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Ophelia pov.
Meine Lippen berührten ihre trockene Haut an ihrer Stirn, die Wärme in ihrem Körper entwich und löste sich in der unmittelbar umgebenen Luft auf. Das Mumdiegerät neben ihr begann einen nervenden, anhaltenden und vor allem hohen Ton von sich zu geben, wenige Sekunden später begann die Hektik. Ärzte stürzten ins Zimmer, versuchten der zuvor kränklichen, nun jedoch toten, Frau zu helfen. Es war zu spät, das Schicksal hatte sie eingeholt und anders als viele übernatürliche Wesen hatte sie es mit offenen Armen begrüsst. Sie hatte mich begrüsst, der ihren Tod bringenden Engel, als wäre ich eine alte Freundin, die sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ein kleines Lächeln ihrerseits und ich hatte gewusst, dass ich kein Gespräch mit ihr zu führen brauchte. Ein tödlicher Kuss auf ihre Stirn und ihre Seele war fortgerissen worden an einen Ort, von dem selbst ich nichts wusste.

Die Mundies sahen mich nicht. Sie waren ahnungslose Geschöpfe, blind gegenüber allem, dass ihrem Glauben nach nicht existieren sollte. Ich wandte mich von dem Geschehen und der Hektik ab, die immer mehr zunahm, als der Defibrillator zum Einsatz kam. Auch der würde den Ärzten nichts nützen. Die Seele der älteren Frau war fort, keine Stromschläge konnten dies ändern.

Ich schloss meine Augen, wartete darauf, sie wieder öffnen zu können und mich dann im Institut zu befinden, wie es immer war, wenn ich teleportierte, doch als ich die Augen öffnete, befand ich mich nicht wie vorgesehen im Institut.

"Du denkst, weil du heute einpaar Leute getötet hast, sehen wir darüber hinweg, dass du es bei einer bestimmten Person nicht getan hast?" Ich schloss angestrengt meine Augen ein zweites Mal, weil ich nicht hier sein wollte und auch nicht mit den beiden reden wollte. "Nur weil du einmal deinen Auftrag erledigst, vergessen wir die vielen Male nicht, in denen du es versäumt ha..." "Einmal! Ich habe nur Alec gerettet... nur ihn... wieso könnt ihr mir ihn nicht lassen?!", schrie ich verzweifelt. Atropos hatte Recht. Heute hatte ich meinen Job erledigt, weil ich dadurch die Hoffnung hatte, meine beiden Schwestern gnädig stimmen zu können, sie so von Alec abbringen zu können. "Ach kleine Schwester...", flüsterte Atropos gespielt mitfühlend und strich mir mit ihren kupferroten Fingernägeln, passend zu ihrem Haar, über meine Wange. "Könnt ihr nicht eine Ausnahme machen... nur eine einzige... ihn zufrieden lassen, den Fehler, den ich begangen habe, ignorieren... bitte...", wimmerte ich. Meine frühere, starke Fassade war schon längst gebröckelt und heute letztendlich in tausend winzige Teile zersprungen. Ich hatte zu sehr Angst um ihn... um meinen Stolz noch behalten zu können. Für manche Leute, gab man seinen Stolz auf... aber nur für jene, für die man alles tun würde. "Das ist der Grund, wieso wir uns nicht in Sterbliche verlieben, Schwester... weisst du, wir machen keine Fehler, niemals. Und wenn, dann machen wir sie wieder gut." Ich schluchzte auf. Klotho hielt sich im Hintergrund, Atropos strich mir meine Haare aus dem Gesicht, die noch davor an meiner Wange geklebt hatten, durch meine salzigen Tränen. "Mach deinen Fehler wieder gut... oder lass es uns tun.", wisperte sie in mein Ohr. Ihre hohe Stimme und ihr Geflüster erinnerten leicht an das Zischen einer Schlange, eine grüne Giftschlange, darauf ausgerichtet zu verletzen und zu töten. Mich zu verletzen, Alec zu töten. "Ich hoffe euch passiert das Selbe wie mir einmal. Ich hoffe ihr verliebt euch, dann nehme ich euch das Einzige, dass euer Leben lebenswert macht." Atropos lächelte mitleidig, allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass das Lächeln falsch war. "Behebe deinen Fehler."

"Phe... Fuck... ich meine..." Verwirrt sah ich mich um. Ein kleines Zimmer... Bett, Pult, Alec... ich war bei Alec. Meine Schwestern waren weg, unser Gespräch war ja auch beendet. Mein Blick fuhr zu Alec. Seine Augen waren leicht aufgerissen, neben ihm auf dem Boden lag Schreibzeug verstreut und seine Haare waren wie immer zerzaust. "Wieso liegt denn das Zeug auf dem Boden?", flüsterte ich verwirrt mit einem Blick darauf. "Wieso das Schreibzeug auf dem Bo... Phe, du bist hier gerade aufgetaucht! Aus dem Nichts! Kannst du dich jetzt auch noch unsichtbar machen?" Mein Kopf neigte sich zur Seite, als ich meinen Fokus ganz auf ihn lenkte. Verschnellerter Herzschlag... "Alec, hast du dich erschrocken?", grinste ich plötzlich, ein Wunder, dass ich überhaupt noch grinsen konnte. "Ich... nein? Natürlich ni..." "Hab ich es doch tatsächlich geschafft, den taffen Shadowhunter zu erschrecken... jetzt kann ich glücklich sterben." Mein Lächeln wurde müder und ich war mir bewusst, dass ich diese Sprüche nur brachte, um nicht loszuheulen. Humor gegen Trauer. Er musterte mich kurz und als ich schon dachte, er hätte gemerkt, dass es mir nicht gut ging, machte er denn Mund auf. "Kommst du ins Bett?" Die Erleichterung, die mich traf, als er diesen Satz sagte, war ungeheuerlich. Er hatte nichts von meiner Stimmung bemerkt. "Bett? Was?", stammelte ich verwirrt. "Na, es ist schon spät." Und erst da fiel mir auf, dass es tatsächlich bereits Nacht war. Ich war den ganzen Tag fort gewesen... hatte meine Aufgabe erledigt, hatte jedoch nicht gewusst, dass dies so viele Stunden gedauert hatte. "Äh klar... gehen wir ins Bett." Er lächelte und nachdem ich mir eines seiner Shirts übergeworfen hatte und meine Kleidung am Boden lag, legte ich mich neben ihn.

Ich hörte seinen Atemzügen noch lange zu, schlief selbst jedoch nicht ein, bis er eine Bewegung machte. Sein Arm umfasste mich und zog mich an sich. Zuerst dachte ich, es wäre eine Bewegung gewesen, die er schlafend ausgeführt hatte, doch dann spürte ich seine Lippen nahe an meinem Ohr, sein Atemhauch auf meiner Haut und schliesslich ein Flüstern. Sein Atem kitzelte, doch ich versuchte nicht zu grinsen. "Schlafen, Phe, beinhaltet, dass du die Augen schliesst und träumst, nicht mich anstarrst..." Seine Hand strich kurz über meinen Arm, bevor er es wieder liess. Ich lief garantiert gerade rot an. "Und morgen erzählst du mir, wieso du vorhin traurig warst..." Er hatte es also doch bemerkt.

So schlief ich ein. Wissend, dass er mich eben doch gut genug kannte, um zu wissen, wie es mir ging... wissend, dass ich zumindest diese Nacht bei ihm liegen konnte, ohne  permanent Angst zu haben.

Ophelia (Alec Lightwood)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt