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"Oh Gott", stöhnte ich einige Zeit später erschöpft und zugleich glücklich, als Kris sich neben mich ins Kissen fallen ließ, breit lächelte und sein Brustkorb sich schnell hob und senkte. Ich rollte mich auf die Seite, um meinen besten Freund anzusehen, und legte meine Hand auf seinen verschwitzten Oberkörper.
"Tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe - ich hatte dich nur etwas vermisst", grinste ich schief und drückte meine Lippen nochmal auf seine.
"Kein Problem, ich wäre heute Abend ansonsten wahrscheinlich eh bei dir vorbeigekommen." - "Kannst du doch immer noch", erwiderte ich frech, Kris sah zu mir und schmunzelte. Seine Finger verschränkten sich mit meinen, die bis dahin immer noch damit beschäftigt waren, kleine Muster auf seinen Bauch zu zeichnen: "Vielleicht mach' ich das auch."

Doch das wunderschöne Lächeln, das eben noch sein Gesicht geziert hatte, verblasste nach und nach, bis es ganz verschwunden war und bedrückende Stille eintrat. Ich ahnte bereits, was gleich folgen würde, doch ich bemühte mich dennoch, den Moment zu genießen; mit Kris nackt in seinem weichen Bett, unsere warmen, schwitzigen Körper dicht beinander, unsere verschränkten Finger und immer noch das unglaubliche Gefühl, das unaufhörlich durch meine Adern floss, seitdem Kris mich überall berührt hat und mich mal wieder unsagbare Dinge hat fühlen lassen.

"Du musst langsam verschwinden; Johannes kommt gleich - die neuen Songs, weißt du?" Ich rollte genervt mit den Augen und ließ mich seufzend zurück auf den Rücken fallen.
"Ich weiß, dir gefällt das nicht", murmelte Kris, während er seine Beine aus dem Bett schwang und wieder in seine Boxershorts und anschließend in seine Jeans schlüpfte.
"Da hast du recht." Ich bemühte mich, meine Stimme möglichst kalt klingen zu lassen. Mehr als einen müden Blick bekam ich nicht als Antwort.
Es war dieses ewige Streitthema zwischen ihm und mir; ich wollte unseren Familien und Freunden endlich von Kris und mir erzählen, damit wir wenigstens die Chance hatten, eine richtige Beziehung zu führen, die nicht lediglich daraus bestand, sich hin und wieder zu treffen, Sex zu haben und sich dann anschließend wieder so zu behandeln, als wäre nie etwas passiert - als wären wir immer noch nur diese besten Freunde, wie sie es Millionen mal auf dieser Welt gab. Doch diese Grenze hatten wir schon längst überschritten.
Kris hingegen wollte die ganze Sache immer noch für sich behalten, legte alles daran, dass es auch so blieb und somit war das zwischen uns nicht mehr als eine Affäre.

Kopfschüttelnd strich ich mir mit meiner flachen Hand durchs Gesicht und setzte mich nun auch auf. Kris griff nach seinem auf den Boden liegenden Shirt und verließ mit den Worten "Beeil dich bitte" sein Schlafzimmer.
"Du mich auch", seufzte ich etwas wütend und zog mich schließlich an, bevor ich auf dem Flur nach meiner Jacke an der Garderobe griff. Mein bester Freund saß währenddessen in seiner Küche, stimmte seine Gitarre und nippte hin und wieder an seinem Kaffee. Er sah kurz zu mir und vielleicht lag da etwas schlechtes Gewissen in seinem Blick, doch ich wich diesem viel zu schnell wieder aus, um ihn genauer analysieren zu können.
"Wir sehen uns?", fragte ich dann kurz angebunden und schlüpfte nebenbei in meine Schuhe. Ein gegrummeltes "Mhhm" war seine knappe Antwort, bevor ich ihn schwer ausatmen hörte und einfach mit einem etwas lauteren Türknall seine Wohnung verließ.

Bei mir zuhause angekommen kümmerte ich mich erstmal um sämtliche Hausarbeiten, die ich seit Tagen vor mich herschob. Doch gerade jetzt kam mir die Ablenkung genau richtig; ich war diese heimliche Affäre mit Kris wirklich leid. Seit beinahe anderthalb Jahren lief das jetzt schon zwischen uns - dass wir uns regelmäßig bei ihm oder mir trafen, immer darauf bedacht, dass uns keiner erwischte. Anfangs war das alles neu und aufregend, doch ich konnte ja nicht ahnen, dass Kris die ganze Sache so lange für sich behalten wollte...

*****

Es war im Frühling letzten Jahres. Kris stand unangemeldet vor meiner Tür, präsentierte stolz ein Sixpack Bier und drückte sich mit dem Satz "Fußball geht gleich los" an mir vorbei in meine Wohnung, um sich kurz darauf auf meine große Couch im Wohnzimmer zu schmeißen. Kopfschüttelnd und mit einem Grinsen im Gesicht kam ich ihm gefolgt und setzte mich neben ihn, woraufhin er mir direkt eine Bierdose in die Hand drückte und ich zum richtigen Sender schaltete.

Die zweite Halbzeit hatte gerade erst begonnen als Kris seinen Arm auf die Rückenlehne hinter mir platzierte und kurz darauf mit seinen Fingern sanft durch meine Haare strich; immer wieder spürte ich die kreisenden Bewegungen auf meiner Kopfhaut, die mir Gänsehaut auf dem gesamten Körper beschaffte.
Ich war mir verdammt sicher, dass Kris nicht vom Alkohol gesteuert wurde; dafür hatte er definitiv zu wenig getrunken.

"Das war einfach instinktiv", sagte er heute, wenn ich ihn darauf ansprach, was ihn dazu getrieben hatte.

Ich saß einfach nur da und hatte mich darauf konzentriert möglichst gelassen zu bleiben, um mir nicht anmerken zu lassen, was diese simple Gestik bei mir auslöste. Ich war damals zwar schon ziemlich lange Single gewesen, mir war jedoch bewusst, dass es nicht normal war, bei so einer Berührung vom besten Freund so nervös zu werden. Ich wusste zwar nicht, was es zu bedeuten hatte, aber ich wusste, dass es etwas zu bedeuten hatte.

Mit jeder weiteren Sekunde, die verstrich, fühlte ich mich mehr und mehr wie elektrisiert und irgendwann griff ich nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus, wodurch es fast schon stockdunkel im Wohnzimmer wurde. Mit klopfenden Herzen fand meine zittrige Hand ihren Weg auf Kris' Oberschenkel, woraufhin mein bester Freund aufhörte, mir durch meine Haare zu streichen. Augenblicklich breitete sich Panik in mir aus, dass ich irgendetwas falsch interpretiert und etwas falsch gemacht hatte. Zögernd sah ich zur Seite, wo ich die Umrisse von Kris erkannte, der sich mir langsam näherte, bis sein warmer Atem an meinem Kinn kitzelte und ich die Lücke zwischen unseren Münden schloss.

Seltsamerweise fühlte es sich direkt richtig an; als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan. Als wären unsere Lippen füreinander geschaffen und als hätten wir uns beide jahrelang nichts anderes gewünscht, als diesen Kuss.

Es dauerte nicht lange, bis Kris' Hand meinen Oberkörper entlang strich und seine Finger sich schließlich an meinem Gürtel zu schaffen machten. Ein aufregendes Prickeln durchfuhr mich und ich wollte diesen Moment niemals verstreichen lassen.

Das war das erste Mal, das Kris und ich miteinander geschlafen hatten, was zugegeben ziemlich unbeholfen ablief, aber dennoch wunderschön war.

Die ersten Monate hatten wir es einfach totgeschwiegen. Wir verloren bei unseren Begegnungen nicht ein einziges Wort über 'diese Sache', die deswegen aber längst nicht ausblieb. Ganz im Gegenteil; immer häufiger landeten wir bei unseren Treffen nackt im Bett, auf dem Sofa oder auch gerne mal auf dem Küchentisch.

Erst als Kris immer größere Gewissensbisse bekam, weil er damals ja noch mit Steffi zusammen war, sprach er das Thema mit ernster Miene an. Als wäre es erst letzten Monat gewesen, konnte ich mich heute noch daran erinnern, wie er mir fragend gegenüber saß und Angst hatte, irgendwen zu verletzen.
Wir kamen beide zu dem Ergebnis, dass wir das zwischen uns nicht einfach sein lassen konnten - viel zu sehr genossen wir diese Erfahrung, die sich unglaublich anfühlte und von der wir immer mehr haben wollten. Kris machte mit seiner damaligen Verlobten Schluss und behauptete ihr gegenüber, er hätte keine ausreichenden Gefühle mehr für sie - das war zumindest die halbe Wahrheit.

*****

Und seitdem herrschte ein frustrierender Stillstand.
Es hatte sich nichts bei uns verändert, außer dass der Sex häufiger und regelmäßiger stattfand und immer besser wurde. Das war's. Und das nun seit fast anderthalb Jahren.

Mehr als wir beide sindWhere stories live. Discover now