Kiras Neustart

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Draußen fielen bereits die ersten bunt gefärbten Blätter von den Bäumen, während in der Turnhalle eine angespannte Stimmung herrschte. Die waldgrünen Augen wanderten über das Spielfeld. Sie sahen das gegnerische Team, welches sich freudestrahlend auf der hinteren Linie aufstellte, doch zum ersten Mal machte es ihm nichts aus ob sein Gegner sich freute oder nicht. Der Junge ließ das Spiel nochmal durch seinen Kopf gehen. Er hatte mit eigenen Augen sehen können wie viel Potenzial und Können in Karasunos Volleyballteam steckte, doch er hatte auch zeigen können was in ihm steckte. Alles in allem war das Spiel gegen seine Vorbilder besser gelaufen als er es sich hätte vorstellen können. Schließlich war er nicht einmal ein fester Spieler und trotzdem hatte er spielen dürfen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht als er die beleidigten sowie misstrauischen Gesichter von dem kleinen Rotschopf und dem schwarzhaarigen König sah. Jetzt wo er genauer darüber nachdachte, war Karasuno schon immer ein Vorbild für ihn gewesen. Sie waren der Grund warum er nicht mit Volleyball aufgehört hatte. Selbst als manche das Karasuno Volleyballteam für gefallen erklärten, hatte er an sie geglaubt. Nicht weil sein Vater ihm von seinem ehemaligen Team vorgeschwärmt hatte oder weil er sich manchmal von diesen Reden hatte mitreißen lassen, sondern weil sie es mit harter Arbeit an die Spitze geschafft hatten und er daran glaubte das auch diese Generation das schaffen würde. Karasuno war ein würdiger Gegner, das hatte er in diesem Spiel gelernt.
"Kira!" ermahnte ihn der Käpt'n des Teams nun schon zum siebten Mal. Er zuckte zusammen, sah hinter sich, realisierte das er der einzige war der sich noch nicht aufgestellt hatte und eilte zu der weißen Linie. Sie verbeugten sich auf Zeichen des Schiedsrichters und räumten dann das Feld.

Und während sich der Rest des Teams umzog und einer nach dem anderen verabschiedete, saß Kira auf der Bank, darauf wartend das auch der letzte ging.
"Das sollten alle gewesen sein" gab ihm der Käpt'n bescheid. Kira nickte und ihr Gegenüber setzte sich mit dem Rücken zu ihm auf die gegenüberliegende Bank. Nach ein paar Minuten tippte Kira ihm auf die Schulter.
"Kannst schauen, Giro" murmelte er und stopfte seine Klamotten in die Sporttasche, während Giro sich umdrehte. Er sah dabei zu wie Kira die Tasche zuschnürte und schlussendlich auch den Gürtel ihrer viel zu großen Hose festzog.
"Morgen bist du also nicht mehr da, huh?" wisperte er gedankenverloren.
"Das Thema hatten wir schon und wir waren uns einig, das du dich nicht wie ein besorgter Hund aufführen würdest"
"Ich hab's ja nur angesprochen"
"Dann ist dir das ab jetzt untersagt" Giro schmollte ein paar Sekunden.
"Aber du weißt schon das wir uns nur deinetwegen zurückgehalten haben?" Leise lachend warf er sich die Tasche über eine Schulter und tätschelte Giro den Kopf.
"Danke, und jetzt schwing deinen Arsch hoch, ich bin spät dran" Doch Giro dachte nicht einmal daran.
"Ich will nicht. Wenn wir uns verabschieden, werde ich dich nicht wiedersehen. Das ist nicht fair! Karasuno hat dich doch gar nicht verdient" Schmunzelnd bot Kira ihm die Hand an.
"Aber ich kann auch nicht bei euch bleiben... Ich brauche dieses Stipendium!" Leise murrend nahm Giro die Hand an und ließ sich auf die Beine ziehen.
"Ich weiß" seufzte er niedergeschlagen.
"Aber wenn du Hilfe brauchst sagst du Bescheid, ja? Und du wirst auch immer gut darauf achten das dich niemand erwischt und vergiss nicht deinen Schülerpass-"
"Giro" unterbrach Kira ihn.
"Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen von damals. Ich schaffe das" Giro musterte sie von oben bis unten.
"Aber du hast immer noch die selbe Statur wie früher" neckte er sie, während sein Blick an ihren nicht vorhandenen Brüsten hängen blieb. Kurz darauf landete eine Faust in seinem Gesicht.
"Ich hoffe, du hast vor, das mit einem gratis Mittagessen wieder gut zu machen"
"Ist ja schon gut, war nicht so gemeint" murmelte er leise und sah dabei zu wie sie die Türe aufmachte. Er kannte sie bereits seit dem Kindergarten und seit jener Zeit hatte sich einiges geändert. Nicht nur das sie sich seit der Grundschule als ein Junge ausgab. Nein. Wenn es um Kira ging, sollte man immer drei Dinge im Hinterkopf behalten. 1. Sie hasst es wie ein schwaches Mädchen behandelt zu werden. 2. Ihre Persönlichkeit ist alles andere als stark und ausdauernd, doch sie würde niemals zugeben das sie in Wirklichkeit eine Menge Sorgen und Ängste mit sich trägt. Und der dritte und wichtigste Punkt. Man sollte niemals nie, den Fehler machen sie auf dem Spielfeld zu verärgern. Giro schauderte es bei der Erinnerung an das letzte Mal. Er folgte der 164 cm großen Chaotin hinaus und wurde sogleich von einer Masse von Mädchen umgerannt. Kira, die bereits mit Giros Fangirls gerechnet hatte, verdrehte die Augen, sah sich das Schauspiel kurz an und beschloss dann ihren Freund aus der misslichen Lage zu befreien. Sie nahm all ihren Mut zusammen, atmete tief durch und setzte eine tiefe Stimmlage auf.
"Hey, Schlampen! Lasst die Finger von meinem Kumpel, ich will ihn noch ne Zeit lang lebend sehen" Die Menge wandte sich Kira mit feindseligen Blicken zu, doch diese ließ sich davon nicht einschüchtern und verschränkte die Arme um ihre Unsicherheit zu verbergen.
"Verzieht euch!" Leise zischend sowie verärgert tratschend machte sich der Haufen vom Acker. Kira deutete mit dem Kopf auf den Weg hinter sich, was Giro deutete ihr zu folgen.
"Na komm schon, du wirst mich sowieso nicht vor der Kreuzung gehen lassen, richtig?" Auf Giros Gesicht erschien ein breites Grinsen.
"Richtig!" Und während die Beiden ihren gewohnten Heimweg gingen, bemerkte Kira wie sie jemand aus den Schatten heraus beobachtete. Schließlich erreichten sie die Kreuzung. Sie nutzte die Chance um sich umzudrehen und tatsächlich. Ein Mädchen stand etwas weiter entfernt, zu schüchtern um den Mund aufzumachen. Kira überlegte kurz, doch sie konnte nicht anders als sie herzuwinken.
"Hey du" Das Mädchen zuckte nervös zusammen. Unsicher trat es an Kira, welche auf ihrer Schule dafür bekannt war eisige Worte zu verteilen, heran. Ihr Blick wanderte zwischendurch immer mal wieder zu Giro, was Kira nicht entging.
"Wie ist dein Name?"
"M-Miu" Kira lächelte freundlich.
"Hast du dich verlaufen?" Miu sah sich um. Ihre braunen Augen schwiffen herum, während ihre dunkelbraunen Haare von einem leichten Wind mitgenommen wurden. Sie rückte ihre Brille zurecht und brachte ein leichtes Nicken zustande.
"E-ein wenig, j-ja" Kira lächelte freundlich.
"Also dann Miu, ich muss mich leider schon verabschieden, aber weil mein Freund Giro, hier, so ein Gentleman ist, wird er dich an meiner Stelle nach Hause begleiten" Sie zwinkerte ihm zu und verabschiedete sich bevor einer der Beiden Einspruch erheben konnte.
"Habt Spaß" rief sie ihnen hinterher.
Ihr Heimweg führte an einem Imbissrestaurant vorbei an dem Karasuno ihren Sieg feierte. Kira blieb ein paar Momente lang stehen, bevor sie kopfschüttelnd ihre Gedanken abwehrte und verschwand bevor sie bemerkt wurde.
Mit einer geübten Bewegung fischte Kira den Schlüssel aus ihrer zerfledderten Jackentasche. Die Haustüre ging mit einem Quietschen auf und die alten Holzdielen knarzten.
"Kira?" kam es krächzend aus dem Wohnzimmer.
"Bin wieder da" rief Kira aus dem Eingang, zog sich die Schuhe aus, sprang über die kleine Stufe und eilte über den alten Holzboden zu ihrer Mutter. Diese saß zitternd auf der Couch, in ihrem Schoß ein Kissen und in ihren Händen eine Schüssel mit erbrochenem. Kiras Freude versank in tiefer Sorge.
"Hast du deine Tabletten genommen?" fragte sie, während sie Lilien, ihre Mutter, in eine Decke einwickelte.
"Ja, aber viel wichtiger wie-" Ein quälendes Husten unterbrach Liliens Satz.
"Wie ist das Spiel gelaufen?" Ihre Stimme klang als würde sie gleich zerbersten, doch Kira gab sich alle Mühe sich nichts von ihren Sorgen anmerken zu lassen. Schließlich würde das ihrer Mutter auch nicht helfen.
"Wir haben zwar nicht gewonnen, aber Karasunos Team war so cool!" Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen hörte Lilien den Schwärmereien ihrer Tochter über Karasuno zu und je länger sie erzählte, desto mehr erinnerte Kira Lilien an ihren Vater.
"Es tut mir Leid, das ich die Gebühren deiner jetzigen Schule nicht mehr bezahlen kann" Kira unterbrach ihre Schwärmereien und sah ihre Mutter mit einem wehleidigen Blick an.
"Schon gut" wisperte sie.
"Ich hab mich mit den Leuten dort sowieso nicht anfreunden können"
"Was ist mit Giro?" Ein Lächeln huschte über Kiras Gesicht.
"Der zählt nicht, ich kannte ihn schon vorher!" Auch Lilien musste nun Schmunzeln.
"Freust du dich schon auf Morgen?" Kira nickte heftig.
"Ja, dieses Stipendium ist eine große Chance und ich werde mein Bestes geben sie zu nutzen!" Lilien brachte ein Lächeln zustande, das jedoch wenige Sekunden später in einem röchelnden Husten unterging. Kira versuchte sich auf das Kochen zu konzentrieren, doch ihre Gedanken waren vollkommen hin und her gerissen zwischen der Vorfreude auf Morgen und den Sorgen um ihre Mutter. Diese besaß bereits seit ihrer Geburt eine bisher unbekannte Krankheit, die ihre Organe von innen schädigte und ihr Nervensystem langsam aber quälend lähmte. Soweit Kira die Ärzte richtig verstanden hatte war es bei Lilien hauptsächlich der Magen und die Lunge die angegriffen wurde, aber sie konnte sich auch irren, schließlich war das bereits 10 Jahre her. 10 Jahre in denen Lilien die Krankheit mit allen möglichen Tabletten in Schach hielt. Die Tabletten sollten zwar helfen, doch alles was sie taten war die Krankheit still stehen zu lassen. Würde Lilien vergessen eine der über 5 verschiedenen Tablettenarten einzunehmen, bedeutete das Schmerzen, Krämpfe, Blutspucken, Bewusstlosigkeit und schlussendlich der sichere Tod. Zwar könnte man mit einer Operation dafür sorgen das die Krankheit aus dem Körper verbannt wurde, doch das war nicht gerade billig und sie schafften es gerade mal von dem Kinder- und ärmlichen Rentengeld ihrer Mutter über die Runden zu kommen. Seufzend ließ Kira ihren Blick durch das Haus schweifen. Wir haben wirklich Glück das Oma uns das Haus vererbt hat und wir keine Miete zahlen müssen...allerdings... Sie sah zu den Löchern in der Decke, den antiken Fenstern und den rissigen Wänden. Ich hoffe bloß das Dach fällt uns nicht auf den Kopf. Sie schüttelte diese Gedanken ab und widmete sich wieder ihren Aufgaben.
"Positiv denken ist das A und O!" redete sie mit sich selbst, was ein leises Schmunzeln bei Lilien verursachte.
"Dein Vater wäre stolz auf dich" flüsterte sie leise, doch Kira verstand es trotzdem. Ihre Hand verkrampfte sich um den Kochlöffel und ein leises, spöttisches 'Tch' kam aus ihrem Mund.
"Den kümmert das doch kein bisschen"

(Haikyuu FF) Volleyball ist ihr Leben!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt