Drei: Zweifel

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 ,,Was hinter uns liegt und was vor uns liegt, sind nur Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was in uns liegt. Und wenn wir das, was in uns liegt, nach außen in die Welt tragen, geschehen Wunder.''

- Henry Stanley Haskins, anonym publizierender Aphoristiker

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Die Sitze des kleinen VWs waren aus hellem Leder, was sich unglaublich bequem anfühlte. Im Auto lief irgendein langsames Lied von Lorde, was nicht gerade auf der lautesten Stufe eingestellt war. Dennoch tippte Tara mit dem Beat auf dem Lenkrad.

,,Du sagst du wohnst irgendwo südlich?'', fragte sie mich, als wir gerade aus der Schule herausfuhren. ,,Ja, in der Niels-Bohr-Straße 27'', antwortete ich, wobei ich ganz unauffällig auf die Uhr blickte. 14:22.

Tara nickte und lehnte sich anschließend etwas vor das Lenkrad, um zu sehen, ob ein weiteres Fahrzeug von der Straße rechts kam.

Tara war vielleicht so groß wie ich, hatte aber eine um Mengen bessere Figur als ich. Das lag sicherlich am regelmäßigen Sport. Das erkannte ich an ihren Armen, die bei jeder Bewegung eine andere Muskelpartie hervorhoben. Ich hingegen hatte nicht wirklich irgendwelche Hobbies. Manchmal zeichnete ich etwas völlig bedeutungsloses oder tanzte mal zu meinem Lieblingslied. Meine Hauptaufgabe war es aber, mit Geofrrey rauszugehen oder von Zeit zur Zeit für meine Mutter zu kochen, wenn sie mal zu erschöpft von ihrer Arbeit war, um überhaupt noch stehen zu können.

,,Das ist ja gar nicht so weit weg von mir'', erwähnte sie beiläufig, als sie gerade nach rechts in eine schmalere Straße einbog.

,,Nochmal danke, dass du mich nach Hause fährst'', brachte ich etwas leise heraus, da ich nicht die nervige Person sein wollte, die sich ständig für jede kleine Tat bedankte.

,,Gar kein Problem'', entgegnete sie und lächelte mich kurz an. Sie hatte blaue Augen, die mir zuvor noch gar nicht aufgefallen waren. Anschließend wendete sie sich wieder zum Straßenverkehr und dabei musste ich schon zugeben, dass ihre Fahrkünste nicht gerade die schlechtesten waren.

,,Erzähl mir was von dir. Was machst du so in deiner Freizeit?'', fragte sie dann und mir wurde anschließend etwas warm, da ich nicht gerade sagen wollte, dass ich so gut wie keine Hobbies hatte. Also beschloss ich ihr nichts von meinem inneren Monolog mitzuteilen.

,,Meistens etwas für die Schule.''

Tara runzelte die Stirn. ,,Und das war's?''

Nicht wenig überrascht über diese Reaktion, zuckte ich mit den Achseln.

,,Ja ... manchmal gehe ich mit meinem Hund raus oder ... zeichne.''

Ihr Gesicht machte eine komische Bewegung, so als würde sie sagen wollen, dass das schon eher spannender klang. ,,Kannst du auch Menschen zeichnen?''

Um ehrlich zu sein war das gerade mein Fachgebiet, doch um nicht prallen zu wollen antwortete ich: ,,Ja, schon.''

Ich fragte mich, wie man überhaupt zu einer beliebten Person, wie sie war, werden konnte. Es kann doch nicht einfach schlichtweg am Aussehen liegen.

Nachvollziehen, wieso ich nicht gerade die populärste war, konnte ich schon, denn ich lebte gerade mal ein gutes Jahr in dieser Gegend. Auf eine neue Schule zu kommen war nicht einfach für mich, da ich mich nirgends richtig integrieren konnte. Als ich noch in der Großstadt gewohnt hatte, war es mit dem beliebt sein noch gar nicht so eine große Sache. Hier in der Kleinstadt kannte jeder jeden und urteilte schnell, wer aus der Reihe fiel und wer die Hosen anhatte.

,,Hast du heute Mittag eigentlich schon etwas vor?'', fragte sie plötzlich und drehte das Radio noch leiser, als es ohnehin schon war. Langsam wurde ihre Nettigkeit echt unheimlich. ,,Nein tatsächlich habe ich heute nichts vor, warum?'', entgegnete ich etwas genervt und ich spürte wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Tara runzelte die Stirn, konzentrierte sich dennoch weiterhin auf die Straße. ,,Weil ich dich als nächstes fragen würde, ob du heute mit mir und den anderen Mädchen auf ein kleines Konzert in die Stadt gehen willst.''

Ich seufzte und ließ mich tiefer in den Sitz fallen. Irgendwann reichte mir ihre vorgegaukelte gute Laune. Was hatte das Mädchen vor? Sie warf mir einen fragenden Blick zu und ich fasste mir an meine glühende Stirn. ,,Wieso tust du das?'', fragte ich sie schließlich und blickte sie erwartungsvoll an.

,,Was? Dich nach Hause bringen?'', fragte sie etwas bitter, während sie eine scharfe Kurve nach links fuhr. Ich biss mir auf die Lippe und fing an zu überlegen, was ich sagen sollte. Auf gar keinen Fall wollte ich sie nun verärgern, dennoch die Wahrheit hören. ,,Unter anderem. Es scheint mir nicht gerade normal, dass mich ein Mädchen, wie du, mich fragt, ob ich zu ihrer Party kommen will. Ich weiß nicht, ob es mir an sozialen Kontakten fehlt, das zu verstehen oder ob das wirklich so normal ist, wie du tust.''

Sie atmete laut aus, während sie den Wagen zum Stehen brachte, da wir an einer Ampel angekommen waren. ,,Ich habe es dir schon gesagt. Du scheinst mir echt nett zu sein und als du heute so hilflos vor der Klasse standest ...'', sie brach ab und schloss für einen kurzen Moment ihre Augen. Ich wartete stets ungeduldig auf einer Antwort. Dabei spürte ich wie sich mein Frühstück in meinem Magen umdrehte und ein schrecklicher Druck am Unterleib entstand. ,,Das soll jetzt nicht böse klingen oder so'', brachte sie schließlich heraus und mir wurde noch übler, als ohnehin schon, ,,Du könntest echt mehr Selbstbewusstsein vertragen. Und mit der Einladung auf die Party wollte ich dir eine Chance geben,uns vielleicht besser kennen zulernen und damit du Kontakte knöpfen kannst.''

In dem Moment bekam ich ein unheimlich schlechtes Gewissen, da sie keine bösen Absichten hatte. Im Gegenteil; sie hatte bemerkt, dass ich kaum Freunde hatte, gleichzeitig aber kein so schlechter Mensch, sondern einfach nur unglaublich schüchtern, war.

,,Tut mir leid'', nuschelte ich vor mich hin und hoffte, sie würde nicht zu böse auf mich sein.

,,Wieso? Ich an deiner Stelle wäre auch stutzig geworden'', antwortete sie amüsiert. Ein Stein fiel mir vom Herzen, als sie das sagte. Ich nahm mir in Zukunft vor, nicht zu schnelle Schlüsse zu fassen.

Tara war schlauer, als ich gedacht hatte ...

Sie gab wieder Gas und langsam aber sicher näherten wir uns meiner Straße, die am Waldrand gelegen war. Es war eine ruhige Gegend in der fast nur aneinander gereihte Häuser standen, die häufig einen altmodischen, gleichzeitig aber einen kuscheligen Eindruck machten.

,,Trotzdem war es blöd von mir.'' Sie lächelte mich mit breiten Mund an, während sie in meine Straße einbog.

,,Irgendwo war es auch blöd von mir zu denken, du würdest dir keine Gedanken darüber machen.'' Sie blieb anschließend vor meinem Haus stehen, wobei man dieses eher als ein Mehrfamilienhaus betrachten konnte.

,,Wir hatten geplant so gegen 17 Uhr hinzufahren. Ich hole dich am besten so kurz vor ab'', warf sie noch ein, bevor ich die Tür aufmachte und ausstieg. Tara hatte noch nicht einmal eine Antwort von mir bekommen und erwartete, dass ich Zeit hatte. Natürlich hatte ich Zeit.

,,Also ... dann bis später und ... danke.'' Daraufhin atmete ich erleichtert aus und hörte sie nur noch davon düsen. 

Eine Nuance echterWhere stories live. Discover now