Kapitel 31

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Ich weiß nicht warum,  aber ich wollte ihn um keinen Preis ansehen. Ich war immer eine Person, die in der Öffentlichkeit nie ihre Schwächen zeigte. Ich war immer darauf bedacht meine Probleme nicht nach außen zu tragen und immer schön meine Fassade zu wahren.  Das konnte ich jetzt alles vergessen und das machte mir schon zu schaffen. Ich hatte in den 10 Jahren Beziehung mit Chris nicht mal über das gesprochen,  was mich belastet hat.  Ich hatte immer alles in mich hinein gefressen und immer nur dann geweint und meine Gefühle gezeigt, wenn ich sicher sein konnte, dass es kein anderer mitbekam. Dies hier war also in gewisser Weise eine Premiere, doch ob ich darüber jetzt wirklich froh sein sollte, wusste ich beim besten Willen nicht. Aber was soll's...? In gewisser Weise ist alles, was ich momentan im Bezug auf Stefan erlebe, eine Premiere! Als ich so darüber nachdachte, wurde mir nochmal bewusst, wie verschwendet und wertlos mein Leben bisher war!  Wirklich glücklich war ich lange nicht gewesen - oder, war ich überhaupt schon einmal so richtig glücklich gewesen?  Jetzt kamen mir noch mehr die Tränen und Stefan,  der bis jetzt einfach nur neben mir gesessen hat,  nahm mich nun liebevoll in den Arm und strich über meinen Rücken. Es tat so gut, dass er einfach da war und mir Kraft gab! Wir beiden spürten, dass Worte in dieser Situation nicht nötig waren. Die Nähe und Wärme des anderen war, gerade für mich, viel wichtiger. Es war so schön zu spüren, dass ich nicht alleine war und dass er für mich da war,  wenn ich ihn brauchte. Das war für mich  bisher noch keiner - weder meine Mutter, noch Chris. Keiner hatte mir bisher den Halt gegeben, den ich brauchte und nach dem ich mich die ganze Zeit schon so sehr gesehnt hatte. Immer waren andere Dinge wichtiger als ich und bei Stefan hatte ich das Gefühl, dass er immer für mich da war, auch wenn wir uns nicht wirklich kannten. Und das was er vorhin gesagt hatte, bestärkte mich unheimlich in diesem Glauben. Jetzt legte ich meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Immer mehr Tränen flossen aus meinen Augen und ab und zu konnte ich auch mein Schluchzen nicht unterdrücken. Ich hatte einfach zu lange alles in mich hineingefressen. Das ließ ich jetzt einfach mal raus und es war total befreiend, sich nicht immer verstellen zu müssen, sondern auch einmal seine verletzliche Seite zu zeigen. Ich hatte mir tief im Inneren geschworen, dass es nie zu diesem Punkt kommen würde und das schon gar nicht vor einem Fremden. Aber in diesem Moment fühlte sich gar nichts mehr fremd an - ich fühlte mich seit langem wieder wohl und konnte mich fallen lassen und auch wenn es mich etwas Kraft gekostet hatte, tat es so verdammt gut, einfach ich selbst sein und meine Gefühle zeigen zu können!
Als Stefan mein Schluchzen bemerkte drückte er mir ganz vorsichtig einen Kuss auf den Kopf und löste nun eine Hand von meinem Rücken und streichelte mir behutsam über die Haare. "Hey meine Süße.... Es ist alles gut! Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst, okay!?" sagte er ganz leise zu mir.  Seine Stimme hatte einfach eine unfassbar beruhigende Wirkung auf mich und das, was er gerade gesagt hatte, machte mich einfach unglaublich glücklich und mir wurde mit einem mal ganz warm ums Herz. Ich presste meinen Körper noch dichter an seinen. Ich konnte sein Herz schlagen spüren und seinen ruhigen gleichmäßigen Atem. Gerade war alles rund um perfekt und ich konnte auch langsam aufhören zu weinen. Stefan löste sich von mir und hielt meinen Kopf in seinen Händen, sodass ich ihn ansehen musste. Als ich seinen leicht besorgten Blick bemerkte, huschte mir ein Lächeln übers Gesicht. Er wischte mir ganz vorsichtig die letzten Tränen weg und schaute mich nun erwartungsvoll an. Ich wusste genau worauf er hinaus wollte, doch ich wollte jetzt gerade viel lieber ganz dicht bei ihm sein, mit ihm kuscheln und seine Lippen auf meinen spüren, aber ich wusste das jetzt der Zeitpunkt gekommen war, an dem ich mich öffnen musste. Das würde zwar diesen wunderschönen Moment zerstören und das wollte ich eigentlich nicht zu lassen,  aber ich wusste auch,  dass es der richtige Moment dafür war!  Ich saß hier mit Stefan und alles war so vertraut. Es könnte perfekter nicht sein und noch nie war ich so kurz davor mich endlich jemanden anzuvertrauen. Ich wusste, dass der letzte Schritt mich noch unendlich viel Überwindung kosten würde, aber ich wusste auch, dass ich das jetzt hinter mich bringen musste. Ich wusste, dass es falsch war, über Jahre alle Probleme in mich rein zu fressen und ich wusste auch das es mir danach viel besser gehen würde, besonders weil Stefan mich damit nicht alleine ließ
Er hatte wohl gemerkt, dass mir die ganze Sache ziemlich zu schaffen machte und es mich ziemlich viel Überwindung kostete. Er strich mir noch liebevoll eine Strähne hinters Ohr und nahm dann meine beiden Händen und verkreutzte meine Finger mit seinen. Ich schloss noch einmal kurz meine Augen und versuchte mich zu sammeln und meine Gedanken zu ordnen, bevor ich zu reden begann. "Also ehm...  ich weiß gerade nicht wo ich anfangen soll" begann ich während mir schon wider die Tränen in die Augen stiegen. "Alles gut, lass dir so viel Zeit, wie du brauchst. Es ist gar kein Problem, wenn du jetzt noch nicht drüber sprechen kannst , aber ich verspreche dir, wir schaffen das gemeinsam, egal was ist!Und ich glaube es würde die richtig gut tun, wenn du mal alles raus lässt und über das sprichst, was dich bedrückt..." ich atmete noch einmal tief ein und aus, bevor ich mir den letzten Schubser gab und anfing Stefan alles von Anfang an Haar klein zu erzählen "Also du weißt ja, dass ich jetzt mitten im Jahr die Schule gewechselt habe ... Und, ja,  also - normalerweise ist das nicht so meine Art, aber es ging nicht anders, ich konnte einfach nicht anders.  Ich war seit meinem Referendariat an der Schule und habe dort so viel gelernt und erreicht - a-aber dann, dann fing es an..." ich schaute betreten zu Boden. Immer wenn ich daran zurückdachte, stieg ein widerliches und ekeliges Gefühl in mir auf und ich schämte mich so unendlich dafür. Stefan drückte meine Hand noch fester und gab mir so das Gefühl von Sicherheit, was mich schließlich darin bestärkte, doch wirklich alles zu erzählen. "... Der, der Leiter, also der Schulleiter, er, er war neu an die Schule gekommen und nach ein paar Monaten, bat er mich zu einer Besprechung in sein Büro. Es sollte nachmittags stattfinden, und nachdem ich auch die letzte Unterrichtsstunde beendet hatte ging ich in das Büro von ihm. Ich dachte mir nichts dabei, als er hinter mir die Türe abschloss. Ich ging davon aus, dass er einfach nicht gestört werden wollte. Ich ging schon mit einem flauen Gefühl im Magen in diese Besprechung, da ich absolut keine Ahnung hatte, was er mit mir besprechen wollte.  Ich setzte mich auf dem Stuhl und er lehnte sich an den Tisch und stand so ganz dicht vor mir. Seine Blicke fühlten sich einfach nur widerlich an. Er hat was erzählt, dass er wüsste, dass gerne mehr Verantwortung im Job übernehmen wollte und dass er eine neue Konrektorin sucht. Dann hat er mich gefragt wie weit ich dafür gehen würde und ich - ich hab nicht gerafft worauf er hinaus wollte. Dann fing er an mich meine Brüste und meinen Hintern an zu grabschen. Er hat mich bedroht das weiterzuerzählen und mich immer wieder in sein Büro bestellt. Ich könnte mich dem ganzen nicht widersetzen, so sehr ich es mir auch gewünscht habe. Später hat er anfangen mich auszuziehen und mich überall anzufassen und dann sollte ich ihn anfassen und dann hat er, dann hat er mit mir... " Ich redete und redete immer schneller und aufgeregter und brach nach diesem Satz völlig in Tränen aus. Die Erinnerungen daran taten so unendlich weh, aber gleichzeitig war ich wie befreit und es war eine riesige Last von mir angefallen. Ich hatte endlich jemanden, mit dem ich über meine Ängste und Sorgen reden konnte,  der mich verstand und mir Kraft gab alles durchzustehen. Als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte, fuhr ich fort " und Chris mein, ...mein Ex Freund hat das alles nie verstanden, also warum ich dann nicht mit ihm ins Bett wollte. Er wusste ja nichts davon, aber ich konnte ihm das nicht sagen.  Ich konnte seine Nähe nicht ertragen und habe mich ganz abgeschottet, mich verschlossen und wollte mit niemandem reden und konnte es nicht ertragen, wenn mich jemand berührt hat oder mich auch nur berühren wollte. Keiner wusste bisher davon... " Stefan zog mich in seinen Arm. Bisher konnte ich menschliche nähe noch immer nicht haben,  aber bei ihm war das etwas ganz anderes. Bei ihm fühlte es sich einfach so gut und so richtig wie nie zuvor. "Dann habe ich Chris mit einer anderen in unserem Bett erwischt und et hat nicht mal gemerkt, dass ich daneben stand. Ich habe mich zwar sofort von ihm getrennt aber trotzdem war das eine riesige Enttäuschung, die ich bis heute noch immer nicht ganz bewältigt habe. Und dann - dann war da noch der Unfall. Der ist immer noch so präsent und ich komme einfach nicht darüber hinweg." Ich sah zu ihm und merkte, wie es in seinem Kopf ratterte und er überlegte. So entschied ich mich, ihm alles zu erzählen, damit er das nicht selber herausfindet.  "Ja ich - ich bin Schuld an deinem Unfall...  Ich bin schuld daran,  dass es dir so schlecht ging und geht und ich bin schuld daran, dass du fast gestorben wärst.  Ich bin in dein Auto gefahren...." jetzt herrschte eine Totenstille im ganzen Raum.

Und plötzlich kam doch alles anders ...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt