Kapitel 30

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Bevor ich mich wieder fassen kann, steht er schon auf und läuft stürmig, aber dennoch unauffällig, aus der Vorlesung.
Unter 300 Studenten fällt man nicht auf. Dachte er sich wahrscheinlich auch.
Ich springe sofort auf und laufe ihm hinterher.
Er hat einen ordentlichen Vorsprung, doch ich schaffe es mich zu nähern.
"Taulant bleib stehen."
Er reagiert nicht.
"Taulant bitte."
Er zögert. Das nutze ich aus.
Plötzlich bin ich nah hinter ihm.
Er bleibt stehen. Seine Kaputze versteckt seinem Kopf.
Ich lege vorsichtig meine Hand auf seine Schulter. Er dreht sich langsam um.
Sein Blick ist auf den Boden gerichtet.
"Taulant, was soll das? Hat Leotrim dich gezwungen mich auszuspionieren?"
Er schüttelt den Kopf.
"Hat er Angst, dass ich was falsches mache?"
Er schmunzelt.
"Haben meine Eltern dich gezwungen?"
Aus mir sprudelt es.
Jetzt schaut er mir in die Augen.
"Er hat nur Angst, dass dir was passiert."
Ich schaue fragend.
"Und warum stalkst DU mich dann? Und nicht er?"
Er schlägt sich die Hände über den Kopf und lacht.
"Ich bin gerade zufällig in Kosove, also hat er mich darum gebeten."
"Aha."
Meine Arme sind verschränkt. Ich schaue ihm tief in die Augen. Er kann meinem Blick kaum standhalten. Er lügt.
"Zufällig, ja?"
Er grinst.
"Ja, ich bin mit meiner Frau hier. Ihr Opa ist krank."
Ich nicke ungläubig.
"Ich muss zurück zur Vorlesung. Sag Leotrim, er braucht dich nicht zu schicken. Ich hab genug Menschen um mich herum, die mich beschützen."
"Das habe ich gesehen.", sagt er mit einem negativen Unterton.
Patrik. Ich lächel. Er meint Patrik.
"Er ist keine Gefahr. Leotrim braucht sich keine Sorgen zu machen."
"In Ordnung."
"Steht schon ein Termin fest?"
Er schaut mich fragend an.
"Die Hochzeit."
"Das hat doch Zeit?"
"Meine Mutter meint ich bin in einem Monat bereits verheiratet."
Er mustert mich. Er denkt nach.
"Ich weiß nichts davon."
Ich schmunzel.
"Schon gut. Meine Mutter will mir wahrscheinlich nur Angst einjagen."
"Angst?"
Ich habe mich verplappert. Mist.
"Ich gehe gerne zur Uni. Ich möchte den Abschluss machen bevor ich heirate."
Er nickt.
"Wir stehen dir damit nicht im Weg."
Ich lache.
"Mir steht jemand anderes im Weg."
Er schaut nachdenklich auf den Boden.
"Na gut. Ich geh rein."
Er will etwas sagen, zögert aber dann doch.
Stattdessen streckt er mir die Hand aus.
Ich drücke sie und wünsche ihm einen schönen Aufenthalt. Er lächelt.
Langsam dreht er sich um und geht.
So auch ich.
"Medina?"
Ich drehe mich zurück.
"Ja?"
Er läuft langsam auf mich zu.
Er bleibt stehen und schaut mich an.
Seine Hand bewegt sich in die Richtung meines Gesichts. Ich ahne was schlimmes und will einen Schritt zurück gehen, doch dann hält er mein Gesicht leicht fest und pustet ein Haar weg.
"Tut mir leid, das hat mich die ganze Zeit schon gestört."
Ich starre ihn an. Er erwidert meinen Blick.
Lange. Ein Gefühl breitet sich in meinem Magen aus.
"Ich..muss dann zurück. Bald sind Prüfungen."
Er mustert mich immer noch. Und nickt.
Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um und laufe zurück zum Saal.
Als ich vor der Tür stehe, drehe ich mich noch kurz um.
Er steht immer noch da. Schnell öffne ich die Tür.

"Medina was war los? Wieso bist du ihm hinterher?"
Ich sitze wie in Trance auf meinem Platz und versuche die vergangenen Minuten zu realisieren.
Sie waren.. komisch.
Patrik mustert mich von der Seite.
"Medina?"
Gresa lässt nicht locker.
Ich atme tief ein und aus.
"Das war Leotrims Bruder."
Sie schaut mich verwundert an.
"Was sucht er hier?"
"Ich weiß nicht genau. Ich glaub sie wollen mich kontrollieren."
Mein Blick schweift zu Patrik. Sein Blick ist ernst.
"Können wir später kurz reden.", fragt er ruhig.
Ich nicke.
"Die können dich doch nicht kontrollieren. Sind die bescheuert?"
"PSSHHHT." ruft ein Mädchen ein paar Reihen vor uns.
Gresa "psht" noch lauter zurück. Patrik und ich beginnen automatisch lauthals zu lachen. Ich liebe Gresa.
Die Professorin ermahnt uns. Also schweigen wir und hören zu.

Doch die ganze Vorlesung über denke ich an Taulant. Die Situation war merkwürdig.
Ich hatte das Gefühl nicht ich zu sein.
Er war angespannt. Ich war angespannt.
Das war so ein Gänsehaut-Moment. Weil es so komisch war. Versteht man das?
Die Art wie wir uns in die Augen geschaut haben war anders. Unangenehm.
Ich bekomme Gänsehaut.
"Alles okay?", flüstert Patrik in mein Ohr.
Ich nicke.

Nach der Vorlesung lenkt mich Gresa einen Moment lang von den Stalking-Gedanken ab, indem sie erklärt wieso sie niemals den Richtigen kennenlernen wird.
"Er ist verheiratet Gresa."
"War doch klar. Alle tollen Männer sind entweder schwul, vergeben oder stehen auf dich."
Patrik reagiert nicht. Er hat es nicht verstanden.
Doch ich schaue Gresa mit offenem Mund an.
Als sie realisiert, was sie gesagt hat, beginnt sie zu lachen. Ich lasse mich davon anstecken.
Patrik reagiert immer noch nicht. Ich schaue ihn an. Er ist gedankenverloren.
"Patrik?"
"Mhh?"
"Was ist los? Warum bist du so nachdenklich?"
Er schaut Gresa an.
"Kann ich kurz mit Medina alleine reden?"
Unser Lachen verstummt.
Sie nickt verstädnisvoll.
Doch ich weiß, dass sie gekränkt ist.
Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange und flüster: "Bitte hass mich nicht."
Sie schmunzelt und verdreht die Augen. Ich sehe ihr den Schmerz an.
"Lass uns nach oben.", unterbricht uns Patrik.
Ich nicke.
Wir laufen zur kleinen alten Bibliothek hoch.
Erinnerungen werden wach.
"Warum willst du hier mit mir reden? Willst du mich etwa wieder küssen?", witzel ich.
Etwas was ich mir angewöhnt habe: Humor.
Lachen, um Schmerzen zu unterdrücken. Auch wenn die Schmerzen wieder kommen.
Einen Moment lang werden sie betäubt.
Doch er lacht nicht. Seine Miene ist ernst.
"Nein, das mach ich nicht mehr."
Ich kneife meine Augen zusammen.
"Ich habe eine schlimme Befürchtung."
Er atmet tief ein und aus und beginnt zu erzählen.


Das Glück trägt den falschen NamenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt