Von Kundgebungen und Fledermausklauen

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„Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger der eisig-himmlischen Gefilden! Ich habe im Namen seiner Majestät Satiä Miryar Lupus eine wichtige, alle Einwohner ohne Ausnahme betreffende Kundgebung zu machen! Der Krieg ist endlich vorüber! Seine Majestät hat den Engelstreiber Goä Nigreg am gestrigen Tage glorreich besiegt und hält nun Einzug in den himmlischen Gefilden!" Fabius sah sich etwas unsicher um, als er zum gefühlt dreihunderttausendsiebenundvierzigsten Mal dieselbe Kundgebung verlas, die ihm von Beelial, dem Führer der teuflischen Armeen und seinem direkten Vorgesetzten, diktiert worden war. Dieser lief nur ein paar Reihen hinter ihm und musste durch seine fledermausähnlichen Ohren jedes einzelne Stocken, das ihm über die Lippen kam, mitbekommen, das wusste Fabian aus der Erfahrung anderer, die nicht mehr lebendig genug waren, um davon zu berichten. Bei der Vorstellung daran, wie ihn ein Mann, der zu einer Hälfte aus abgeschlagenen Köpfen und zur anderen aus einer vermoderten Fledermaus bestand, für sein Fehlverhalten zur Rechenschaft ziehen würde, drehte sich Fabius der Magen um. Dann befeuchtete er erneut seine Lippen, wartete, bis sie den nächsten Batzen ungläubiger Bewohnermasse der himmlischen Gefilde hinter sich gelassen hatten, und setzte zum dreihunderttausendachungsvierzigsten Mal zu seiner einstudierten Ansprache an.
Es war ein mühseliger Weg gewesen, bis sie die Stadttore der himmlisch-eisigen Hauptstadt erreicht hatten, und es würde noch eine ganze Weile dauern, bis sie endlich an ihrem eigentlichen Ziel, dem eisigen Wolkenschloss, ankommen würden, das sich im Außenbezirk der Hauptstadt befand. Obwohl das Wolkenschloss zur Hauptstadt gehörte, schien es, als wäre der Siegeszug auf dem Weg in eine komplett andere, eindrucksvollere Welt. Das Schloss selbst würde vermutlich leer stehen, davon war Fabius überzeugt, und der Gedanke daran, seinen zukünftigen König in dem gläsernen Saal des berühmten Schlosses der himmlischen Gefilde krönen zu dürfen, versetzt ihn in freudige Erregung, die seine Hände zittern ließ. Hinter ihm lief der Rest des Siegeszuges, die Fürsten der einzelnen Höllenbezirke, allesamt wichtige Generäle der Hölle, die sich im Krieg und bereits davor, in den Diensten anderer Sataä, erfolgreich bewähren konnten, sowie die teuflischen Berater Miryars, irgendwo unter ihnen Beelial, vereinzelt sogar einige Sklaven, die die Sänften der hohen Persönlichkeiten schleppten, die Fabius selten zu Gesicht bekam. Trotzdem wurde ihm die Ehre zuteil, einem einfachen Boten vom Land, direkt an der Spitze des kilometerlangen Zuges laufen, unweit neben seinem großartigen, bald gekrönten Gefildenkaiser Miryar, einem Wesen, das nur äußerlich einem Menschen ähnlich sah, jedoch trotz seines wunderschönen Gesichts, des langen, rabenschwarzen Haars und einer angenehmen Stimme in Wirklichkeit niemals etwas Menschliches besessen hatte (Die meisten Sklaven und Dienstleister besaßen ausschließlich einen menschlichen Körper, da jede andere Form Vergeudung von Materie wäre. Wer sich ein anderes Erscheinungsbild leisten konnte, wie Beelial beispielsweise, galt als unglaublich mächtig und genoss hohes Ansehen.). Als Sataä, der rechtmäßigen Herrscher über die Hölle, war er größtenteils die Manifestation dunkler Materie, eine Kreation der Hölle selbst, die niemals das Licht der Lebendigen Welt erblickt hatte, so wie die unzähligen Sataä zuvor, die irgendwann, am Ende ihrer Amtszeit von ihrer Dimension zurück geholt worden waren. Dementsprechend grausam und gleichermaßen faszinierend waren diese Wesen, unwissend von dem Leid derjenigen, die sie in ihrem Nachleben betreuten, und doch schienen sie für alles eine Art Sechsten Sinn zu haben, was Schmerzen und Grausamkeit über ihre Untertarnen brachte. Fabius hatte sich sagen lassen, dass Miryar sich streng an die höllischen Gesetze hielt – Ja, selbst ein ruchloser Ort wie die Hölle hatte anscheinend Gesetze, an die sich gehalten werden musste – doch außer dem bekannten Kodex für die Diener und Sklaven, die einen Treueschwur auf das Regime beinhalteten, war ihm keine vertragliche Bindung der Sataä gelehrt worden. Vermutlich ging sie ihn nichts an. Er war glücklich mit seiner jetzigen Situation, seltsamerweise, denn hier zu sein war sein Los, und an Miryars Seite zu stehen, sein Glück.
Miryar schritt stumm an der Spitze des Zuges voran – eine Sänfte hatte er knurrend abgelehnt und der zuständige Bote war unglücklicherweise umgebracht worden - und nichts weiter tat, als gelegentlich einen Blick nach rechts zu werfen, auf einen neuen Sklaven, der ihm nicht von der Seite wich, seit der Krieg vorbei war. Fabius hatte ihn zum ersten Mal gesehen, als er auf Geheiß Beelials in den Thronsaal vorgeladen worden war, um seine Ansprache an das eisig-himmlische Volk entgegenzunehmen, und die Ehre empfangen hatte, Miryar persönlich die kaiserliche Krone verleihen zu dürfen. „Hier, das ist für dich. Lerne diese Worte auswendig und sprich sie auf unserer Reise durch die Hauptstadt, wann immer du jemanden erblickst, der sie noch nicht vernommen haben könnte.", sagte Beelial mit einem beunruhigen Brummen ist der Stimme, als er Fabius das Pergament in die Hand drückte. „Danke.", stotterte Fabius, für den eine Rede in aller Öffentlichkeit, insbesondere einer solchen Öffentlichkeit, die höllische Boten besonders gern zum Frühstück verspeisen wollte, eine schier unlösbare Mammutaufgabe darstellte, und nahm das Pergament entgegen. Da er das Glück hatte, als Bote arbeiten zu dürfen, und ihm ein Dasein als Sklave noch weitaus weniger zusagte, musste er wohl oder übel die Befehle seines verstörenden Vorgesetzten annehmen, wenn er nicht doch noch nachträglich degradiert werden – sterben - wollte. Miryar saß währenddessen wie üblich wortkarg und offensichtlich gelangweilt auf seinem flammenden Thron und spielte mit den Funken, die aus seinen Fingerspitzen emporstiegen. Sein langes, schwarzes Haar fiel ihm über die Schultern und betonte seine ebenfalls tief schwarzen Augen, in denen man die Pupille und Iris nicht voneinander zu unterscheiden vermochte. Neben ihm saß, ein wenig abseits auf einem dunklen Sockel, ein junger Mann.
Fabius Suche nach einem Sklavenmerkmal – dünn bis auf die Knochen, missgebildet, fehlende Fingernägel oder eine Augenklappe – blieb erfolglos, was ihn dazu verleitete, den Fremden genauer unter die Lupe zu nehmen. Nichts an ihm schien auf ein ordinäres, freudloses Leben als Sklave hinzudeuten, aber was tat er dann in Miryars Thronsaal, wenn es nicht dienen war? Die Fantasien seines Kaisers waren allzu grausam, insbesondere dann, wenn er sich langweilte, wie es grundsätzlich der Fall war, also warum lebte er noch, obwohl er sich in dessen unmittelbaren Nähe befand? Miryar war nicht dafür bekannt, sich irgendwelche Jungen zu nehmen, um sie wie ein Hündchen an sich zu ketten, sondern um sie zu töten oder zu versklaven, was ungefähr ein ähnlich leidvolles Los für die armen Seelen war. Wieso schien es dann so, als wäre es Miryar, der den Fremden mit Adleraugen überwachte, fast so, als müsste er auf ihn aufpassen? Fabius bemerkte, dass er den jungen Mann zu lange anstarrte, und tastete mit einem perifären Blick die Gesichter der Umstehenden ab, um früh genug Wind von misstrauisch hochgezogenen Augenbrauen oder schmal verzogenen Lippen zu bekommen. Nichts hatte sich verändert; Miryar war in sein Flammenspiel vertieft und beachtete ihn nicht und Beelial war zu sehr mit der Unordnung seiner blutigen Kopfauswüchse beschäftigt, um Notiz von Fabius' Blickrichtung zu nehmen. Dieser wollte um jeden Preis vermeiden, mehr Aufmerksamkeit zu erregen, als gut für ihn war, also verbeugte er sich knapp, und lief schnelle Schrittes aus dem Thronsaal.
Nun lief er bereits seit der Siegeszug aufgebrochen war nicht mehr als zwei Meter neben dem besagten Fremden, und war seit dem mehrmals in Versuchung gekommen, ihn über seine Beziehung zu Miryar auszuquetschen, was er sich jedoch strengstens verbot. Nicht nur, weil seine Neugier ihn schon öfter in brenzlige, auch ablebensbedrohliche Situationen gebracht hatte, sondern auch aus absoluter Loyalität seinem Kaiser gegenüber. Dieser Typ ging ihn doch überhaupt nichts an. Natürlich war es absolut in Ordnung, wenn Miryar einfach irgendeinen Jungen jede Sekunde lang bei sich hatte, den er weder getötet, noch gefoltert oder sichtbar erniedrigt hatte, und der nicht einmal die einfachste Sklavenarbeit übernahm, und doch trotzdem mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter an Miryars Seite war. Aber normal war es eben nicht, und das störte Fabius.
Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er die eisig-himmlische Hauptstadt mit seinen gläsernen Straßen und angenehm blauen Balkonen, die an über dem höllischen Siegeszug an allen Seiten der symmetrischen Gebäude hervorragten, gar nicht richtig wahrnahm. Die Stadt war nach dem klassischen Bild der Antike errichtet worden, kreisförmige und symmetrische Symbole und Formen waren, egal, wohin man blickte, fast betont unscheinbar verwoben mit dem durchsichtigen Material, das entweder eine geniale Immitation desselben oder tatsächlich Glas war. Die zurecht ängstlichen Bewohner der Stadt, die allesamt die gleiche, blaugräulich schimmernde Haut, das fortgeschrittene Alter und die wissenden, grünblauen Augen besaßen, die sich zwar in die Nähe des Zuges trauten, aber sofort leise flüsternd auseinander stoben, als sie Miryar erblickten, zogen genauso nichtssagend an Fabius vorüber, wie die gläsernen Seelenfetzen, die in der Gestalt verschiedener, irdischer Tierformen wie Rehen, Eulen oder Tauben über ihnen ihre Kreise zogen, und die Deckung vor dem Zug suchten. Autonome Halbgeister, die Erhalter der eisig-himmlischen Gefilden, irdische Wesen, die in der Hölle einfach miteinander vermengt wurden, bis ihr Intellekt ausreichte, um die Leiche eines Sklaven aufzufüllen.  

Die Gesetzgeber - Leise rieselt der Schnee *Arbeitstitel*Where stories live. Discover now