir bekannten Gesichter nicht mehr ertragen muss.

Wir laufen zum Wagen und steigen ein. Währenddessen drücke ich schonmal die Wahlwiederholung und rufe meinen Vater an, um ihm von dem Gespräch mit dem Direktor und der jetztigen Lage zu erzählen. Er geht nach wenigen Sekunden ran und seine mir bereits vertraute Stimme meldet sich.

„Bei uns ist alles soweit geklärt. Ich müsste nur noch den Flug buchen", informiere ich ihn nach einem kurzen Smalltalk, während meine Mutter den Wagen startet und wir den Heimweg antreten.

„Super. Ich kann es für dich machen, ihr seid ja noch nicht oft geflogen. Ich bezahle auch die Hälfte des Tickets, der Flug ist nicht so teuer, dass man es nicht bezahlen könnte", sagt er und ich stelle mir vor, wie er schmunzelnd in seinem Arbeitszimmer steht.

Strahlend sehe ich meine Mutter an, die nickend zustimmt. „Das ist okay Dad. Wir sind gerade auf dem Nachhauseweg, ich rufe dich morgen an. Schaffst du das mit dem Buchen noch heute?", frage ich und er bejaht.

Er verabschiedet sich, nachdem wir Zuhause ankommen und Mum und ich betreten das Haus. Ich überlege, wie viel Geld ich bereits gespart habe und komme zu einer relativ hohen Summe.

„Mum, du wirst nichts dazuzahlen müssen", teile ich ihr glücklich mit, da ich weiß, dass das Thema Geld sie nach wie vor bedrückt. Fragend sieht sie mich an.

„Ich bin von einem Auslandsaufenthalt mit einer Agentur ausgegangen. Das ist nun mal teuerer als ein normaler Flug, deshalb habe ich relativ viel Geld bereits zusammengespart. Es reicht, wenn ich alleine meine Hälfte zahle", erkläre ich ihr und sie nickt langsam.

„Ich werde dir natürlich trotzdem etwas mitgeben, Austin. Du sollst dir ja etwas dort kaufen können und nicht ständig deinem Vater an der Tasche hängen", antwortet sie lächelnd und schickt mich schließlich hoch in mein Zimmer.

Ich beschließe, Duschen zu gehen und mich schließlich hinzulegen, um den verloren gegangenen Schlaf der letzten Tage wieder nachzuholen.

Um mir die Langweile zu vertreiben, beziehe ich noch mein Bett neu und lege mich schließlich hin. Während ich dann noch am Handy bin und mit einigen Leuten aus der Schule schreibe, um ihnen die Neuigkeiten mitzuteilen, bekomme ich die Nachricht, auf die ich seit Tagen warte.

Es ist zwar nur ein kurzes 'Bin bei meiner Tante angekommen', aber es lässt nun auch die letzte Last verschwinden und ich atme erleichtert aus. Ich überlege kurz, was oder ob ich ihr antworten soll, aber mir fallen nicht die richtigen Worte dafür ein.

Ich liege da und starre ihr Profilbild an, während alles um mich herum verschwimmt. Ich beschließe, mit einem einfachen Smiley zu antworten und sie anzurufen. Nervös wähle ich ihre Nummer und lausche dem Tuten, bis ein Klacken zu hören ist und ihre Stimme ertönt.

Automatisch muss ich grinsen. Ihre Stimme nach all den Tagen wieder zu hören ist wie eine Überdosis Beruhigungsmittel.

„Savannah?", frage ich idiotisch und bekomme nur ein Lachen als Antwort. Es ist schön, sie lachen zu hören. Wann lacht Savannah schon?

„Nein, der Weihnachtsmann. Manchmal bist du wirklich dumm, Austin", gibt sie zurück. Auch ihre bissigen Sprüche und nervigen Konter haben mir ehrlich gesagt gefehlt.

„Wie geht es dir?", frage ich und kaue auf meinen Lippen herum.

„Ich bin gestern Abend angekommen, ich habe das größte Zimmer hier gekriegt. Es ist wie ein Labyrinth, das Haus, aber wirklich schön. Und meine Tante und ich verstehen uns nach wie vor sehr gut", ihre Stimme klingt so federleicht. „Und was ist bei dir so los?"

Grinsend erzähle ich ihr von den Vorfällen in letzter Zeit und sie hört mir gespannt zu.

„Jedenfalls sollte ich dann bald dort sein. Ich bin so froh, dass es bis jetzt so gut geklappt hat. Ich glaube mittlerweile fest daran, dass ich ihn wirklich besuchen kann", beende ich meine Erzählung und sie seufzt.

„Das freut mich. Aber weißt du, es ist wirklich irgendwie traurig, dass du immer an alles und jeden glaubst, außer an dich selbst, Austin."

SavannahWhere stories live. Discover now