110. Ein Angebot Teil 1

1.2K 57 0
                                    

Tjurin starrte fassungslos auf die goldenen Münzen die immer noch auf dem Boden seiner Zelle verteilt lagen. Was erwartete sein Vater den eigentlich von ihm? Er hatte schon für Lorena nicht ernsthaft etwas empfunden, was sollte er denn dann bitte für Gefühle gegenüber ihrem Kind haben? Im Grunde hatte er doch mit diesem Bastard überhaupt nichts zu tun. Wer weiß, vielleicht war er ja gar nicht der einzige Liebhaber gewesen, den sich dieses junge Ding gehalten hatte.
Eine innere Stimme sagte dem jungen Herzog zwar, dass er da nur versuchte sich etwas einzureden aber im Grunde hatte er doch wirklich andere Sorgen als Lorena und ihren Bastard. Fast verzweifelt fuhr sich Tjurin durch den Haarschopf. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Würde die Königin in wirklich zum Tode verurteilen?
Tjurin musste sich eingestehen, dass wenn man nach dem harten Buchstaben des Gesetzes ging es wirklich nicht viel gab was für ihn sprach. Doch er war doch schließlich von Ade! Er gehörte der Klasse an, die Gesetze schuf! Dass sie ihm Grenzen setzten oder jetzt vielleicht sogar zu seinem Tode führen würden erschien ihm geradezu widersinnig.
Nachdenklich schritt Tjurin durch seine Zelle. Er musste sich etwas überlegen. Er musste einen Ausweg finden.
Die Erkenntnis, dass er in einer recht ausweglosen Situation war sickerte jedoch mehr und mehr in sein Bewusstsein und schnürte ihm die Kehle zu. Was konnte er schon tun? Sollte er versuchen die Goldmünzen dem Wächter vor der Tür anzubieten damit er ihn freiließ? Das war ein lächerlicher Gedanke. Der Wächter war bewaffnet und könnte ihn zwingen das Gold herauszugeben und ihn trotzdem in dieser Zelle verrotten lassen.
Kämpfen war auch keine Option. Erstens hatte er keine Waffe und zweitens würde es vermutlich nicht mal aus dem Kellergewölbe hinaus schaffen in dem der Kerker untergebracht war. Womöglich würden die Wachen gar nicht erst den Versuch machen ihn lebend gefangen zunehmen sondern schlichtweg kurzen Prozess machen. Die ganze Behandlung die man ihm hier hatte zuteil werden lassen war schließlich eine einzige Demütigung gewesen und zeugte davon, dass man ihm als Gefangenen keine besondere Bedeutung beimaß.
Was das Urteil der Königin anging machte sich Tjurin keine Illusionen. Sicher würde die Monarchin die Höchststrafen verhängen. Natürlich konnte er sein Schicksal noch etwas hinauszögern indem er ein Schiedsverfahren verlangte aber mehr als ein paar Tage Zeit ließ sich dadurch nicht gewinnen.
Tjurin ließ sich auf seine Pritsche sinken und schlug die Hände vors Gesicht. Innerlich verfluchte er sich dafür, dass er sich bei der Unterhaltung mit seinem Vater zu sehr von seinen Gefühlen hatte übermannen lassen. Eine gut platzierter Lüge was seine Gefühle für das ungeborene Kind von Lorena betraf wäre sein Weg in die Freiheit gewesen. Der Umstand jedoch, dass er seinen Vater in Bezug auf seine Tante Ronja nie getäuscht hatte, war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen und hatte derartig logisches Denken verhindert.
Plötzlich fiel Tjurin auf, dass es in seiner Zelle heller wurde. Einmal mehr erfüllte ein geisterhaftes grünes Licht den Raum. Tjurin war sofort auf den Beinen und seine Sinne waren bis aufs äußerste geschärft. Sogleich erblickte er die Lichtquelle. Der grünliche Schein ging von einem Geist aus. Zwar war es diesmal keine Gruppe von Energiewesen die ungerufen in seinem Verlies auftauchte, trotzdem versetzte der Anblick Tjurin in ehrfürchtiges Staunen. Die Kugel die vor ihm schwebte knisterte vor Energie und stellte den größten Geist dar, den Tjurin je gesehen hatte. Das Wesen hatte fast den Durchmesser eines Wagenrads.
Noch während Tjurin darüber nachdachte was hinter dem erneuten Auftauchen eines Energiewesens in seiner Zelle steckte hatte er das Gefühl als würde er von einer Welle aus heißer Luft getroffen werden. Sie floss jedoch nicht um seinen Körper herum sondern schien durch jede Probe in ihn einzudringen und sich ihren Weg zu suchen bis ins tiefste Innere  seiner Seele. Die Welt verschwamm vor den Augen des jungen Herzogs und jede Faser seines Körpers hatte das Gefühl, dass die Umgebung jede Ordnung verloren hatte. Es gab kein oben mehr und kein unten. Das Gefühl war so verwirrend, dass Tjurin stürzte und auf seinen Knien landete.
Zu seiner Überraschung fuhren seine Finger durch sandigen Untergrund. Seine Zelle war alles andere als luxuriös aber der Boden bestand aus solidem Granit. Verblüfft starrte er auf den lockeren Erdboden vor ihm und schließlich wagte Tjurin es seinen Blick zu heben. Ihm stockte der Atem.
Was er sah war völlig unmöglich. Er befand sich wieder in der Holzfällersiedlung wo das Bataillon der Nachtfalken von Letherblaka, Ra zac und einigen Priestern des Helgrinds angegriffen worden war. Der nächtliche Überfall schien sich genau in diesem Moment abzuspielen doch alles um Tjurin herum war wie erstarrt. Ein Letherblaka stieß gerade vom Himmel und hatte seinen Furcht erregenden Schnabel aufgerissen. Mit Angst erfüllten Blicken erwarteten ihn die Soldaten am Boden. Doch nichts geschah. Das Ungetüm verharrte in der Luft ohne auch nur einen Schlag mit seinen ledrigen Schwingen tun zu müssen. Auch alle Umstehenden Soldaten waren in den jeweiligen Bewegungen wie sie gerade ausführten erstarrt. Es war als hätte jemand den Moment in der Zeit angehalten.
"Ich weiß, das muss ein wenig verwirrend für dich sein Mensch."
Eine Stimme die Tjurin auf schreckliche Weise vertraut vorkam ließ ihn herum wirbeln. Abermals schien das, was er sah schlichtweg unmöglich zu sein. Vor ihm stand eine Gestalt, lässig an den hölzernen Stützpfeiler des Vordachs einer Hütte gelehnt.
"Maron?" fragte Tjurin ungläubig.
Sein gegenüber lachte, löste sich von dem Stützpfeiler und kam langsam auf Tjurin zu.
"Nein junger Mensch. Ich bin nicht dein alter Freund Maron" deutlich war der Sarkasmus in der Stimme der Erscheinung zu hören. "Das heißt natürlich nur wenn man diesen Maron wirklich als deinen Freund bezeichnen kann. Er war dir sicher ein Freund. Schließlich hat er sein Leben für dich gegeben. Du hingegen hast ihn nicht mal ordentlich zur letzten Ruhe gebettet. Versteh mich nicht falsch, mir gefällt deine Einstellung. Eigentlich solltest du auch klug genug sein um zu erkennen was ich bin."
Marons Abbild hatte damit begonnen in Kreisen um Tjurin herumzugehen. Der Sohn des Herzogs fühlte sich in die Enge getrieben als ob sich ein wildes Raubtier vor ihm aufbaute und sich bereit machte zum Sprung auf seine Beute. Die Augen der Erscheinung unter stützen diesen Eindruck noch. Wie die Augen einer Katze schien sie in der Dunkelheit zu leuchten.
"Bist du der Geist, der mich in meiner Zelle aufgesucht hat?"
"Bravo! Richtig geraten."
"Was willst du von mir? Und warum siehst du so aus wie mein ehemaliger Stubenkamerad." erkundigte sich Tjurin und bemühte sich die Gestalt, die Maron so ähnlich sah nicht aus den Augen zu lassen.
"Ich habe diese Erscheinungsform gewählt. Sie entstammt deiner Erinnerung und so ist es für uns leichter miteinander zu sprechen. In meiner natürlichen Form schien ich dich etwas zu überfordern."
Unweigerlich fühlte Tjurin sich beleidigt doch er wollte den Geist nicht wütend machen und hörte daher weiterhin zu.
"Du hast unsere Aufmerksamkeit erregt Tjurin Aurastsohn. Du sprichst erst seit kurzer Zeit zu uns aber du hast uns schon bei verschiedenen Gelegenheiten amüsiert. Besonders dieses kleine Spektakel in Bullridge. Recht erheiternd. Nicht ganz so belustigend fanden wir was Du an diesem Ort getan hast. Wir mögen es nicht gegen unseren Willen mit einem Lebewesen verschmolzen zu werden und du hast einen von uns nicht nur in einem Käfig aus Fleisch eingeschlossen sondern auch noch in eines dieser stinkenden Wesen die ihr Ra zac nennt!"
Die Stimme des Geistes war immer kälter und härter geworden. Offenbar war sein Volk wirklich alles andere als erbaut über Tjurins handeln.
"Es tut mir leid." versicherte er schnell. "Es war keine böse Absicht. Es war ein Unfall!"
"Unfall?" zischte der Geist und setzte seine Wanderung um Tjurin fort. Seine glühenden Augen waren dabei beständig auf den jungen Adligen gerichtet. "Ich bin eines der ältesten Geistwesen und habe in all den Jahrhunderten die ich überdauert habe noch nie einen solch tölpelhaften Fehler gesehen. Aber immerhin hast du dadurch unsere Aufmerksamkeit erregt. Du scheinst dich zurzeit in einer recht unglücklichen Lage zu befinden."
"Ja, man will mich hinrichten. Da bin ich mir sicher."
Der Geist unterbrach seine Wanderung und blickte Tjurin stattdessen direkt an.
"Möchtest du den sterben Tjurin Aurastsohn?"
"Natürlich nicht!"
Der Geist trat und zwei Schritte auf Tjurin zu unseren Blick wurde, wenn das überhaupt möglich war, noch durchdringender.
"Dann habe ich ein Angebot für dich. Wenn du einen Auftrag für mich übernimmst wirst du diesen Kerker verlassen und überleben. Interessiert?"
Tjurins Nicken fiel fast andächtig aus. Neue Hoffnung und Selbstsicherheit stieg in ihm auf. Die Geister baten ihn um Hilfe. Nicht einen hochnäsigen Elfen oder ein Drachenreiter, nein, ihn! Offensichtlich erkannten diese mächtigen Wesen was die übrige Welt sich weigerte anzuerkennen. Die simpler Tatsache dass er etwas besonderes war.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWhere stories live. Discover now