Während mein Blick durch den großen Saal schweifte, nippte ich an meinem Glas. Es war vielleicht das vierte. Nicht gerade vorbildlich. Aber ich wollte diesen Abend möglichst unbeschadet bestehen und ohne den Wein ging das nicht.
"Erin, sei so lieb und begrüß die Smith's für mich, ja?" Ich nickte Mum zu und machte mich dann auf den Weg zu Mr und Mrs Smith. Nicht zu vergessen Smith Junior.
Ich steckte in einem rosaroten Traum aus Chiffon (Zumindest war es ein Traum für jedes andere Mädchen, ich würde es am liebsten verbrennen). Es lag eng am Oberkörper an und war dort auch mit Spitze besetzt. Ab der Taille fiel der Rock glatt nach unten. Meine blonden Haare waren zu einer komplizierten Hochsteckfrisur gemacht.
"Guten Abend, Mr. und Mrs. Smith." Ich reichte ihnen mit einem falschen Lächeln die Hand die sie ebenfalls mit einem falschen Lächeln schüttelten. "Wie geht es Ihnen mit der Violine, Erin? Hatten Sie in letzter Zeit ein Konzert?" Am liebsten hätte ich laut aufgestöhnt, was hätten sie denn sonst Fragen sollen?
"Sehr gut. Ja, ich glaube sie waren leider nicht da. Es war toll.", log ich. Das Konzert war grässlich. "Sie sehen wundervoll aus.", sagte Mrs. Smith.
Tat ich nicht. Ich sah so aus wie Prinzessin Lillifee nur ohne Zauberstab. Habe ich schon mal erwähnt das ich Prinzessin Lillifee als Kind gehasst hab? Nein, dann sag ich es jetzt. Und ich hasse es noch immer.
Die Sendung selbst war gar nicht das Problem es war einfach diese kompletten Lügen, die erzählt wurden. Aber das war ja in jeder Kindersendung.
"Sie auch.", log ich weiter. Sie sah aus wie ein Fisch. Sagen wir es mal so: Wenn Mrs. Smith durch eine normale Tür wollte, musste man sie da durchquetschen. Und das blaue Kleid, kaschierte das nicht, sondern machte es schlimmer.
"Charles, unterhalte dich noch ein wenig mit Erin. Sie ist wirklich reizend." Die beiden verschwanden und ließen Sicht auf ihren Sohn. Charles war 16 und somit ein Jahr jünger als ich. Seine Haare saugten das Haar Gel förmlich auf, so wie sie aussahen. "Dürfte ich um diesen Tanz bitten?", fragte er mit einem dreckigen Grinsen und hielt mir seine schwitzende Hand hin. "Nein dürfen sie nicht. Ich habe ja schließlich auch noch Niveau", hätte ich am liebsten gerufen, aber das verstoß so gegen jede Regel meiner Eltern.
"Natürlich." Er legte seine fettige Hand auf meine Taille und führte mich. Diese Berührung ließ einen Schauer durch meinen Körper fahren. Vor Ekel. Seine Hand wanderte langsam weiter runter. Mir stieg die Galle hoch.
Bevor sein Ziel fand, das übrigens mein Po war, griff ich sie und legte sie wieder nach oben. "Unterstehen Sie sich. Oder meine Hand wird auf ihrer Nase landen.", zischte ich ihm bedrohlich zu. Sobald der Tanz endlich zu Ende war, wand ich mich aus Charles' schmierigen Händen und brachte so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns.
Ich brauchte frische Luft. Ich rannte fast schon auf die große Tür zu, die zum Balkon führte und öffnete sie ruckartig. Die kalte Nachtluft blies mir ins Gesicht.
Ich lief zum Geländer und blickte in die Ferne. Während andere Mädchen in meinem Alter gerade auf einer Party waren, sich mit ihren Freunden trafen oder sogar mit ihrem Freund, stand ich auf einem monströsen Balkon und blies Trübsal. Wieso konnte ich nicht normal sein? Ich brauchte das ganze Geld nicht. Ich brauchte gar nichts außer einer richtigen Familie.
Manchmal fragte ich mich, ob mich meine Eltern überhaupt liebten. Gegenseitig war bei ihnen nichts, es war eine arrangierte Ehe. Aber ich war ihre Tochter. Musste man nicht irgendwelche Gefühle haben? Irgendetwas? Da war aber nichts. Nada. Dunkeltüte.
"Liebes, komm endlich wie wollen dich endlich spielen hören.", hörte ich die Stimme meines Dad's. Ich nickte und folgte ihm in den Saal. Wir liefen zum großen Flügel und mir wurde eine Violine in die Hand gedrückt.
Am Klavier saß Chelsea. Sie war 18. Wir waren zwar keine Freunde aber Leidensgenossinnen. Ich nickte ihr zu, was sie erwiderte und legte dann die Violine an.
Ich blickte kurz auf die Noten und wusste gleich welches Stück es war. Ich wusste nicht wie es hieß, aber es war ein Trauriges. Der Bogen strich über die Saiten. Ich steckte alles in dieses Stück, all die Trauer, Enttäuschung und Sehnsucht. Es war wie ein stiller Hilferuf. Aber niemand hörte ihn. Das einzige was sie hörten waren einfache Noten keinerlei Gefühl steckte in diesen Leuten. Anstatt ein Herz war in ihrer linken Brust nur ein tiefes schwarzes Loch, das alles in sich zog. Das einzige was diese Menschen liebten war ihr Geld.
Tosender Applaus brach aus. Chelsea erhob sich und gemeinsam verbeugten wir uns. "Ich habe gesehen, das du es aus dem Herzen gespielt hast. Die anderen sind zu blind dafür. Ich versteh dich.", flüsterte Chelsea mir zu bevor unsere Eltern kamen und uns sagten wie toll wir gespielt hatten.
Ich sah den traurigen Ausdruck in ihren Augen. So musste ich aussehen. Das Problem war, man merkt erst wenn mir jemanden etwas nicht stimmt, wenn mit einem selbst dasselbe nicht stimmt. Ich spürte einen seltsamen Druck auf meiner Brust. Und irgendeine kleine Stimme sagte mir: "Ich will nach Hause." Aber dieses 'nach Hause' war nicht mein Haus, nicht mein Zimmer auch nicht mein Bett. Es war etwas Anderes das ich einfach nicht entziffern konnte.
***
Das Tablett lag unberührt neben mir, während ich in einem Buch las. Plötzlich ließ sich jemand mir gegenüber nieder. Langsam hob ich den Kopf und sah Jake irritiert an. "Was machst du hier?", fragte ich misstrauisch und klappte das Buch zu. "Essen. Wonach sieht's denn aus?", fragte er sarkastisch. "Ich meine: Was machst du an diesem Tisch? Gegenüber von mir?" Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und ließ seine Grübchen zum Vorschein kommen. "Ich wollte mich einfach neben ein hübsches Mädchen-"
"Die ganzen Schlampen haben dich genervt, also hast du dich hier hingesetzt, weil niemand mit einem gesunden Menschenverstand sich hier hinsetzen würde.", stellte ich fest. "Zum Teil. Aber hast du gerade indirekt gesagt, dass ich einen kranken Menschenverstand habe?", fragte er mit diesem unwiderstehlichen Grinsen.
"Nein, ich wollte damit eigentlich sagen das du keinen Menschenverstand hast, aber wenn du das so interpretierst..." Seufzend erhob ich mich und brachte mein volles Tablett weg. Jake, so dreist wie er war, folgte mir. "Kannst du mich nicht einfach alleine lassen?", fragte ich entnervt. Woher dieser Mut kam wusste ich nicht, aber er war definitiv besser als das Stottern
***
„Nein. Du musst die Saite mit dem 4. Finger nehmen.", ermahnte mich Katharina. Ich nickte und probierte es diesmal mit dem richtigen Finger. Katharina war schon seit 14 Jahren meine Violinen Lehrerin. Sie kam aus Russland, aber war nicht wie das typische Klischee die totale Perfektionistin. Sie war zwar manchmal streng, aber sie verstand einen. Meine Eltern hatten keine Ahnung vom Spielen weshalb sie denken, dass es ziemlich einfach ist.
Katharina hatte honigblondes Haar, das sie immer mit einer Klammer wegsteckte. Sie war mit der Violine eine echte Göttin. Meine Mutter nannte sie immer Kathrin, weil sie meinte, wenn man schon nicht von hier kam sollte man sich wenigstens anpassen. Ja, sie war rassistisch.
„Und kannst du das Requiem von Mozart schon? Ich finde es ist ein wirkliches Meisterwerk, besonders, wenn man bedenkt, dass er es kurz bevor er starb geschrieben hatte." Man merkte ihr an, dass es ihr schwer fiel die Wörter auszusprechen, aber sie tat es damit meine Mutter, die kurz mit Katharina reden wollte und hinter uns stand, zufrieden war. Katharina liebte russische Stücke, die sie mir auch oft präsentierte ein paar konnte ich sogar.
„Ja, es war ein wenig hart diesem Meisterwerk gerecht zu werden." Meine Mutter bemerkte den Sarkasmus, der in meiner Stimme mitschwang, nicht.
Als sie endlich ging wandte sich Katharina zu mir. "Alles in Ordnung?", fragte sie besorgt. Ich setzte ein Lächeln auf und nickte. "Ja, ja es ist nichts." Ich sah in ihren Augen die Zweifel, aber sie schluckte sie herunter und wir übten weiter.
Nachdem Unterricht war ich Zuhause angekommen und hatte mich sofort an die Arbeit gemacht. Immerhin hatte ich noch einen riesigen Berg Hausaufgaben. Erst um 1 Uhr war ich endlich fertig und kuschelte mich, nachdem ich mich Bett fertiggemacht hatte, in mein Bett
Schon nach einiger Zeit schlief ich mit dem komischen Gefühl, das ich auch beim Ball hatte, ein.
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Heute noch ein Kapitel. Vielen, vielen Dank an AnnabelleBraun für deine lieben Kommentare und natürlich an meine beste Freundin Amarica20.
crazyxbird
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General FictionErins Leben ist schon perfekt durchgeplant, als plötzlich Jake darin auftaucht und alles ziemlich durcheinander bringt. Zum ersten Mal lernt Erin, was es bedeutet zu leben, ohne Regeln zu befolgen und nur an die Zukunft zu denken. Zum ersten Mal le...