Erster Schnee

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von malecfan_forever

Er wusste, dass es eine bescheuerte Idee war. Eine wirklich bescheuerte, zwar mit nicht so schlimmen Folgen, wie es das in Brand stecken von Bruder Mukas Robe letzte Woche gehabt hatte, aber Folgen würde es geben. Niemand schlich sich ungestraft aus der Stadt der Stille, nicht einmal wenn man ein hitziges Hexenmeisterkind mit einem unstillbaren Wissendurst und niemals endenden Energiereserven war. Aber Bruder Enoch hatte gesagt, dass es schneite. Und Schnee hatte etwas absolut magisches für ihn.

Die ersten 10 Jahre hatte er den Schnee immer nur hinter verriegelten Türen sehen können. Es war ihm nie erlaubt, dass Haus zu verlassen, geschweige denn im Schnee zu spielen. Zu groß war die Angst seines Vaters, jemand könnte ihn sehen. Also hatte er einfach hinter dem einzigen Fenster der Hütte gehockt und den Schneeflocken beim Fallen zugesehen. Stunde für Stunde hatte er die Flocken gezählt, Tausende und Abertausende bis es so dunkel war, dass nicht einmal der Schein der einsamen Kerze neben ihm die Finsternis vor dem Fenster hätte durchdringen können. Es waren die vielleicht einzigen schönen Erinnerungen, die er hatte. Die Schneeflocken vor seinem Fenster.

In den drei Jahren, die er nun schon bei den Brüdern der Stille wohnte, hatte er zwar kein Ausgangsverbot gehabt, aber das Verstecken wollen, das unsichtbar leben dass man ihm förmlich in den Leib geprügelt hatte war ihm so in die Seele eingebrannt, dass er sich bis jetzt schlichtweg nicht getraut hatte. Und weil der Bruder, der den Eingang zur Stadt der Stille bewachte noch gruseliger war als alle anderen der Brüderschaft zusammen. Was ihn heute dazu bewog, raus zu gehen war ihm ein Rätsel. Vielleicht weil der Grießpudding heute so gut gewesen war. Oder weil Bruder Enoch heute keine Zeit hatte, Zaubersprüche zu üben. Oder weil er vor Bruder Muka auf der Flucht war, der ihm seine verkohlte Robe wirklich ernstzunehmend übel nahm.

Er musste nur noch durch das große Eisentor huschen, dann wäre er draußen. Leider war die Tür doppelt so groß wie er selber, und obwohl er mit seinen 13 Jahren schon ziemlich groß war, kam er nur mit Mühen dazu, die Tür zu öffnen. Natürlich mit einem schauerlichen Knarzen, dass ihn für kurze Zeit denken ließ alle Toten der gesamten Umgebung aufgeweckt zu haben. Aber da weder Skelette wie aus dem Nichts vor ihm auftauchten, noch die Totenschädel direkt auf Augenhöhe ihren jetzigen Zustand des Totseins aufgaben, quetschte er sich durch die Öffnung zwischen Tür und Mauer und zog das knarzende Ungeheuer schnell wieder zu.

Der gesamte Friedhof, auf dem der Eingang zur Stadt der Stille lag, war weiß. Die Platten der Gräber waren gar nicht mehr zu sehen, und die Grabsteine trugen alle lustige Schneemützen. Es sah wunderschön aus. Als er seine Füße in den Schnee setzte schüttelte er sich einmal kurz. Es war kalt, kälter als er es sich immer vorgestellt hatte. Aber der Schnee knirschte so schön, und er konnte sich nicht helfen. Obwohl Bruder Enoch ihm immer wieder eingeschärft hatte, wie wichtig es war die Stille der Toten nicht zu stören, begann er auf dem Friedhof zu toben, rannte zwischen den Gräbern herum, sprang in kleine Schneehaufen und versuchte, die Raben auf den Dächern der Grabstätten mit Schnee abzuschießen. Er traf kein einziges Mal.

Aber ein besonders großer Bursche hockte vor dem Tor zur Stadt der Stille, und er hatte eine wunderbare Methode gefunden, den Schnee in seinen Händen zu Bällen zu formen und dann zu werfen. Jetzt hatte er einen besonders großen Schneeball in der Hand, der er nach dem Raben warf, der wild krächzend aufflatterte. Der Ball fand trotzdem ein Ziel. Leider hörte das Ziel auf den Namen Bruder Enoch *Du hast dich aus deinem Zimmer geschlichen* "Es tut mir leid" betreten sah er zu Boden. Bruder Enoch hatte ihn noch nie angeschrien, geschweige denn geschlagen wie es sein Vater immer getan hatte, aber den hatte er auch nie Schnee auf die Füße gepfeffert "Ich machs auch nie wieder" Bruder Enoch blieb still. Die große Krähe setzte sich wie von selbstverständlich auf den Stab, den der Bruder in der Hand hielt und schien ihn schadenfroh anzufunkeln. Blödes Vieh.

*Komm wieder rein el chiquillo* Erstaunt sah er hoch. Die Brüder der Stille hatten zwar keine richtigen Gesichtsausdrücke mehr, aber er könnte wetten, dass Bruder Enoch lächelte *Das nächste Mal nimmst du aber einen Schal mit. Und dann zeig ich dir, wie man die Raben auch wirklich trifft*

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Magnus hatte bis eben geschlafen, halb auf Alec drauf, dabei drei Viertel des Sofas in Besitz nehmend. Aber er hatte gerade aus dem Fenster geschaut und festgestellt, dass es schneite. So sehr er die kalte Winterzeit auch hasste, der erste Schnee war immer noch etwas Tolles "Alec, wach auf! Wir müssen nach draußen!" Alec öffnete verschlafen ein Auge, ohne sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen "Wieso? Es ist doch bestimmt arschkalt" "Stimmt" Magnus lachte "Aber ich muss Raben abschießen gehen!"

Merry Magnus-turbulente WeihnachtszeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt