Nach vorne blicken

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HERMINE

"DAS ist es, was Du darunter verstehst wenn ich "ich selbst" bin? Ich habe Euch gerade angeschrien!"
Ich wische mir die letzten Tränen von den Wangen und schließe das Fenster.
"Ja das hast Du! Aber das ist es nicht was ich meine."
Ginny legt mir beide Hände auf die Schultern und blickt mir direkt ins Gesicht, ihr warmer Blick ist wieder da.
"Du hast einen Krieg geführt, Du hast Hürden überwunden, die kein anderer genommen hätte und das ohne mit der Wimper zu zucken. Du hast gewonnen. Aber bei dieser Sache mit Malfoy, habe ich Dich nicht wiedererkannt!"
Sie lacht kurz auf.
"Okay, bis auf den Vorfall mit Seamus...da warst Du auf jeden Fall kurz zu Besuch, aber ansonsten...Du hast Dich versteckt, Du hast uns angelogen. Und das obwohl es für Dich eine so große Sache ist."
"Das ist es...und deswegen verstehe ich nicht, warum Du mir einfach so die Entscheidung abnimmst darüber zu sprechen oder nicht."
Ginny schüttelt energisch den Kopf.
"Weil Du es nicht getan hättest. Du hättest weiter geglaubt dass Du auf unsere Gefühle Rücksicht nehmen musst, oder auf unsere Einstellung, unsere Werte. Aber, wie Du eben schon so schön gesagt hast, das macht niemanden zufrieden! Dich nicht, weil Du nicht bekommst was Du willst und uns nicht, weil wir überhaupt nicht wissen, dass Du ein Opfer bringst. Wie sollte unsere Freundschaft weitergehen?"
"Draco ist nicht der Mensch für den ihn alle halten,"setze ich an, aber Ginny unterbricht mich.
"Ich weiß Hermine und ich dachte Du wüsstest dass ich auf Deiner Seite bin, spätestens seit der hässlichen Szene mit Ron. Aber als Du vorhin in unser Abteil gekommen bist, völlig aufgelöst, mit noch mehr Geheimnis um Dich herum, da konnte ich es nicht mehr mit ansehen! So geht das doch nicht! Ihr müsst irgendwas tun! Vor allen Dingen solltet ihr Euch nicht verstecken!"
"Du vergisst Astoria Greengras."
"Nein, ganz und gar nicht. Aber das ist eine Sache von der niemand etwas weiß."
"Oh glaub mir, in Slytherin ist man im Bilde über arrangierte Ehen."
"Und? Dort hättet ihr sowieso den Großteil der Schüler gegen Euch. Kein Verlust! Sie sind alle voller Hass. Ob sie nun ein Feindbild mehr oder weniger haben ist völlig unerheblich!"
Der Zug wird langsamer und die ersten Schüler kommen aus den Abteilen.
"Ihr beide Hermine, könnt etwas Großes tun. Ihr könnt dieses Schwarz/Weiß Denken beenden... oder zumindest ziemlich erschüttern!
Es gibt Grauzonen. Nur wissen wir nach den vergangenen Jahren nicht mehr wie die aussehen!"

Nachdem wir am Abend im großen Saal mit der üblichen Feierlichkeit willkommen geheißen worden sind und Professor McGonagall eine kleine Neujahrsansprache gehalten hat, die vor allem die Schüler der Abschlussklasse angesprochen hat, beginnt das Abendessen.
Ich habe keinen großen Hunger, aber Neville erzählt eine sehr unterhaltsame Geschichte über den Silvesterempfang im Haus seiner Tante zu dem Luna eingeladen war und als wir alle lachen müssen, schmeckt auch mir das Essen.
Ich kann nicht glauben, dass es die letzte Rückkehr nach Hogwarts ist, die wir gerade erleben. Und in mein Lachen, mischt sich ein Hauch Melancholie.
"Es ist unser letztes Neujahr hier,"stelle ich fest.
"Meins nicht,"seuftzt Ginny,"es wird komisch ohne Euch sein. Wehe ihr erscheint nicht zu meiner Abschlussfeier. Dann bringe ich Euch um!"
"Keine Sorge Ginny,"spottet Neville,"Deinem Zorn will ich auf jeden Fall entgehen!"
Gerade will Luna noch etwas erwiedern, als sich hinter Neville jemand räuspert.
Draco!
Mir wird sofort flau im Magen.
Ich habe ihn nicht bemerkt, einige meiner Hausgenossen allerdings schon. Und als ich einen Blick um uns herum werfe, kann ich erkennen, dass es auch an den übrigen Tischen Aufmerksamkeit erregt hat.

Das Abendessen ist grundsätzlich eine Gesamtveranstaltung.
Zu diesem Zeitpunkt sind wirklich alle Schüler sowie der gesamte Lehrkörper anwesend.
Und es ist üblich, dass alle Häuser gemeinsam an IHREN Tischen sitzen.

Draco hat offenbar beschlossen das zu ignorieren.

Sowohl ich, als auch Ginny, Luna und Neville starren ihn fragend an, woraufhin er sich ein weiteres Mal räuspert und sagt:
"Longbottom!"
"Malfoy,"Neville blickt auf die Uhr,"kann ich was für Dich tun? Es ist nicht ganz die passende Uhrzeit, fürchte ich."
"Ich muss mit Hermine sprechen."
"Jetzt?"

Er steht jetzt wirklich schon ein wenig zu lange dort und wirkt ziemlich nervös auf mich.

"Ja! Jetzt."

Neville will tatsächlich noch etwas sagen, aber ich überfahre ihn einfach.

"Neville! Bei Merlin,...lass ihn sich setzen!"

Neville stöhnt und macht den Platz mir gegenüber frei.
"Ihr Zwei fangt an mir auf die Nerven zu gehen."

Endlich setzt Draco sich.

"Was ist los,"frage ich.

"Ich muss mit Dir sprechen!"

"Ja. Das sagtest Du bereits. Worum geht es?"

"Um uns!"

Ich schnappe nach Luft, beuge mich vor und halte mir eine Hand vor den Mund, in der Hoffnung dass es irgendwas nutzt.

"Himmel Draco, müssen wir hier darüber reden?"

"Wo sonst? Es hört uns doch sowieso JEDER zu!"

Ich sehe zur Seite...natürlich stimmt es, auch wenn einige peinlich berührt wegsehen als sie meinen Blick bemerken.

"Okay, dann los."

Er holt tief Luft und setzt sich gerade hin. Auf einmal hat er viel Ähnlichkeit mit dem Draco Malfoy, den ich schon lange kenne, zumindest äußerlich. Ein Gesichtsausdruck als könne ihn nichts erschüttern, mit einer guten Portion Arroganz. Ich mag es, weil ich inzwischen weiß dass es darunter anders aussieht.

"Ich will Dich um etwas bitten."
Er macht eine Pause.
"So wie ich das sehe, haben wir beide eine Beziehung...eine die ich als "ernst" bezeichnen würde. Stimmst Du zu?"

Ich kann spüren, wie alle am Tisch die in Hörweite sitzen, kollektiv ihre Köpfe in unsere Richtung drehen.

Antworten kann ich unmöglich. Ich nicke lediglich.

"Gut. Wärst Du dann einverstanden damit, dass wir aufhören so zu tun als sei das anders?"

"Ja,"bringe ich heraus. Meine Stimme klingt erstickt, von dem Versuch nicht zu weinen.

Plötzlich wendet Draco sich Seamus zu, dem tatsächlich der Mund offen steht.

"Glotz nicht so Finnegan, wie ich höre hat Hermine Dir bereits einmal die Nase gebrochen, sie tuts sicher nochmal wenn Du willst."

Als er wieder mich ansieht ist mir klar, dass er alles andere als gelassen ist. Er zerrt an seiner Kravatte und atmet ein weiteres Mal tief durch.

"Okay. Dann hätten wir das ja geklärt. Entschuldigt die Störung!"

Er steht auf, streicht sein Hemd glatt und nickt in die Runde. Dann dreht er sich um und macht sich auf den Weg zurück zu seinem Tisch, erhobenen Hauptes, mit diesem selbstsicheren, geraden Gang den ich so gern habe und als ich ihm nachsehe, völlig beeindruckt von dieser mutigen Geste, stößt Ginny mir ihren Ellenbogen in die Seite.
Erschrocken greife ich mit einer Hand an die Stelle und sehe sie an. Sie hebt die Augenbrauen und macht eine eindeutige Kopfbewegung, in Dracos Richtung.

Und ich erwache aus meiner Befangenheit, sehe wie alle Draco anstarren, während sie nichtmal wissen was gerade passiert ist.
Ich will nicht dass irgendjemand anfängt zu spekulieren und ich will auch nicht, dass irgendjemand die furchtbar übertriebene Version unserers "Gespräches" von Seamus Finnegan zu hören bekommt.

Also springe ich auf und laufe ihm nach.
"Draco! Warte,"rufe ich und ziehe damit alle Blicke auf mich.

Als ich ihn erreiche, wird mir einmal mehr bewusst, wie groß er ist und ich muss mich daran erinnern, wie ich ihm einmal sagte, dass ich mir notfalls eine Fußbank besorgen würde um an ihn heranzukommen. Der Hintergrund war zwar ein gänzlich Anderer als jetzt, aber ich muss in mich hineinlächeln als ich, ohne noch weiter darüber nachzudenken auf die Sitzbank am Tisch der Hufflepuffs steige, auf dessen Höhe Draco gerade angekommen ist.
Er will etwas zu mir sagen, aber ich lasse ihn nicht. Ich schüttele den Kopf, nehme sein Gesicht in meine Hände und küsse ihn.
Ich kann sein Lächeln an meinen Lippen spüren als er seine Arme um mich schlingt, mich von der Bank hebt und festhält. Meine Füße hängen in der Luft und ich lache als ich mich von ihm löse.
Sein "ich liebe Dich" geht im Gejohle unserer Mitschüler unter -

aber ich...
ich kann es hören!


Alles Was Wir SindWhere stories live. Discover now