Flucht

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April 1980

Es war eine schwierige Situation für beide und die nächsten Wochen waren merkwürdig und bizarr. Gwen kam es vor, als würden sich Sirius und sie in der Kennenlernen-Phase befinden. Sie gingen höflich und interessiert miteinander um und sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie vor ihrem Geständnis das letzte angeregte Gespräch mit ihm geführt hatte. Es mag auch daran gelegen habe, gab Gwen insgeheim zu, dass sie in aller Frühe das Haus verlassen hatte und oftmals erst sehr spät zurückgekehrt war. Nun jedoch waren sie beide darum bemüht, wieder mehr Zeit füreinander zu finden.

Sie war Sirius unbeschreiblich dankbar, dass er nicht alles hingeschmissen oder sie bedrängt hatte. Sie fühlte sich zwar noch immer schuldig, doch Sirius hielt ihr nichts vor. Und nach einem langen Gespräch waren sie sich nicht nur klar über die Erwartungen des jeweils Anderen, sondern hatten sich auch geeinigt.

Keine durchzechten Nächte mehr, keine Lügen und vor allem - und das war Gwendolyns größtes Opfer - würde sie in Zukunft ein wenig kürzer treten.

Damit hatte Sirius ihre Dienste für den Dunklen Lord gemeint. Es wäre ihr womöglich schwerer gefallen, wenn sie nicht bereits in Ungnade gefallen wäre. Doch die letzten Monate hatte sie sich bereits damit zufrieden geben müssen, Severus zur Hand zu gehen und Severus hatte Verständnis. Er hatte Gwendolyns Entscheidung nicht verstehen können, doch ihr Freund hatte sie akzeptiert, und so sahen sie sich von nun an seltener, sofern der Dunkle Lord nicht nach ihr rief und der Dunkle Lord rief nicht nach ihr. Nicht in den folgenden Tagen und auch nicht in den kommenden Wochen.

Als Gwen und Sirius an einem Morgen am reich gedeckten Frühstückstisch saßen und sich spaßig um den Namen des Kindes stritten, unterbrach sie eine Eule. Sirius stand auf und ließ sie herein. Gwen erkannte sofort, dass es Severus' Eule war.

Sirius blickte misstrauisch drein, als er beobachtete, wie Gwen die Pergamentrolle entknitterte und die Botschaft las. Er stopfte die Reste seines Brötchens in sich hinein und hakte schließlich nach: „Und?"

„Von Sev", antwortete sie knapp und legte den Brief auf den Tisch.

„Was will er?" Sirius sprach im netten Plauderton.

„Mich mal wieder sehen?" Sie lächelte.

Sie schwiegen einige Sekunden und Gwendolyn schloss einen kleinen Moment die Augen.

Sie hatte die Idylle in den letzten Tagen genossen. Sirius' Herzlichkeit und seine unendliche Wärme. Wundervolle Tage lagen hinter ihnen und Gwendolyn hoffte aus tiefstem Herzen, dass dieser Zustand noch weiter andauern würde und aus diesem Grund wagte sie es nicht, ihn allein zurückzulassen.

Er war noch immer ein Gefangener, der an diese Wohnung gefesselt war, doch die letzten Tage schienen auch für Sirius gute gewesen zu sein, denn heute Morgen war er so ausgeglichen und fröhlich, wie schon lange nicht mehr.

Sirius nahm einen großen Schluck Kakao und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

„Wann willst du dich wieder mit ihm treffen?"

„In ein paar Tagen vielleicht. Ich werd ihm später zurückschreiben."

Sirius nickte zufrieden. Er war gutgelaunt und Gwendolyn sah ihn abschätzend an. In den letzten Tagen hatte sie viel nachgedacht. Nicht nur über sich und Sirius, sondern auch über das Kind, das sie erwartete und das ihrer beider Leben vermutlich elementar verändern würde.

Unbewusst legte sie ihre Hände auf die kaum sichtbare Wölbung ihres Bauches. Noch war alles so irreal, so weit weg und sogar für sie selbst noch nicht zu begreifen. Sie hatte versucht, sich ihren Alltag auszumalen, mit allen Höhen und Tiefen, doch irgendwie konnte sie das alles noch nicht glauben. Gwen hatte versucht sich Sirius als Vater vorzustellen, doch der dunkle Schatten, der noch immer über ihr schwebte, ließ ihr Herz erzittern, und der Angst, die sie ab und an in ihre Fänge zog, konnte sich Gwendolyn nicht entziehen.

Im Schatten eines großen NamensWhere stories live. Discover now