Für dich die Hühnersuppe

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Das erste mal in meinem Leben schwänze ich die Schule. Um die weiteren Schulstunden am Montag kümmere ich mich nicht weiter. Den Tag lasse ich einfach an mir vorbeiziehen. Zu meiner Schande bleibt es jedoch nicht bei diesem einzelnen Tag. Die nächsten 96 Stunden spiele ich meinem Dad den schlimmsten Schnupfen vor. Da ich anscheinend wirklich elend aussehe, verordnet er mir strickte Ruhe. So liege ich im Bett, wenn mein Dad zuhause ist und mache es mir mit einem guten Buch und vielen Decken auf meinem kleinen Balkon gemütlich, wenn er arbeiten ist.

Am Wochenende ruft mich Zoey an. Weiß der Geier, woher sie meine Nummer hat. Sie berichtet mir, dass Luca und Theo für zwei Tage von der Schule suspendiert wurden und erst am Donnerstag wieder im Unterricht gesehen wurden. Beide mit sichtbaren Verletzungen. Das schwarzhaarige Mädchen erzählt aufgeregt, wie schlimm Theos gebrochene Nase und Lucas blaue Auge aussieht. Obwohl ich sie nicht sehe, weiß ich, dass ihre Locken wieder mal wild umherfliegen. Und auch bei den Jungs kann ich mir vorstellen, dass sie trotz ihrer Verletzungen ein Lächeln auf ihrem Gesicht tragen. Luca sein Verschmitztes und Theo eins, das förmlich heraus schreit, dass er sein Ziel erreicht hat.

Außerdem diktiert Zoey mir unsere Hausaufgaben und wichtige Definitionen, die sie in Pädagogik aufgeschrieben haben. Sie richtet mir von verschiedenen Lehrern Grüße aus und wünscht selber Gute Besserung.

Vergeblich warte ich darauf, dass ich jemand Anderen als meinen Dad zu Gesicht bekomme. Einmal sehe ich Amber. Aber durch den Bildschirm ist es nicht das Gleiche. Weder Jonas noch Luca kommen mich besuchen. Wobei ich wegen Letzterem zum Teil auch nicht in die Schule gehe. Aber er könnte wenigstens versuchen mit mir Kontakt aufzunehmen.

Am Sonntag Abend wird aus dem vermeintlichen Schnupfen eine ernste Grippe. Zeitweise habe ich das Gefühl als würde mein Kopf platzen. Zuerst bringt mir mein Dad sämtliches Zeug aus der Apotheke mit, bis er mich schlussendlich am Mittwoch Vormittag zum Arzt schleppt. Nach stundenlangen Warten, wie es bei Ärzten so üblich ist, werde ich mit der Diagnose, dass die Grippe in eins, zwei Tagen abgeklungen sein wird, und einem Rezept für weitere Medikamente wieder nach Hause geschickt. Natürlich steckt mich mein Dad sofort ins Bett.

Sobald mein Dad am nächsten Morgen wieder auf der Arbeit ist, humple ich die Treppe hinunter und schalte den Fernseher an. Im Halbschlaf starre ich auf den Bildschirm ohne genau mitzubekommen was gerade passiert. Gegen Mittag klingelt es an der Haustür und ich renne so schnell durch den Flur, dass ich fast hinfalle. "Zivilisation!", rufe ich lauthals, als ich Connie vor der Tür stehen sehe. Während sie mich fröhlich angrinst, schwenkt sie eine Tüte von unserem Lieblingschinesen hin und her. "Ich liebe dich", lache ich und ziehe Connie mit ins Wohnzimmer. Zwischen den ganzen zerwühlten Decken lasse ich mich auf der Couch nieder und räume auf dem Glastisch einige Zeitschriften zur Seite, um das Essen darauf stellen zu können. Gönnerisch reicht mir meine Freundin eine Suppenschale, "für dich die Hühnersuppe und für mich die gebratenen Nudeln." Scherzhaft rolle ich mit meinen Augen. "Du bist so fürsorglich", bedanke ich mich übermütig. "Für dich doch nur das Beste", Con wirft mir einen Luftkuss zu, "Spaß, in der Tüte sind auch noch Nudeln für dich."

Eine Zeit lang essen wir schweigend. Nur leise Essgeräusche und das Klacken der Stäbchen sind zu hören. "Und verrätst du mir auch, warum man solange nichts von dir gehört hat und du dich nur noch in deinem Zimmer aufhältst?", bricht die Blondhaarige das Schweigen. "Ich war krank?", murmele ich. Verständnisvoll nickt sie. "Und jetzt der richtige Grund? Du bist fast nie krank. Also warum jetzt ausgerechnet?" Mit meinem Löffel schabe ich in dem Plastikbehälter herum, obwohl kein einziger Tropfen Suppe mehr drin ist. "Joy?", hakt sie nach. Frustriert grunze ich auf. Deine Freunde wollen eben immer eine Antwort haben. "Luca hat mich letzten Montag geküsst", seufze ich und schiebe meinen Löffel in den Mund, ohne dass sich etwas zu Essen darauf befindet. "Das ist ein Problem, weil?", fragt sie sofort mit einem Grinsen im Gesicht. "Weil wir keine Zeit hatten darüber zusprechen. Weil Theo dazwischen gefunkt hat und alles kaputt machen musste. Weil die Beiden sich anscheinend grün und blau geschlagen haben, sodass sie vom Unterricht suspendiert wurden", rattere ich hinunter. Connie schaut mich mit großen Augen an. "Der Theo?" Ich nicke nur auf ihre Frage hin. "Oh mein Gott, Joy! Luca hat sich für dich geprügelt. Wie süß", quietscht sie dann los. Genervt verdrehe ich meine Augen, obwohl ich kein bisschen böse auf meine Freundin bin.

In ihrem Kopf scheint es zu arbeiten. Schlussendlich klatscht sie in ihre Hände. "Dir ist schon klar, dass ich somit die Wette gewonnen habe?", provokant wackelt Connie mit ihren Augenbrauen. Jetzt arbeitet es in deinem Kopf. Die Wette. "Con", quengele ich, indem ich das 'o' lang ziehe. "Nichts da. Du hast der Wette zugestimmt. Er hat dich als 'Streberin Joyce' zuerst geküsst. Kein Protest. Wenn wir das nächste Mal feiern gehen, bezahlst du meine Getränke. Und damit du auch was von der Wette hast, fragst du Luca nach einem Date." Ich lasse ein Stöhnen verlauten und lege meinen Kopf in den Nacken. "Con! Ich bezahle dir bis an mein Lebensende deine Getränke, aber tu mir das Andere nicht an", gurgele ich. "Auch, wenn das ein verlockendes Angebot ist...Ich lehne dankend ab und erwarte von dir, dass du ihn fragst." So wie sie es sagt, ist es bereits eine beschlossene Sache. Das ist mein Untergang.


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Heute einmal in einem anderen Stil geschrieben. Der Anfang ähnelt doch perfekt einer Kurzprosa. Ein hoch auf mein Deutschlehrer *kotz*

Hoffe es gefällt euch.

Dieses Kapitel soll vorerst als Lückenfüller dienen (:

Distract me with your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt