Kapitel 27

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So und jetzt möglichst schnell und unauffällig wieder zurück zu meinem Platz, Sachen einpacken und dann ab nach Hause. Gerade war ich echt unheimlich froh darüber, jetzt schon frei zu haben. Denn auch wenn ich in dem Brief geschrieben hatte,  dass Stefan sich gedulden soll, bis ich ihm seine ganzen Fragen beantworten kann, war es nicht auszuschließen, dass er mich trotzdem darauf ansprach. So gut kannte ich ihn mittlerweile und auch wenn ich wusste, dass er es nicht böse meint, sondern mir eigentlich nur helfen wollte, würde das meine momentane Situation nicht gerade besser machen. Mit einem eher verhaltenen "Tschüss, bis morgen!" verabschiedete ich mich und beeilte mich, so schnell wie möglich zu meinem Auto zu kommen.  Ich sah Stefan ab der anderen Ecke des Schulhofs stehen und offenbar hatte ich ihn wohl etwas zu lange angeguckt,  denn nun wendete er seinen Blick weg von den beiden Schülern und guckte mich direkt an.  Ich konnte meine Blick einfach nicht von Stefan losreißen und stolperte deshalb sehr unbeholfen die Treppenstufe zu Parkplatz runter. Zum Glück konnte ich mich noch fangen, denn sonst hätte ich vermutlich der Länge nach auf dem Schulhof gelegen und das wäre dann richtig peinlich geworden. Von Stefan vernahm ich nur ein etwas schadenfrohes  Lachen, bevor ich endlich in mein Auto stieg und losfuhr.
Im Rückspiegel sah ich noch, wie Stefan nun wieder Richtung Schulgebäude ging. Wahrscheinlich wollte er ins Lehrerzimmer -Bei dem Gedanken, dass er wahrscheinlich gleich meinen Brief finden und lesen würde, war mir doch etwas mulmig zu Mute. Ich hoffe einfach, dass noch kein anderer davon mitbekommen hat und dass das Ganze unter uns bleiben würde.
Während Karin nach Hause fuhr, machte sich Stefan tatsächlich auf den Weg ins Lehrerzimmer. Dabei ließen ihn die Gedanken an seine neue Kollegin einfach nicht mehr los.
Warum müssen Frauen nur immer so kompliziert sein,  Karin war mir vom ersten Moment an außergewöhnlich sympathisch und löste etwas in mir aus,  etwas ganz tief in meinem Inneren, etwas was ich überhaupt noch nie verspürt hatte. Einfach unbeschreiblich, wenn sie in meiner Nähe ist. Aber ich weiß nicht was ich mit ihr anfangen soll,  in einen Moment sind wir uns so unglaublich vertraut und dann haut sie einfach ab und kann es gar nicht abwarten, so schnell wie möglich weg von mir zu kommen und dann gerade auf dem Schulhof starrt sie mich an und fesselt mich mit ihrem Blick, dann fällt sie fast hin und weicht meinem Blick dann wieder völlig aus.  Ich steige da einfach nicht durch und reden tut sie mit mir ja auch nicht.  Vielleicht kann ich das ja auch alles gar nicht verstehen, immerhin bin ich keine Frau und die weiblichen Wesen gehören ja bekanntlich zu den kompliziertesten der Erde. Ach egal, vergessen wir das einfach,  die kriegt sich schon irgendwann wieder ein. Jetzt wenden wie uns mal wieder den wichtigen Dingen des Lebens zu und hoffen, dass endlich der aktuelle Vertretungsplan in meinem Fach liegt.
In seinem fach hatten sich einige Sachen angesammelt. Er blätterte die ganz Zettel grob durch. Ein paar Entschuldigungen von Schülern, allgemeine Infozettel für den Rest des Schuljahres, das Protokoll der letzten Sitzung vom Schulelternrat. Genervt legte er den ganzen Papierkram beiseite, denn ihn interessierte eigentlich nur, ob er in der nächsten Woche wesentlich mehr Stunden machen musste, denn momentan waren viele seiner Kollegen krank und die ganze Vertretung hing ihm schon mehr als zum Hals raus. Als er nun schon von seinem Stuhl aufgestanden und kurz davor war, in Roses Büro zu stürmen, fiel ihm ein zusammengefaltetes Zettelchen ins Auge. Darauf stand handschriftlich sein Name geschrieben. Der er die Schrift weder einen seiner Schüler, noch einem Kollegen zuordenen konnte, war seine Neugierde geweckt. Er ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen und faltete den Zettel vorsichtig auseinander. Gespannt las er die Zeilen nun schon zum dritten Mal durch und wusste absolut nicht was er damit jetzt schon wieder anfangen sollte:
'Lieber Stefan!
Ich weiß mein Verhalten dir gegenüber ist gerade mehr als komisch und ich schulde dir Antworten auf so viele Fragen, aber sei mir bitte nicht böse, ich kann da momentan nicht drüber sprechen.  Ich hoffe, dass ich bald bereit bin dir alles zu erklären - hab bitte etwas Geduld und sei nicht sauer auf mich.
Deine Karin'
Was genau meint die denn damit schon wieder!? Ich steige bei der Frau einfach überhaupt nicht durch... 
Ja ihr Verhalten ist mehr als komisch, aber Antworten auf so viele Fragen? Eigentlich würde mich nur interessieren,  warum sie nicht mit mir redet! Warum dann "so viele Fragen"? Hat das ganze vielleicht einen ganz anderen Hintergrund, hat sie mir irgendwas zu verbergen?  Aber was könnte das denn sein - Langsam wurde ich doch etwas neugierig und ich verspürte noch mehr den Drang mit ihr zu reden. Aber das würde wahrscheinlich ohnehin nichts bringen,  so sehr wie sie sich schon jetzt vor meinen Fragen verschließt. Man - jetzt fang ich hier schon genauso an über jeden Scheiß zu philosophieren, wie die ganzen völlig paranoiden Frauen.
Deshalb knüllte ich den Zettel zusammen und er wanderte im nächsten Mülleimer. Gerade als ich mich dann doch auf den Weg zu Roses  Büro machen sollte,  beschloss ich, den Brief doch lieber selbst einzustecken. Wenn ihn jemand anderes oder such Karin finden würde, wäre das gerade für sie schon etwas peinlich und das wollte ich ihr beim besten Willen nicht antun, dafür war die mir in den letzten paar Tagen schon viel zu sehr ans Herz gewachsen, auch wenn ich sie für viele Aktionen mehr als verfluchen könnte.
Also griff ich in den Mülleimer und fischte den von mir zusammengeknüllten Zettel wieder zwischen dem ganzen anderen Müll hervor. Ich faltete ihn gerade wieder auseinander um ihn in meiner Tasche zu verstauen, als mir ein entscheidendes Detail ins Auge fiel.  Auf den ersten Blick sah er genauso aus, wie der Brief den ich mir zuvor schon unzählige Male durchgelesen hätte, aber war das wirklich der Brief?  Als ich mir den Inhalt noch mal durchlesen wollte um genau das zu überprüfen, bemerkte ich, dass dies nicht der Brief war,  den Karin mir in mein Fach gelegt hatte. Ohne den Brief bis zu Ende zu lesen, begann ich zu überlegen, was das denn sonst für ein Brief sein könnte. Immerhin war er auch an mich gerichtet und von Karin unterschreiben. Okay - ist wahrscheinlich nur eine Vorschrift...  Wieder mal so typisch Frau. Die können sich einfach nicht entscheiden! Doch um den Brief wieder zurück in den Mülleimer zu schmeißen war ich eindeutig zu neugierig. "Hm,  es ist ja schon in gewisser Weise unhöflich, mir jetzt den Brief durchzulesen, obwohl sie den ja weggeschmissen hatte und offensichtlich nicht wollte,  dass ich den lese. Andererseits - eigentlich war er ja ursprünglich mal für mich bestimmt gewesen!" sagte ich zu mir selber und genehmigte mir mit dieser,  nicht ganz logischen Ausrede, einen Blick in den Brief zu werfen. 
'Lieber Stefan, es tut mir Leid! Ich weiß mein Verhalten dir gegenüber ist unfair, aber ich kann das einfach nicht.  Du bringst mein Leben durcheinander und ich habe Gefühle für dich, die ich nicht einordnen kann...' las ich nun immer und immer wieder. Es dauerte etwas bis ich den Inhalt der paar Worte wirklich realisiert hatte.  Ich ließ mich zurück auf den Stuhl fallen und versank nun völlig in meinen Gedanken an den Brief. Jetzt war mir auch klar,  warum ich den Brief eigentlich nicht lesen sollte.  Egal - ist jetzt eh zu spät! Aber was genau meint sie damit? Sie hat Gefühle für mich! Heißt das, dass sie sich in mich verliebt hat?  Aber Stopp! Sie hat Gefühle für mich, die sie nicht einordnen kann!  Das heißt gar nichts. Wahrscheinlich wusste sie einfach nur nicht,  wie sie mit mir umgehen sollte,  weil wir uns ja schon mal vorher im Krankenhaus begegnet sind oder sowas... Und hat dann den Brief weggeschmissen, damit ich das später nicht falsch verstehe ...

Und plötzlich kam doch alles anders ...Où les histoires vivent. Découvrez maintenant