17 ~ Klare Worte (1)

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Ich erwachte, doch als mir der Grund einfiel warum ich überhaupt hier lag, wäre es mir lieber gewesen, tot im Wald zu liegen. Dinge waren geschehen, die nie hätten passieren dürfen. Warum war mir das Leben vergönnt und den anderen nicht? Warum ließ das Schickmal mich alleine mit meinem schlechten Gewissen zurück? Warum konnte ich nicht mit dem Jungen - oder Sarah tauschen? Ich sollte tot sein und nicht sie? Womit hatte ich das Leben bloß verdient? Damit ich am meinem Schuldgefühlen zugrunde ginge? Damit es mich von innen auffrisst? Denn das war das Einzige, das diese Tode bezweckten.

Ich seufzte und öffnete meine Augen einen Spalt, sodass nur wenig des grell-weißen Lichtes einfallen konnte. Mein Gefühl - und der chemisch saubere Geruch - sagten mir, dass ich wieder einmal in einem der Krankenzimmer lag. Der ätzende Geruch von Desinfektionsmittel kitzelte meine Nase und führte dazu, dass ich laut niesen musste womit mir die Aufmerksamkeit des gesamten Raumen sicher war.

Keine Sekunde später stand eine Krankenschwester und Louis, sowie der Direktor höchstpersönlich um mein Bett versammelt. "Wie geht es dir?", fragte sie mich emsig. "Mies", murmelte ich und zog mir die Bettdecke bis zum Kinn, da ich immer noch furchtbar fror. "Das glaube ich gern", meinte der Direktor und stütze sich auf meinem Bein ab, sodass ich empört "Au" rief und er sich einen bitterbösen Blick von der Pflegerin einfing.

"Hier trink das." Sie hielt mir ein Glas hin, das leicht trüb war. Argwöhnisch begutachtete ich das Glas in meiner Hand. "Was ist das?", krächzte ich, obwohl mein Hals entsetzlich wehtat und mein ganzer Körper sich nach Wasser sehnte. "Wasser", antwortete sie, worauf ich das Glas gierig ansetzte und mit mehreren Zügen wegtrank.

Erst im Nachhinein bemerkte ich, dass sie zumindest etwas geschwindelt hatte, da das vermeintliche Wasser einen ziemlich bitteren Nachgeschmack hatte.

"Verena", begann da der Direktor und wollte sich zu mir aufs Bett setzten, doch ich unterbrach ihn äußert unsanft. "Vera, heißt das." "Vera also", seufzte er, "Ich glaube wir haben einiges zu besprechen." Er wandte sich zu Louis, der in Gedanken versunken auf der anderen Seite stand. "Es wäre nett, wenn du uns einem Moment alleine lassen könntest." "Ja genau", fügte ich ärgerlich hinzu. "Verschwinde!" Was fiel ihm auch ein, hier aufzukreuzen und den Ahnungslosen zu spielen. Schließlich war alles seine Schuld. Ohne ihn wäre ich nicht auf die bescheuerte Idee gekommen, in den Wald zu laufen, geschweige denn eine Leiche zu finden.

"Also", räusperte der Direktor sich, nachdem Louis den Saal wütend verlassen hatte. "Zu der Leiche - dir ist schon bewusst, dass wir es diesmal nicht vertuschen können? Die Nachricht, dass man dich regungslos neben einer Leiche im Wald gefunden hatte, hat rasend schnell dir Runde gemacht. Und natürlich denkt jeder, was er möchte. Die Einen glauben, dein kleiner Ausflug in den Wald stünde in direktem Zusammenhang mit dem toten Jungen, die Anderen denken, es sei bloß ein Zufall."

Er blickte mich sauer an. "Was fällt dir aber auch ein, mitten in der Nacht alleine in den Wald hineinzulaufen? Mit einem leichten Ballkleid bekleidet? Übrigens hast du Louis dein Leben zu verdanken. Er war derjenige, der mir, nachdem er dich nirgends mehr finden konnte, seinen Verdacht erzählt hat und somit die Suchaktion eingeleitet hat. Ich schlage also vor, dass du dich gebürtig bei ihm bedankst."

"Entschuldigung", meinte ich kleinlaut und versuchte mich unter der Decke zu verstecken. "Mir waren die Folgen nicht ganz klar." Ich blickte beschämt auf den Boden, der teilweise von einem weißen Teppich bedeckt war. "Naja - wie dem auch sei. Ich hoffe du lernst aus deinen Fehlern. Und ... wundere dich nicht wenn du komisch angestarrte wirst. Nachdem der Tod des Jungens öffentlich gemacht wurde, konnten wir den von Sarah, Louis' Schwester, auch nicht mehr verheimlichen. Bis später dann!"

Mit diesen Worten erhob er sich und ging eiligen Schrittes davon. Die Krankenschwester blickte ihm leicht verärgert hinterher. Ich glaubte, etwas gemurmeltes, wie "... kann ihr aber auch keinen Moment Ruhe gönnen ..." zu verstehen, was mir ein kleines Grinsen herauslockte.

Ihre mütterliche Art war aber auch zu niedlich! Ich hatte sie sofort in mein Herz geschlossen. Deshalb traute ich mich, die Bettdecke zurückzuschlagen, und beide Beine auf den kalten Boden zu stellen. Da ich immer noch keine Socken anhatte, konnte ich deutlich spüren, wie die Kälte mir langsam die Waden heraufkroch. Schnell zog ich meine Füße an.

"Was hast du vor?", fragte die Stimme der Pflegerin plötzlich neben mir während eine Hand mich zurück ins Bett drücken wollte. "Ich muss mit Jemandem etwas Wichtiges besprechen", antwortete ich wahrheitsgemäß und sah zur Tür, wo zu meiner Überraschung immer noch Louis stand. Der Direktor schien ihm wohl gesagt zu haben, dass er etwas warten sollte. Sie folgte meinem Blick. Dann schlich sich ein schelmisches Lächeln auf ihr Gesicht.

"Ist dir denn nicht mehr kalt?" Ich schüttelte verneinend den Kopf. "Dann geh doch." "Danke", flüsterte ich während ich mich endgültig aufrichtete. Mit ein paar großen Schritten war ich auch schon bei der Tür.

"Louis", rief ich atemlos, noch während ich die Tür aufriss. Alle Blicke der anwesenden Schüler waren auf mich gerichtet. Einige Sekunden war es still, doch dann ging das Getuschel los. Über Louis, über mich. Über meine Kleidung. Aber vor allem über das, was geschehen war.

"Weg hier", rief dieser mir durch das Gemurmel zu und riss mich eilig mit sich, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als ihm barfuß über der dreckigen Boden zu folgen.

Als wir vor dem Trainingssaal vor dem Trainingssaal angekommen waren, suchte er in seiner Tasche herum, bis er schließlich fand, was er wollte. Wortlos steckte er den kleinen Gegenstand ins Schloss, und drehte ihn herum. Es klackte leise, dann öffnete sich die Tür. "Los", meinte er drängend. "Bevor uns noch jemand sieht." Mit diesen Worten schob er mich in den kühlen Raum hinein, der mich an den Wald erinnerte. Ein Frösteln lief über meinen Rücken.

Die Tür sprang mit einem Klicken wieder ins Schloss. Louis atmete erleichtert auf, bevor er sich mir gegenüber an die Wand stellte und sich die Haare kämmte. "Du hast einen Schlüssel?", fragte ich ihn argwöhnisch und zog dabei eine Augenbraue hoch. "Jein. Im Moment schon, aber eigentlich ist es deiner. Ich habe ihn mir - sagen wir mal - ausgeborgt. Damit wir in Ruhe reden können, ohne von allen Anwesenden angestarrt zu werden."

"Aha", meinte ich und versuchte meine Stimme nicht zu misstrauisch wirken zu lassen. "Und worüber willst du reden?" Er hob einen Fuß an der Wand und verschränkte seine Arme besserwisserisch, bevor er seufzte. "Kannst du dir das nicht denken?"

"Und was, wenn ich nicht darüber reden will?", entgegnete ich ihm trotzig, und hob mein Kinn an. "Tja, dann wirst du es dir wohl trotzdem anhören müssen", meinte er siegessicher und lächelte triumphierend, worauf ich ein ärgerliches Schnauben von mir gab. "Wenn's sein muss."

"Vera", begann er nach einigen Sekunden Stille. "Ich weiß, ich habe mich wie ein Idiot benommen. Und es tut mir auch echt leid. Aber immer wenn ich dich ansehe, muss ich an Sarah denken. Obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass du nichts mit dem Ganzen zu tun hast, ist es schwer für mich damit umzugehen. Immer wenn ich deine funkelnden Augen erblicke, ist mir, als würde ich sie sehen." Er brach ab. "Und ich komme einfach nicht damit klar. Es ... es ist schwer für mich. Ich versuche, ein guter Freund zu sein, und für dich da zu sein, aber manchmal überwiegen die Gedanken an sie. Das ist der Grund, warum ich manchmal so komisch zu dir bin. Das gestern Abend hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir so leid." Seine Hände fielen schlaff zur Seite. "Ich wollte das alles nicht!"

Beinahe verzweifelt blickte er mich an. Seine sonst so schön blauen Augen wirken trüb. In ihnen glitzerten Tränen. Aus Mitleid ging ich auf ihn zu und schloss ihn wortlos in die Arme. Wir hatten beide eine schwere Zeit durchgemacht. Er entgegnete die Umarmung.

Nach einer Weile lösten wir uns. "Danke", murmelte er und rieb dich über die leicht geröteten Augen. "Ich bin froh dass es dich gibt." Er versuchte zu lächeln, doch es gelang ihm nicht. Sein Gesicht glich eher einer Maske.

"Kann ich noch irgendwas für dich tun?", fragte ich sanft und legte aufmunternd eine Hand auf seine . Schulter. "Es wäre schön, wenn du noch etwas hierbleiben könntest." Ich nickte. "Klar. Wenn es dir hilft."

Er lächelte erneut, doch dieses Mal erreichte es seine Augen. "Danke", flüsterte er leise, während er mir mit einer leichten Berührung am Handgelenk andeutete, ihm bis in die Raummitte zu folgen. "Dafür dass du nach alledem immer noch meine Freundin bist."

Synaax - Schneeweiße Vergeltung / PhantasieWettbewerb2017 // #iceSplinters19 Where stories live. Discover now