12 ~ Das etwas andere Versteck (1)

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Unschlüssig stand ich mit Luana an meiner Seite vor der hölzernen Tür. "Los jetzt", wiederholte sie mit ihrem hohen Stimmchen und drückte mich zur Tür. "Soll ich nicht besser anklopfen?" Ich blickte unsicher zu dem kleinen Mädchen, während mein Herz wild in meiner Brust hämmerte, und überlegte kurz, warum Herr Wagner mich wohl sehen wollte. Bestimmt wegen der Verwandlung. Oder doch wegen was ganz anderem? Vielleicht wollte er aber auch mit mir über den Mord reden. Das Bild des bleichen Mädchens tauchte wieder vor meinem inneren Auge auf. Tränen traten mir in die Augen. Sie war doch noch so jung! Warum musste ausgerechnet sie sterben? Sie war ... Louis Schwester ... gewesen. Ich wischte mir die Tränen ab, schluckte dann und zwang mich, nicht daran zu denken. "Soll ich?" Meine Stimme zitterte leicht, als ich Luana erneut fragte. Sie schüttelte sie den Kopf. Also nahm ich ein letztes Mal tief Luft und trat ein.

Angenehm Luft schlug mir entgegen. Es roch leicht nach Zitronen. Beim Betrachten des Raumes, der relativ spärlich eingerichtet war, fiel mir auf, dass auf einem Regal, zwischen zwei Pflanzen, ein Glas mit gelblicher Flüssigkeit und mehreren, hölzernen Stäbchen, stand, das eben diesen Geruch verströmte.

"Papa!", riss ein feines Stimmlein mich aus meinen Tagträumen. Luana hatte sich die Arme von ihrem Vater, der auf dem Boden neben einem Schreibtisch aus hellem Holz hockt, gestürzt. Es schien, als wolle sie ihn nie wieder los loslassen.

"Ah, hallo Vera", nuschelte er zwischen den Haaren seiner kleinen Tochter hervor. "Schön dass du so schnell kommen konntest." Da ich nicht so recht wusste, was ich antworten sollte, starrte ich stattdessen einfach den Boden herum und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. "Du fragst dich bestimmt ..." Er hielt kurze inne und flüsterte Luana zu, sie solle ihn loslassen. "Also ... du fragst dich bestimmt, warum du hier bist, oder?" Ich nickte leicht ängstlich, während er langsam aufstand. "Um dich zu beruhigen ... es geht nicht um die Verwandlung ... und nein, auch nicht um Sarah. Ehrlich gesagt geht es eher weniger um die Schule, sondern es handelt sich vielmehr um eine Bitte - einen Gefallen." Er klopfte sich den Staub von der Hose ab, bevor er fortfuhr. "Ähm", machte er etwas unsicher und fasste sich an den Kopf. "Also gut. Um es gerade heraus zu sagen. Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht für ein paar Stunden auf meine Tochter - Luana - aufpassen könntest. Sie ist zwar ein kleiner Wirbelwind, ist aber mindestens genau so lieb."

Wie vom Blitz getroffen stand ich im Raum. Wollte er ernsthaft, dass ich Luana babysitte? Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Wozu hatte ich mir denn so viele Gedanken gemacht? Natürlich würde ich dies tun. Sogar liebend gern! Ein Lächeln schlich sich über mein Gesicht. Luana war ein eben echter kleiner Sonnenschein - ein Engelchen mit blonden Locken und großen blauen Augen - da dürfte das gewiss kein Problem sein.

Herr Wagner, allerdings, der immer noch auf den Boden starrte, hatte meinen Beschluss scheinbar noch nicht mitbekommen, sondern begann nun hilflos vor sich hinzustammeln. "Ich verstehe natürlich, wenn du nicht möchtest, das kann ich ja auch gar nicht von dir verlangen, aber ich hab halt gedacht, da ich dich ja durch den Unterricht etwas kenne, dass es dir Spaß machen könnte, und ..." Doch weiter kam er nicht, da ich ihn unterbrach. "Aber liebend gerne doch!", grinste ich ihn an.

Zuerst sah er mich immer noch leicht verwirrt an, dann lächelte er jedoch, als wäre ihm gerade ein riesen Stein von der Brust gefallen. "Danke", sagte er erleichtert. "Ich wusste, ich kann auf dich zählen!"

Er griff nach einer Tasche, die in unmittelbarer Nähe lag, drückte seiner Tochter einen Abschiedskuss aufs Haar, und rauschte dann mit einem entschuldigenden Blick auf seinem Büro. Zurück blieben nur Luana und ich.

Einige Sekunden blieb alles still. Dann gab die Kleine auf einmal ein vergnügtes Quietschen von sich und schoss zu mir. "Was willst du spielen?", fragte sie mich sichtlich gutgelaunt. "Spielen?" ¨Überfordert starrte ich sie an. Was wollte sie denn spielen? Gerade war ich noch vom Schlimmsten ausgegangen, und jetzt sollte ich eine quengeliges Kleinkind, das gerade wie eine reife Pflaume an meinem Bein hing, beschäftigen? Im Büro meines Lehrers, der gerade nicht anwesend war? Wow. Das sollte mir mal Jemand nachmachen.

Synaax - Schneeweiße Vergeltung / PhantasieWettbewerb2017 // #iceSplinters19 Donde viven las historias. Descúbrelo ahora