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~ Kris' Sicht ~

Die Wochen verstrichen und der Winter war längst angebrochen. Zwar hatte es noch nicht geschneit, doch durch den eisigen Wind fühlte es sich so an, als wären die Temperaturen bereits tief im Minusbereich angekommen.
Genau deswegen verbrachte Niels besonders gerne seine Tage in meiner Wohnung; er beneidete mich um meinen wärmenden Kamin und kam fast täglich vorbei, um die kuschlige Atmosphäre etwas genießen zu können, die - laut seiner Aussage - in meinem Wohnzimmer herrschte.
Ich hatte nichts dagegen einzuwenden - ganz im Gegenteil. Ich genoss die vielen Extrastunden mit ihm; die DVD-Abende, die Bundesliga-Nachmittage, das viele leckere Essen, das er fast immer mitbrachte, das Spielen auf meinen Gitarren, das viele vertraute Gerede über alles mögliche und die Zärtlichkeiten, für die zwischendurch auch Platz war, die jedoch nicht im Vordergrund standen.

Seit unserer kleinen "Aussprache" im Herbst, stritten Niels und ich und auch deutlich seltener; die Gewissheit, dass ich ihn liebte, schien ihn ungemein beruhigt zu haben. Ich hatte ja nicht ahnen können, wie sehr er bis dato an allem zweifelte und dachte, ich würde ihn nur für meinen Spaß ausnutzen.
Doch solche Gedanken schienen jetzt hoffentlich aus seinem Kopf verbannt zu sein.

Dennoch; wenn wir uns dann mal doch streiten sollten, artete das Ganze immer ganz schön aus. Vor unseren gemeinsamen Freunden konnten wir zwar uns immer zusammenreißen, aber sobald wir alleine waren, warfen wir uns die unmöglichsten Dinge an den Kopf.
Ich brauchte einfach noch Zeit, um mich mit dem Gedanken anzufreunden, all meinen Bekannten zu erzählen, dass ich nicht nur auf Frauen stand und meine damalige Verlobte und langjährige Freundin für meinen besten Freund verlassen hatte - wieso konnte Niels das nicht einfach so hinnehmen und noch etwas warten?

Ausgerechnet an dem Tag, an dem wir uns abends mit der Band in unserer Stammkneipe treffen wollten, gerieten wir ordentlich aneinander, bis ich - so stur wie ich war - einfach mit den Worten "Ach, leck mich" aus seiner Wohnung geflüchtet war.
Am liebsten wäre ich auch für den Rest des Tages zuhause geblieben, doch Jakob war seit gestern wieder in Hamburg und da das langsam zu einer richtigen Besonderheit wurde, hatte ich keine andere Wahl, als mich gegen zwanzig Uhr auf dem Weg zur U-Bahn zu machen, mit der ich sechs Stationen lang fuhr. Den Rest schaffte ich wohl zu Fuß, doch als ich gerade die Straße überquerte und auf die Bar zusteuerte, entdeckte ich Niels, der in dem Moment auch mich wahrnahm und sein Tempo beschleunigte, um vor mir die Bar zu erreichen und einem Gespräch mit mir aus dem Weg zu gehen.

Ich seufzte, joggte die restlichen Meter und packte den Gitarristen gerade noch rechtzeitig an seinem Arm: "Hey", begrüßte ich ihn zögernd und mit sanfter Stimme, als er mich nicht einmal ansah. Doch auch darauf reagierte er nicht, ich seufzte erneut, fuhr mir durch meine Haare und zog ihn hinter mich her neben die Bar, wo sich eine recht dunkle und abgeschirmte Gasse befand.
Er verdrehte die Augen, doch bevor er auch nur etwas sagen konnte, kam ich ihm zuvor: "Es tut mir leid - mal wieder", murmelte ich resignierend. "Ich bin ein Idiot, aber ich... Was hältst du davon, wenn wir nächste Woche zu meinen Eltern fahren?"
Niels zog skeptisch die Augenbrauen zusammen und ich muss zugegeben, dass es eine unüberlegte Kurzschlussreaktion war, weil es mir im Herzen wehtat, Niels so verletzt zu sehen. Doch als er zu verstehen begann, was ich meinte, und ich das Aufleuchten in seinen Augen sah, wusste ich, dass es das einzig richtige war und mich die Vorstellung ebenfalls glücklich machte, mit ihm zusammen zu sein, uns nicht mehr verstecken zu müssen.

"Meinst du das ernst?", hakte Niels ungläubig nach.
Entschlossen nickte ich: "Ja. Aber lass es uns langsam angehen; erst unsere Familien und je nachdem wie das abläuft, kommen dann unsere Freunde dran. In Ordnung?" Er nickte vehement und presste seine Lippen zu einem dünnen Strich aufeinander, während er aufgeregt nach meinen Händen griff und diese fast zerquetschte.
"Mehr als in Ordnung", grinste er dann und sah kurz zur Seite, um sicher zu gehen, dass niemand in der Nähe war, der uns hätte sehen können.
Als sich das bestätigt hatte, näherte ich mich langsam meinem besten Freund und küsste ihn federleicht. Es dauerte allerdings nicht lange, bis der Kuss intensiver wurde und wir beide immer mehr darin verloren gingen.

Mehr als wir beide sindTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon