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~ Niels' Sicht ~

Verdammte Schwuchtel.

Es hallte in meinem Kopf wieder. Die ganze Zeit, pausenlos. Die Worte verschwanden nicht einfach so aus meinem Gedächtnis, lösten sich nicht in dem Alkohol auf, den ich bereits intus hatte. Nein, sie waren präsent und raubten mir meinen Schlaf, nachdem ich vollkommen fassungslos meine Wohnung erreicht und mich in mein Bett geschmissen hatte, einfach einschlafen und mit der Gewissheit aufwachen wollte, dass alles nur ein böser Traum war. Dass Kris mich nicht von sich gestoßen hatte. Dass er mich nicht beleidigt hatte, nur um seinen vermeintlichen Hetero-Status beizubehalten.
Doch während ich mich in meinem Bett herumwälzte, den Tränen nahe war und meilenweit von einem erholsamen Schlaf entfernt war, machte sich mein Steißbein bei jeder Bewegung schmerzhaft bemerkbar. Es war also wirklich passiert.

Johannes versuchte in dieser Nacht noch ständig, mich zu erreichen, doch ich ignorierte das Klingeln meines Handys konsequent. Wenn ich mit ihm hätte reden wollen, wäre ich eben bestimmt nicht geflüchtet, nachdem er mir in der Seitengasse aufhelfen wollte. Stattdessen wollte ich einfach nur alleine sein, um diese Demütigung schnellstmöglich zu beenden.

Die aufgehende Sonne tauchte mein Schlafzimmer in ein warmes Orange, das mir zuflüsterte, ich sollte es aufgeben, zu versuchen einzuschlafen; ich würde es sowieso nicht schaffen. Der Alkohol hatte sich in meinem Körper weitestgehend abgebaut und die Erinnerungen an den Abend waren verwaschen, doch an das Ende konnte ich mich leider viel zu gut erinnern. Die Bilder spielten sich immer noch klar und deutlich in meinem Kopf ab, der Schmerz war immer noch zu spüren, doch Antworten hatte ich immer noch keine.
Ich entsperrte mein iPhone, das auf meinem Nachttisch lag und seit ungefähr drei Stunden keinen Mucks mehr von sich gegeben hatte. Ich hatte einundzwanzig entgangene Anrufe, vier Nachrichten auf der Mailbox und vierzehn auf WhatsApp. Sowohl alle Anrufe, als auch die Mailboxnachrichten waren von Johannes, genau wie die meisten Nachrichten auf dem Messenger. Jakob und Arne, die nur mitbekommen hatten, wie ich noch einmal in die Bar gestürmt kam, um meine Jacke zu holen, mir noch drei Kurze 'reinzukippen und dann ohne irgendeine Erklärung davonzueilen, hatten mir jeweils auch eine WhatsApp geschickt, in der sie mich fragten, ob alles in Ordnung sei.

Nein, nichts war in Ordnung. Mir wurde versprochen, dass alles besser werden würde und nur wenige Stunden und ein bisschen Alkohol später, wurde dieses Versprechen mitsamt meines Herzens auf bestialische Art und Weise gebrochen.
Ich antwortete niemandem, sperrte wieder mein Handy, nachdem ich nochmal sicher gegangen bin, dass Kris sich wirklich in keinster Weise gemeldet hatte, und schleppte mich unter die Dusche, die mich nicht wie erhofft besser fühlen ließ.

Auch nach dem heißen, auf mich prassenden Wasser, dem Anziehen von frischen Klamotten und einer Tasse Kaffee schaute ich auf mein Handy - keine Nachricht von ihm.
Meine Augen brannten unter meinen Lidern, die ich geschlossen hatte, um für einen kurzen Moment meine Gedanken zu sortieren - ein lächerlicher Versuch.

Letztendlich schlüpfte ich in meine Schuhe und griff nach Kris' Mantel, den er bei seiner Flucht vergessen und ich mitgenommen hatte, als ich meine eigene Jacke geholt hatte, die ich mir nun auch überzog.
Ich brauchte eine Erklärung, wollte Kris spüren lassen, für was einen Feigling ich ihn hielt und wie sehr ich verletzt war.
Während der dreiundzwanzig minütigen Fahrt mit der U-Bahn starrten mich die wenigen Menschen, die an einem Samstag so früh unterwegs waren, an. Ich sah schließlich auch mehr tot als lebendig aus und fühlte mich passenderweise genauso. Während ich die Blicke zu ignorieren versuchte, krallte ich mich in den wärmenden Stoff Kris' Mantels, von dem aus ganz leicht der mir so vertraute Geruch in die Nase stieg. Es erinnerte mich als allererstes an all die Male, wo ich bei unseren innigen Umarmungen mein Gesicht an seiner Halsbeuge vergraben und tief eingeatmet hatte.

Mehr als wir beide sindTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon