Nienas Albtraum

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Ein Blitz erhellte den Nachthimmel, gefolgt von einer ganzen Wanne von Regentropfen. Die himmelblauen Augen sahen Kira flehend an.
"Hilf mir!" schluchzte Niena, weckte somit die 16 Jährige aus ihrer Schockstarre. Eilig half sie Niena herein und ehe sie sich versah, hatte sie das durchnässte Häufchen Elend auch schon im Arm. Kira ignorierte die Nässe, verdrängte ihre Sorge ob Niena so nah ihre abgebundenen Brüste fühlen konnte. Sie schob alles, was ihr im Kopf herum schwirrte beiseite und konzentrierte sich voll und ganz auf ihre Freundin, die sie so dringend brauchte. Also schloss Kira die Arme um sie, streichelte ihr mit der einen Hand über den Kopf und versuchte mit ihrer Wärme Nienas Zittern zu vertreiben. Jedoch vergeblich. Stattdessen begann Niena zu schluchzen, ließ ihren Tränen freien Lauf. Ab und zu öffnete sie den Mund, um stille Schreie loszuwerden, doch ansonsten klammerte sie sich an Kira, wie an einen Stützpfeiler, versteckte ihr Gesicht an Kiras Brust und schluchzte, schniefte und schrie. Und Kira stand dort, die Arme fest um sie geschlossen, das Kinn auf Nienas Kopf abgelegt, versuchte sie mit beruhigendem Summen zu trösten nur begleitet vom Gewitter, das draußen tobte. Ungefähr 25 Donner später hatte Niena sich soweit beruhigt, das sich ihr klammernder Griff um Kiras Hemd löste, als würde sie sich zum ersten Mal bewusst werden, was sie tat. Kira sah mit einem sanften Lächeln auf sie hinab, strich ihr über die nasse Stirn und bot ihr eine Packung Taschentücher, ein heißes Bad, trockene Kleidung und einen warmen Kakao an. Der Kloß in Nienas Hals war noch zu groß, zu schwer, als das sie hätte antworten können. Also nickte sie und sah dabei zu, wie Kira hastig den Raum verließ. Als wollte sie Niena keine unnötige Sekunde mit ihren Gedanken alleine lassen. Doch diese wenigen Sekunden reichten bereits aus damit Niena nachzudenken begann. Die folgenden Minuten nahm Niena nur verschwommen war. Es war ihr egal, das Kira sie ins Bad brachte, ihr half sich aus den nassen Sachen zu schälen. Himmel, es war ihr egal das Kira sie nackt sah. Denn im Vergleich zu der letzten Stunde war alles andere nur noch nebensächlich. Ihre Mutter... Sie... Niena konnte den bloßen Gedanken daran nicht ertragen! Der Kloß in ihrem Hals wurde größer und wie zur Antwort, winkelte sie die Beine an, versteckte ihren Kopf und gab sich dem heißen Wasser der Wanne hin. Zitternd atmete Niena aus. Die letzte Stunde saß ihr immer noch in den Knochen. Nagte an ihr. Wollte nicht loslassen. Wahrscheinlich würde sie das auch noch in den nächsten 10 Jahren. Langsam hob sie den Kopf, nahm zum ersten Mal das Summen auf der anderen Seite der Tür wahr. Doch es wollte einfach kein Lächeln über ihr Gesicht huschen. So als scheute es vor diesem Abgrund zurück. Langsam ließ Niena sich in die Wanne sinken, lauschte Kiras Summen, zwang sich nichts anderes mehr wahrzunehmen. Und dank Kira schaffte Niena es ihre Gedanken fernzuhalten. Sie schaffte es die Wanne zu verlassen, die neue Kleidung anzuziehen und die Tür mit einem Klicken aufzuschließen. Vor ihr im Türrahmen lehnte Kira, noch immer summend. Die grünen Augen sahen zu den von Tränen geröteten Wangen hinauf und ein Schimmer von Verständnis glänzte in ihnen auf. In diesem Moment wurde Niena klar, warum sie wie automatisch zu ihm gerannt war, als sie am meisten Hilfe brauchte.
Sie war verliebt.
Tränen brannten in ihren Augen, die Kira folgten, als diese aufstand, Nienas Hand nahm und sie sanft ins Esszimmer zog. Innerlich verfluchte Niena sich dafür in einem solchen Moment auch nur darüber nachzudenken, aber sie mochte die Wärme, die Kira ausstrahlte und instinktiv umfasste sie dessen Hand fester. Hätte sie am Liebsten gar nicht mehr losgelassen. Doch schlussendlich erreichten sie das Wohnzimmer und Nienas Hände umfassten stattdessen die herrlich warme Kakaotasse. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie hätte sich niemals vorstellen können, jemals so zu enden. Sie war erbärmlich. Ein eher trauriger Gedanke, das sie darüber schmunzeln konnte. Seufzend schlürfte sie ihren Kakao, dessen Wärme ein wohliges Gefühl hinterließ. Sie wusste, das Kira sie ansah, jedes Zucken aufnahm und abspeicherte. Dennoch konnte Niena das verletzte Funkeln in ihren Augen nicht unterdrücken. Langsam hob sie den Blick von dem braunen Gebräu und sah der Volleyballspielerin tief in diese faszinierenden, grünen Augen. Ihre Lippen zwangen sich zu einem Lächeln, das kläglich scheiterte.
"Es tut mir Leid, wenn ich störe. Ich wusste nicht, wo ich sonst hinsollte... hab in der Schule nicht viele Freunde..." Ihre Stimme klang viel zerbrechlicher, als Niena es wollte. Eigentlich wollte sie stark sein, doch jedesmal, wenn sie sich an die letzte Stunde erinnerte, rutschte ihr die Maske vom Gesicht. Doch Kira... Kira war herzlich. Scheuchte sie nicht wieder zurück, ließ nicht zu das sie sich auch nur für eine Sekunde schämte, drängte sie nicht. Kira war perfekt. Er war all das, was Niena nie sein würde. Bevor er jedoch etwas zu ihren vor Selbstmitleid triefenden Worten sagen konnte, unterbrach Niena ihn.
"Erinnerst du dich an unser Treffen im Supermarkt?" Kira nickte zögerlich und Nienas Augen wanderten verträumt wieder zurück zum Kakao.
"Du hast mich gefragt warum wir hierher hergezogen sind..." Niena atmete tief durch. Sie hatte noch nie jemandem die ganze Geschichte erzählt. Nicht einmal ihren alten Freunden in Australien. Angst stieg in ihr hoch, doch sie erinnerte sich ganz schnell wieder daran, warum sie Kira vertraute. Warum sie wollte, das er ihr zuhörte. Ihr half. Denn das brauchte sie. Hilfe. Von einem echten Freund. Einem, der sich in diesem Moment die Zeit dafür nahm ihr zuzuhören. Also öffnete Niena den Mund und erzählte. Von ihren Eltern, die sich auf einem Konzert kennen lernten. Ihrer Mutter, die ihren Vater nicht nur liebte sondern auch bewunderte. Ihrem Vater, der damit nicht umgehen konnte und dennoch geblieben war. Und dann erzählte sie von ihren Großeltern, die wie pures Gift alles an dieser Idylle zerstört hatten. Sie rieten ihrem Vater davon ab sich auf ihre Mutter einzulassen, setzten Grace unter enormen Druck, sodass diese immer häufiger einen Ausgleich in anderen Dingen suchte. Manchmal waren es ihre Gefühle und manchmal Alkohol. Bis aus Manchmal schlussendlich meistens wurde und Jin sie verließ, um zurück in sein Heimatland zu ziehen. Niena war damals erst 11, doch da Grace von ihren Eltern noch immer unter Druck gesetzt wurde, suchte sie den Ausgleich bei ihrer Tochter. Sie gab Niena die Schuld an Jins Verschwinden und jedes Mal, wenn sie trank, kam eine gewalttätige Seite in Grace hervor. Über Jahre hinweg versteckte Niena ihre Wunden, denn sie liebte ihre Mutter, wusste das diese es nicht so meinte, was Grace immer wieder dadurch bewies, das sie, nachdem ihr Rausch verflogen war, weinend um Verzeihung flehte. Und Niena verzieh. Immer und immer wieder verzieh sie Dinge, die sie nicht verzeihen sollte. Aber sie tat es trotzdem. Es war ihr egal, das es ein Fehler war. Denn egal was sie tat, wenn sie mit jemandem darüber sprach, sich komisch verhielt oder ihrer Mutter nicht verzieh... Es würde alles auf Grace zurückfallen. Womöglich würde man sie ihr wegnehmen und dann wäre sie ganz allein. Also schwieg Niena. Nahm alles auf, wie ein Schwamm. Grace zog in dem Wahn nach Japan um dort Jin zu finden. Unwissend, das der Schwamm ihrer Tochter bald voll war und auslaufen würde. Eines Tages stellte Niena fest, das sie mit jemandem reden musste und damit nicht zu Grace kommen wollte. Also machte sie sich auf die Suche nach ihrem Vater und fand ihn tatsächlich. Jin war überraschend freundlich, willigte sogar ein mit nach Hause zu kommen um sich mit Grace auszusprechen. Doch das ging mächtig schief. Bis zu dem Punkt an dem Jin aus dem Haus flüchten musste. Das Niena ihm dabei geholfen hatte, wirkte sich nicht gerade gut auf Graces Laune aus und ehe Niena sich versah, versuchte ihre eigene Mutter sie mit einer Bierflasche umzubringen.
Als Niena endete wollte Kira am Liebsten zu Grace rennen und sie anschreien, ohrfeigen. Sie wusste selbst nicht so genau, was sie tun würde, wenn Grace ihr über den Weg lief. Aber sie war sich sicher, das es auf jeden Fall nicht gut enden würde. Seufzend verdrängte Kira ihre Wut. Die konnte sie jetzt am wenigsten gebrauchen. Stattdessen nahm sie Nienas zitternde Hand und schenkte ihr ein sanftes Lächeln, das Liliens sehr nahe kam. Und obwohl Kira keine Worte hatte, um die 14 Jährige zu beruhigen, gab diese ihre starke Maske dennoch auf. Die grünen Augen sahen zu, wie der Erwachsene, der Niena so verzweifelt versuchte zu sein, in einem Meer aus Tränen fortgespült wurde und Kira genoss jede Sekunde davon. Unter Schluchzen drückte Niena ihre Hand fester.
"I-Ich hab Angst..." brachte sie mit zittriger Stimme hervor und Kira gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Eine Weile der Stille folgte, nur gefüllt von Nienas stillen Schreien. Seufzend sah Kira auf die Uhr. Es war viel zu spät, um noch eine weitere Minute wach zu bleiben. Langsam wanderte ihr Blick zurück zu ihrem Gast. Der Schlaf würde ihr sicherlich gut tun. Dennoch wollte sie Niena auf keinen Fall zurückschicken. Aber würde sie ihr Angebot annehmen? Noch immer über eine Lösung grübelnd, bemerkte Kira gar nicht, wie ihre Finger selbstständig Nienas Hand zur Beruhigung streichelten. Als es ihr plötzlich einfiel. Die perfekte Ausrede... naja... zumindest ausreichend. Mit einem breiten Lächeln stand Kira auf, gähnte und bot Niena ihre Hand an.
"Weißt du, im Winter wird mir immer so kalt. Meinst du es wäre okay, wenn ich dich heute Nacht als Teddy missbrauchen darf?" Zögerlich streckte Niena ihre Hand aus. Sie hielt kurz inne, schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und nahm Kiras Hand an.
"Ja..." schluchzte sie, zum ersten Mal mit einem echten Lächeln auf den Lippen, das Kira sogleich erwiderte. Das taube Gefühl, das sich in Niena breit gemacht hatte nachdem sie aus ihrem Zuhause gestürmt war, zog sich in jeder weiteren Sekunde mit Kira immer mehr zurück. Bis es nur noch in der hintersten Ecke ihres Kopfes saß. Niena wusste, das dieses Gefühl sie morgen früh überrumpeln würde. Sie wusste, das sie morgen in der Schule heile Welt spielen musste. Und in diesem Moment hasste sie nichts mehr, als diese verdammte Maske, die sie sich selbst aufzwang. Tag für Tag. Kiras Stimme weckte sie aus ihren Gedanken, die besser nicht werden wollten. Überrascht, das das Bett bereits gemacht wurde, legte Niena ihre Brille auf den Nachttisch und schlüpfte unter die wohlig warme Decke. Ein Lächeln streifte ihre Lippen. Kira war kein guter Lügner. Sie beobachtete, wie er ins Bett neben sie krabbelte, sich in der Decke einmummelte und im nächsten Moment auch schon die Arme um sie schlang. Nienas Augen weiteten sich, als man ihr einen Kuss auf die Stirn gab und die Röte ihr ins Gesicht stieg.
"Gute Nacht, Teddy" flüsterte Kira über ihr, was Niena dazu veranlasste sich an die angenehme Wärmequelle zu schmiegen.
"...gute Nacht..." flüsterte sie, ehe die Erschöpfung sie dazu zwang die Augen zu schließen und sie in einen tiefen Schlaf fiel. 

(Haikyuu FF) Volleyball ist ihr Leben!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt