25/08/15 - Rebecca Liver

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»Mrs. Liver?« Meine Hände verharrten in der Bewegung, mein Atem stockte. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Mit einem aufgesetzten Lächeln drehte ich mich zu Henry Argussen um. Der Psychiater wirkte so steril wie immer. Kein Adjektiv konnte ihn besser beschreiben: Das hellblaue Hemd faltenlos in der beigen Hose, der weiße Kittel war fleckenfrei, sein Namensschild hing kerzengrade und schien wie neu, während mein eigenes in den tiefen meiner Handtasche verschollen gegangen war. Das eigentliche weiß der Karte war einem hellen grau gewichen und auch das Bild darauf inzwischen zerkratzt. Von meinem wirren Haar ganz zu schweigen, während seine Frisur der einer Ken-Figur aus den 90ern glich.

Er bedachte mich mit einem prüfenden Blick und ich musste daran denken, wie Sam über seinen Nachnamen witzelte. Argussen bewährte sich jedes Mal. »Ist alles in Ordnung? Ich dachte Sie geben das Projekt an Mr. Anderson ab?«

Meine Wangen schmerzten, als ich mich erneut um ein halbherziges Lächeln bemühte. »Ich habe hart dafür gearbeitet, Henry.« Kein Grund an Formalitäten festzuhalten, nur, weil wir uns in den Fluren der Klinik bewegten.

Er sah den Gang hinunter, doch wir waren allein. »Ich weiß, wie viel Arbeit du da reingesteckt hast, aber Sams – «

Ich ließ ihn nicht aussprechen, hob abwehrend meine freie Hand und er verstummte. Meine Stimme klang noch kühler: »Ich komme zurecht.« Henry biss die Zähne zusammen, ich sah seinen Kiefer malmen.

»Du musst das nicht tun, Becca«, presste er hervor. »Anderson würde dir mit Freuden helfen, zumindest so lange übernehmen, bis du genug Zeit hattest um dich – «

»Dr. Anderson«, erwiderte ich und fiel ihm ein weiteres Mal ins Wort. »Ich bin für einen Monat zu Hause gewesen, habe einen Monat lang Zeit gehabt, um mich auf diese Jugendlichen einzustellen, um ihnen die bestmögliche Hilfe anzubieten, die sie kriegen können. Lassen Sie mich meinen Job machen!« Und auf keinen Fall würde ich die Arbeit eines halben Jahres feinsäuberlich sortiert an Travis Anderson abgeben, der von vorneherein einfach bloß scharf auf den Erfolg der Gruppentherapie aus war. Es war meine Initiative. Meine Arbeit. Meine sorgfältigen Notizen. Ich habe die Kids zusammengesucht, ich habe mich mit ihren Vorgeschichten und Diagnosetests beschäftigt, die Erstgespräche geführt.

Travis sollte nicht die Lorbeeren für meine Arbeit ernten. Übernahm er die Gruppe jetzt, würde es schon bald heißen, die Kids hätten sich auf ihn eingestellt und es wäre nur kontraproduktiv, wenn ich die Gruppe übernehmen würde. Nein, ich würde es machen. Ich würde es schaffen.

»Einen schönen Tag noch.« Ich straffte meine Schultern und machte auf dem Absatz kehrt, nur um erneut unterbrochen zu werden.

Vor mir stand ein Mädchen, ein Kind, das so still hinter mir aufgetaucht war, dass selbst Henry sich belegt Räuspern musste. »Kann ich – Können wir dir helfen?« Ihr Blick huschte für einen winzigen Moment von mir zu dem Mann neben mir. Sie rang um Worte und ich erkannte sie. Ich verkrampfte mich und für eine winzige Sekunde schwand das aufgesetzte Lächeln aus meinem Gesicht.

»Marjana«, begann ich. Mein Herz machte einen Satz. Ich hatte sie Anfang des Jahres das letzte Mal gesehen, da war sie unsicher hinter einem der Pädagogen hinterher geschlurft. Wir musste das Erstgespräch zu Dritt führen, weil sie in der ganzen Stunde kaum mehr als eine Handvoll Worte herausgepresst bekommen hat. »Wie kann ich dir helfen?«

Ihr Blick richtet sich wieder auf mich und ich bemühte mich um einen freundlichen Gesichtsausdruck, zwang meine Mundwinkel nach oben. Wir versuchen beide Henry auszublenden, so zu tun, als seien wir hier nur zu zweit. »Ich – Ich weiß nicht, wo Raum C33 ist.«

»Wollen wir gemeinsam hin?«, frage ich vorsichtig. Das Nicken war so zart, dass ich es beinahe übersehen hatte. Ich lächelte erneut aufmunternd und fragte mich, ob ich mich nicht doch übernommen hatte, ob ich nicht doch zu Hause hätte bleiben sollen. Ob ich mich für eine weitere Jugendliche hätte entscheiden sollen, statt einer Zwölfjährigen. Statt einem Kind, das mich mit einem genauso verlorenen Blick bedachte, wie ich mich fühlte. »Okay«, murmelte ich und drehte mich kurz zu Henry, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich die Situation im Griff hatte. Seine Mundwinkel hoben sich, er nickte mir sanft zu und wünschte uns einen schönen Tag. Dann machten wir uns zu zweit auf den Weg in die andere Richtung.


welcome bäck peeps. 7 Jahre später and here we go again

Piece of Arts • PART ONEWhere stories live. Discover now