Kapitel 37

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Einige Sekunden betrachte ich mich schweigend im Spiegel.
Meine Augen wandern hoch und runter, hoch und wieder runter.
Das Kleid verzaubert mich. Es fühlt sich wohlig weich an und besteht aus angenehmem Stoff.
Vielleicht Seide?
Es ist nicht unglaublich pompös. Doch die Details machen das Kleid einzigartig.
"Ein einzigartiges Kleid für eine einzigartige Frau.", flüstert Mije, als ob sie meine Gedanken hören kann. Ich schmunzel.
Sie steht hinter mir und trägt die Schleppe, die kein Ende zu nehmen scheint.
Obwohl das Kleid zum Boden hin schlicht ist, beenden kleine spitzenähnliche Details das Kleid.
Sie verlaufen zur Schleppe immer detailreicher, sodass es aussieht als würden kleine Schmetterlinge und Diamanten die Schleppe tragen.
Der oberte Teil des Brautkleides entspricht zu 100% meinen Vorstellungen.
Er schmückt das Bandeaukleid mit durchsichtigem Material, übersät mit Spitze.
Lediglich die Schultern sind frei - der Rest des Oberkörpers, bis hin zu den Armen, ist bedeckt.
Kleine Diamenten, wie auf der Schleppe, liegen auf der Spitze und lassen das Kleid glänzen - ohne zu sehr herauszustechen.
Meine Verletzungen, weden automatisch bedeckt und fallen trotz des dursichtigen Stoffs überhaupt nicht auf. Ich atme zufrieden aus.
Mije öffnet der Besitzerin die Tür.
Obwohl sie keine Emotionen zeigt, leuchten ihre Augen.
"Po shkelqen, bukuroshe." (Du glänzt, du Hübsche.)
Ich lächel leicht.
Sie öffnet die Tür. Ich drehe mich um und laufe hin. Mije dicht hinter mir, während die Besitzerin meine Schleppe hält als ich fast raus bin.
Meine Schwiergermutter und Merita schauen mit geweiteten Augen hoch.
Merita lächelt, während meine Schwiegermutter mit leuchtenden Augen strahlt.
"MashAllah." sagt meine Schwiegermutter und steigt die Treppe hoch.
"Lumja une." (Ich glückliche), flüstert sie als sie vor mir steht.
Sie greift nach meinen Händen und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
Irgendwie befremdlich.
Ich weiß, dass ich nur die Puppe bin, die allen gezeigt werden soll.
Damit die Verwandten sehen, dass der Sohnemann eine hübsche junge Frau geheiratet hat. Damit die Bekannten sich nicht die Mäuler stopfen, dass der Sohn eine Hässliche geheiratet hat, sondern eine mit hübschem Kleid und hübschem Gesicht.
Ich weiß genau, dass ich nur eine Figur in ihrem Spiel bin.
Aber nach all dem was passiert ist, stört mich das Spiel nicht. Ich spiele mit.
Schlimmer als was bisher passiert ist kann es sowieso nicht werden.

Die Besitzerin entschuldigt sich kurz um das zweite Kleid zu holen, doch ich schüttel den Kopf.
"Nuk du tjeter. Kjo eshte perfekte." (Ich will kein anderes, das hier ist perfekt.)
"A je e sigurt?" (Bist du dir sicher?), fragt
meine Schwiegermutter.
Ich nicke.
Wenn man was gutes findet, darf man nie nach was besserem suchen. Oder? Oft, findet man nur schlechteres.
Ich bin zufrieden mit dem Kleid.
Ich wünschte das Gleiche könnte ich über mein Leben sagen.

Die restliche Zeit verbringen wir damit Schuhe und anderes Brautzeugs zu suchen.
Meine Motivation ist nicht die Größte, aber ich muss wie eine glückliche Braut wirken, also lass ich meine schauspielerischen Fähigkeiten spielen.
Mije wirft mir ständig einen fragenden Blick zu.
Sie weiß, dass ich nur bluffe. Aber was soll ich sonst machen liebste Mije? Meine wahren Gefühle zeigen?
Weinen, weil ich jemanden heirate, den ich kaum kenne und nicht liebe?
Schreien, weil ich missbraucht wurde?
Versinken, weil die wahre Liebe an mir vorbeizieht?
Sterben, weil ich diejenigen verlassen werde, die mir den Sinn des Lebens geben?
Ich laufe auf Scherben. Und es hilft nichts, außer zu schlucken.
Die Schmerzen zu schlucken. Das Weinen zu schlucken. Und die Schreie zu schlucken.
Emotionen machen die Scherben nicht stumpfer.
Aber vielleicht die Kraft und Zuversicht, dass die Schmerzen unter den Füßen betäubt werden und der Weg voller Scherben bald ein Ende nimmt.

Als wir zur Kasse gehen und zahlen, ist die Sonne schon fast untergegangen.
"7.000€"
Mir stock beinahe der Atem. 7000€???
Ich will einschreiten, doch Merita stößt mich weg.
Sie gibt mir den "Schon gut."-Blick.
Schon gut? Sie muss das ja auch nicht zahlen.
Mije reagiert sofort, doch meine Schwiegermutter antwortet schon fast wütend.
"Medina eshte si qika jeme. E per qiken teme nuk mdhimet as ni cent." (Medina ist wie meine Tochter. Und für meine Tochter ist mir kein Cent zu schade.)
Ich danke ihr. Doch sie lächelt nur beschämt.

Vor der Tür wartet schon Taulant.
Als er uns sieht, beginnt er zu lächeln.
"Qka po kesh?" (Warum lachst du?), fragt ihn seine Mutter.
"Jom merzit per gruen e per nanen teme."
(Ich habe meine Frau und meine Mutter vermisst.)
Schleimer.
Wir steigen ins Auto. Sofort beginnt seine Mutter ihn zu schlagen und zu ärgern.
"Schleimer.", sagt sie mit einem starken Akzent.
Können heult alle Gedanken lesen?
Ich beginne unaufhaltsam zu lachen.
Sie lässt sich von meinem Lachen anstecken und bald auch Taulant.
Während der Fahrt spüre ich seinen Blick auf mir haften, während er vorgibt in den Rückspiegel zu schauen.
Ich weiß, dass ich mich nicht täusche. Er beobachtet mich. Aber wozu?
Hat er mich schon länger beobachtet und die Befürchtung, dass ich seinen Bruder nur ausnutze? Was sieht er in mir? Eine Aufenthalts-Jägerin?
"Ich glaube er steht auf dich.", sagt Mije wenig später als wir schon zuhause sind.
Ich liege nachdenklich auf dem Bett.
Ohne Suela holen mich die negativen Gedanken sofort ein. Sie war und ist die Medizin für meine Seele.
"Ich glaube, er heckt was aus."
"Seine Blicke sind eindeutig Medina."
"Er hat eine wunderschöne Frau. Warum ich? Die Zukünftige seines Bruders? Das macht keinen Sinn Mije."
"Ich weiß nicht wieso. Aber ich bin nicht dumm Dina, da ist was."
Ich lasse ihre Vermutung unbeantwortet.
Den restlichen Nachmittag und frühen Abend verbringe ich mit nachdenken.
Um mich abzulenken räume ich auf, was genau das Gegenteil erreicht.
Jeder Gegenstand im Raum ist irgendwie mit Erinnerungen befleckt.
Ich denke sofort an Patrik und an Gresa und an meine Schulzeit. Als ich noch glücklich war.
Oh mein Gott war ich glücklich! So verdammt glücklich und ich wusste es nicht einmal!
Ich hab noch mehr Glück angestrebt.
Hat mir das vielleicht den Schlag ins Unglück verpasst? Der Wille nach mehr?
Als ich in meinen Gedanken fast versinke, klingelt es an der Tür.
Mije springt sofort auf.
Ich drehe mich zur Seite. Schlafen.
"Medina, es war Leotrim. Er wartet im Wohnzimmer auf dich, du sollst dich fertig machen. Ihr geht aus."
Wie bitte?
Wütend stehe ich auf und drehe mich zu ihr.
Sie nimmt mich in den Arm und entkrampft meine geballten Fäuste.
"Er gibt sich Mühe, du solltest ihm eine Chance geben."
Ich atme tief ein und aus. Wie war das nochmal Medina? Willst du, dass die Scherben unter dir stumpf werden? Dann sei zuversichtlich.
"Schminkst du mich?"
Auf ihren verwunderten Blick, folgt ein breites Grinsen.

Das Glück trägt den falschen NamenWhere stories live. Discover now