5.Kapitel

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Die Sonne ging bereits unter, als ich nach Hause kam.

"Sonya! Wo warst du denn so lange?", meine Mutter erwartete mich bereits bei der alten Holztür mit dem kleinen, Rauten ähnlichem Fenster, die wir als Haustüre benutzten.

"Jagen", sagte ich. Halb gelogen halb wahr. Ich hielt ihr den toten Hasen vor die Nase. Er war abgemagert und sein Fell war dreckig. Bei den Schulterblättern, wo mein Pfeil ihn erwischt hatte, verklebte Blut sein Fell. Seine Beine hatte ich mit einem Seil zusammengebunden, um ihn besser tragen zu können.

"In den Wäldern ist nicht viel los. Kaum ein Tier lässt sich zeigen", sagte ich und ging ins Haus.

"Aber sieh doch, du hast etwas gefunden! Aus seinem Fell können wir Leder machen, oder Schuhe, sein Fleisch können wir essen, und die Knochen können wir Olli geben. Ein Hase ist mehr wert als du denkst meine Kleine", ich hasste es wenn sie mich 'kleine' nannte. Immerhin war ich bereits 16 was war daran klein? Als ich ins Wohnzimmer ging, saß mein Vater da. Völlig fertig, den Rücken gekrümmt vor Schmerzen, mit dicken Ringen unter den Augen, saß er auf dem alten Holzstuhl. Ich betrachtete ihn eine Weile. Er schien am Boden zerstört. Ich wusste, dass er sich Sorgen um unsere Familie machte. Als er mich bemerkte, saß er sich ruckartig auf, zeichnete sich ein echt wirkendes Lächeln ins Gesicht und kam auf mich zu.

"Hallo mein Schatz", sagte er und umarmte mich. "Wo warst du die letzte ganze Woche?", fragte ich ihn. "Ich musste in der Mine arbeiten, ein Gang ist eingestürzt und drei Leute sind gestorben. Wir mussten den Gang wieder frei buddeln und ihre Leichen befreien", sagte er, als wäre es nichts schlimmes, aber ich wusste, wie sehr ihm das zu schaffen machte.

"Du musst dich hinlegen. Ich spür doch wie müde du bist", sagte ich zu ihm. Er kratzte sich am Kopf. "Vielleicht hast du ja recht. Ich werde mich ein bisschen hinlegen. Weck mich, wenn das Essen fertig ist"

"Sonya? Aufstehen", meine Mutter drückte mir ein Küsschen auf die Stirn. Ich krächzte protestierend.

"Mama! Ich will schlafen!",sagte ich, drehte mich um und zog mir die Decke über den Kopf.

"Aber ich brauche jemanden, der mir mit dem Füttern der Tiere hilft", ich konnte mir nur zu gut vorstellen wie sie nun da stand: die Arme an der Hüfte, den Kopf leicht geneigt und den Blick stur auf mich gerichtet.

"Ist Papa denn schon wieder weg?", ich öffnete meine Augen leicht. "Ja. Heute Morgen wieder losgezogen. Und nun steh auf. Ich will nicht den ganzen Tag damit verbringen die Tiere zu füttern", ich schnaufte unzufrieden, streckte mich und hüpfte aus dem Bett.

"Morgen Olli", ich kraulte den schwarz-weißen Border Collie hinterm Ohr. Er hechelte zufrieden und schmiegte sich an mein Bein, damit ich ihn weiter streichelte.

"Später okay?", ich verwuschelte ihm sein Fell am Kopf und ging zum Stall.  Ich holte Heu vom Dachboden und schmiss es durch das kleine Loch, durch das man zum Stall sehen konnte, in dem die Kühe standen. Meine Mutter war unten und gab das Heu den Kühen. Doch als ich mich umdrehte erstarrte ich. Wir hatten kaum noch Heu. Nur noch ein kleiner  Haufen war in dem dunklen, verstaubten Raum. Die einzigen Lichtquellen waren die dünnen Schlitze zwischen den Holzbrettern, die als Dach dienen.

"Mum?!", fragte ich. "Was ist?!", rief sie zurück. "Wir haben kaum noch Heu, es reicht gerade mal für die nächsten Tage", murmelte ich. Ich hörte wie meine Mutter die Leiter hinaufklettern und dann den Heuhaufen betrachtete. Sie seufzte und kletterte wieder nach unten.

"Was machen wir jetzt?", fragte ich. "Komm runter und geh jagen", sagte sie. "Was? Aber die Kühe haben doch noch lange nicht genug!", ich streckte meinen Kopf durch das Loch und sah sie an. Ihr Blick war eine Mischung aus Müdigkeit und Verzweiflung.

"Ich weiß. Aber was soll ich denn tun?", fragte sie nur.

Nachdem ich damit fertig war, die Tiere zu füttern und auf die Weide zu treiben packte ich meinen Rucksack zusammen. Olli beobachtete mich japsend.

"Ich kann jetzt nicht spielen, ich muss jagen!", sagte ich ihm. "Sei froh, du bekommst wieder neue Knochen!", bevor ich zum Wald lief, ging ich noch kurz zum Stall, holte mir Stroh, dass ich in meinem Rucksack versteckte und machte mich dann auf dem Weg. Ich wusste ganz  genau, dass wir bereits viel zu wenig von Stroh und Heu hatten, aber ich nahm mir nur ein bisschen. Das würde nicht einmal ein Schaf satt machen. Ich summte ein Lied vor mich hin, welches früher immer meine Mutter für mich gesungen hatte, wenn ich nicht schlafen konnte. Ganz verschwommen erinnerte ich mich an den Text.

Eines Tages als der Fuchs, welcher war sehr hungrig, aus seiner Höhle kroch sah er ein Vögelein.
Das Vöglein sang ein schönes Lied und der Fuchs der lauschte. Als dann ein Häschen kam dazu, der Fuchs er war zu hungrig. Er jagte den Hasen bergab, bergauf, vergaß das kleine Vöglein.
Der Hase war zu schnell für ihn, er musste hungrig umkehren und dann das Vöglein hörte er und er lief schnell zu ihm.
Und als das Vöglein dann so sang, stand ein Rehlein auch da.
Der Fuchs der wollte Futter nur und jagte auch das Rehlein. Doch das Reh es war zu schnell und Fuchs, er musste umkehren.
Das Vöglein sang es kam zu ihm und der Fuchs kapierte. Er setzte sich zum Vögelein und wartete auf Tiere.
Als dann ein Bär kam zu dem Fuchs, der Fuchs ihn nicht bemerkte.
Und dann der Bär jagte den Fuchs und der Fuchs flüchtete.
Er floh in seinem Bau zurück und hielt sich fern vom Vöglein.

Als ich so über den Text nachdachte, fand ich ihn irgendwie angsteinflößend. Ein hungriger Fuchs, der immer jagte und schließlich selbst gejagt wurde. Ich war mit meinem Gedanken bei dem Lied und keuchte auf vor Schreck, als ich die Gestalt vor mir sah. Ein Mann, völlig schwarz gekleidet, stand urplötzlich vor mir.

Drachenbrüder 1 -Die Suche-Where stories live. Discover now