Von theatralischen Seufzern und Sucubi

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Fabius machte sich wieder auf den Weg zum Thronsaal, der jetzt schätzungsweise nur noch wenige hundert Meter entfernt lag. Die Zeit lief hier irgendwie anders als in der Hölle, und Fabius war sich sicher, dass er unter einem Jetlag litt, der seine Wahrnehmung beeinträchtigte. Wie er es hasste, sein Ziel zu sehen, und es doch nur langsam erreichen zu können. Er versuchte, sich auf die Krönung zu freuen und die Begegnung mit dem eisig-himmlischen Mädchen – um das es sich ja offensichtlich gehandelt haben musste – zu vergessen. Das fiel ihm schwerer, als er für möglich gehalten hatte. Schließlich blieb er frustriert stehen, und beschloss, zurückzukehren, und es zu fragen, was es eigentlich von ihm gewollt hatte. Denn danach hatte er ja, wie es ihm erst dann wie Schuppen von den Augen fiel, überhaupt nicht gefragt.
Dass er seinen Weg in die entgegengesetzte Richtung fortsetzte, bereute er schon nach den ersten paar Schritten. Wieso war er nicht einfach weiter zum Thronsaal gegangen? Was war, wenn man ihn genau in diesem Moment für irgendetwas brauchte? Was würde geschehen, wenn er dann nicht vor Ort war? Würde dann jemand anderes seine Position übernehmen? Wer würde dann...? Hoffentlich bin ich bald irgendwo, wo ich etwas zu tun habe, fluchte Fabius in Gedanken und bemerkte mit kaltem Humor, dass er mit seinen Nerven in diesem Schloss schnell am Ende sein würde. Er passierte einige verwinkelte Auswüchse der Straße, die in das Schlossinnere führten, das sich wie ein gigantisches U auf zwei parallel gegenüberstehenden Seiten erstreckte, und durch den Thronsaal zu einem Bau verbunden wurden. Bestimmt war es hier gewesen, als er das Mädchen getroffen hatte, dachte sich Fabius überrascht, als er stehen blieb, zwischen noch immer fasziniert die Wände anbetenden Teufeln die Gegend nach einem auffällig himmlischen Bewohner absuchte, und nicht fündig wurde. Plötzlich hatte er das Gefühl, etwas furchtbar Wichtiges vergessen zu haben, schob es auf die bevorstehende Krönung, und begann, zum Thronsaal zu rennen.


„Du bist spät dran, Fabius.", fauchte Beelial, als Fabius endlich knapp vor Beginn der Sternenzeit im Thronsaal aufschlug, und fix und fertig war. Er hatte den Weg zum Thronsaal wohl doch ein wenig zu kurz eingeschätzt und sich dazu noch mit einem anderen Dienstleister verquatscht, der ihm zu seiner neuen Stellung als Zeremonienabgeordneter gratuliert hatte. Trotzdem – und das war die Hauptsache, redete er sich ein – war er hier, um seine Aufgabe zu erledigen. Nachdem er sich aufs Entwürdigendste vor Beelial entschuldigt hatte (Details an dieser Stelle würden zu unerhörten Kommentaren des geschätzten Publikums führen.), ließ dieser noch einmal Gnade walten, und führte in vom Eingangsbereich fort zu der Tür, durch die er schreiten würde, um seinem Kaiser das eisig-himmlische Zepter zu verleihen. Dort angekommen wies er Fabius in seine Aufgabe ein, erklärte ihm genauestens, wie er das Zepter und die Krone nehmen und auf Miryar zuschreiten würden, und überwachte Fabius' Lernprozess mit Adleraugen. „Verstanden, Mylord."
Fabius kribbelte jede Faser seines Körpers, als er schließlich wagte, über die gläserne Klinke zu streichen, doch es nicht wagte, sie mit der Hand zu umgreifen. Miryar würde der neue Kaiser des Dimensionsrings, wie man die Hölle und die eisig-himmlischen Gefilden gemeinsam bezeichnete, da sie die Lebendige Welt wie ein Ring umgaben, werden, und Fabius durfte diesem historischen Moment beiwohnen, mehr noch, er durfte ihn mit herbeiführen! In seinem Innersten überschlug er bereits grob, wie lange er nach diesem ersten Schritt nach oben brauchen würde, um seine schwarze Botenkluft gegen eine schicke Berateruniform eintauschen zu dürfen. „Ich bin so froh, dass ir es geschafft haben.", sprach er leise in Beelials Richtung. Eine der engsten Vertrauenspersonen des Kaisers zu werden, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, was war es, das ein Dienstleister mit potentiellen Aufstiegschancen mehr wollen könnte? Fabius seufzte innerlich, als er den Wahnsinn dieser Vorstellung begriff, konnte sich seinem Traum jedoch nicht erwehren.
„Ich bin dann froh, wenn Miryar erfolgreich den eisig-himmlischen Thron bestiegen hat, Fabius. Deswegen brauchen wir auch dich in diesem Schloss, einen vertrauenswürdigen Teufel. Wer sollte ihn schließlich sonst krönen? Du kennst ja sicherlich die Tradition, dass eine Krönungszeremonie nur durch einen Zivilisten durchgeführt werden kann. Und wer sollte unseren Kaiser in den himmlischen Gefilden freiwillig krönen, denn freiwillig muss es schon sein. Du kannst dir sicher vorstellen, dass das Volk nicht besonders erbaut von unserem Sieg und dieser Zeremonie ist.", sagte Beelial mit dem üblichen, dumpfen Grollen in der Stimme, und die Zähne seiner Köpfe klapperten verstörend. Fabius blickte ihm in eines der Gesichter und nickte, wenn auch etwas verwirrt. Natürlich war es schlecht, wenn eine Nation einen Krieg verlor, aber einen besseren, gerechteren Kaiser als Miryar konnte sich doch niemand ernsthaft wünschen? „Es ist natürlich schade, dass sie den Krieg nicht gewonnen haben, aber was ist ihr Problem mit Miryar?", fragte er leise, aus Angst, kurz vor der Krönung doch noch zu versagen. Man wusste nie, durch welche Worte man welches Geschick beschwor, so viel hatte er während seiner kurzen Höllenzeit gelernt. Zu seiner Erleichterung lächelte Beelial milde. „Nichts, das ist es ja gerade. Sie fürchten vermutlich verheerende Folgen aus der Vereinigung der Exekutive, die sich aus Miryars Herrschaft ergibt. Natürlich gibt es noch keine konkreten Pläne diesbezüglich, doch gleich in Panik zu verfallen halte ich für den falschen Weg, meinst du nicht auch?" Er seufzte eine Spur zu theatralisch, aber Fabius bemerkte es nicht. „Wir müssen sie zur Vernunft bringen und ihnen erklären, dass Miryar ein guter, gerechter Herrscher sein wird, der auch die eisig-himmlische Bevölkerung versteht und mit ihr fühlt.", fügte er an und sein Blick durchbohrte Fabius wie ein glühendes Eisen ein Stück Papier. Dieser legte die Stirn in Falten. Ein Volk musste beruhigt werden, das stimmte. „Aber wer soll das denn tun?", fragte er. Beelial fasste ihn mit seiner Fledermausklaue am Arm, die erste bewusste Berührung, die Fabius in der Hölle erfuhr, und die ihn zutiefst schockierte. Er wandte jedoch nicht den Blick von seinem Vorgesetzten ab, sondern verharrte in einer Schockstarre, was dieser wohl als erwartungsvolles Schweigen interpretierte. „Fabius, ich möchte dir ein Lob aussprechen. Du hast dich bisher besser hier eingelebt, als so mancher Teufel vor dir, das kann ich dir sagen. Wie du unserem guten Kaiser ergeben bist, ist wirklich einmalig, weißt du. Das ist wahre Loyalität. Nur sehr wenige von uns wagen es, diesen Schritt zu machen, und in nur so kurzer Zeit so über sich hinaus zu wachsen. Ich bin so froh, dich aufgenommen zu haben." Er hielt kurz inne und las die Glückseligkeit in Fabius' Augen. „Möchtest du nicht diese ehrenvolle Aufgabe übernehmen? Natürlich nur dann, wenn du dich bereit fühlst." Fabius nicht, was ihn erwartete, aber das war ihm auch nicht wichtig. Wichtig war nur, dass er Miryar so dienen konnte, so, wie dieser es verdiente. Wie viel Wahres an Beelials Worten objektiv gesehen dran war, war ihm ebenfalls egal, denn er wusste instinktiv, dass dieser Recht hatte. Wie auch immer Miryar es schaffen würde – und er würde es schaffen – die Pflichten des eisig-himmlischen Himmelstreibers zu erfüllen, Fabius würde immer auf seiner Seite stehen, und seinen Posten bis aufs Blut verteidigen. Das hieß doch Familie, oder? Trotzdem antwortete Fabius nicht, er hatte auch keine Möglichkeit mehr, denn Beelial ließ ihn kurz nach dieser zwielichtigen Andeutung aufgrund der bevorstehenden Krönungszeremonie allein. Fabius konzentrierte sich nicht mehr auf ihn oder seine Worte, die er gänzlich als Kompliment begriff. Er ordnete seine Prioritäten neu und murmelte seine Sätze vor sich hin.

Nun war es soweit. Fabius war in den letzten Momenten (Wie lange genau, darüber machte er sich keine Gedanken, da die Zeit in der Hölle wie bereits ausgeführt in anderen Dimensionen spielt und das Altern ihrer Bewohner im Schneckentempo voranschreitet.) die komplette Krönungszeremonie sechsmal durchgegangen und hatte sich vergewissert, dass er keine einzige Textlücke besaß, sondern seine beiden Sätze stich- und nagelfest saßen. Mitten in der Sternenzeit, in wenigen Minuten, würde er in den festlichen Thronsaal eintreten, den er bis dato noch nie gesehen hatte, und Miryar zum Kaiser des Totenreichs ausrufen. Diese Erkenntnis war wie ein Mantra in seinem Kopf verankert.
Fabius saß wie auf glühenden Kohlen, als Beelial schließlich eintrat und ihm sein Zeichen gab. Wenige Augenblicke. Als Fabius sich bereitmachte, sah er aus den Augenwinkeln plötzlich einen Schemen hinter sich vorbeihuschen. Er fuhr herum, wütend über die Störung, doch dann zog bereits irgendetwas seine spitzen Krallen in einem Zuge über sein Gesicht und seinen Anzug. Fabius unterdrückte einen wütenden Aufschrei und wand sich, um seinen Angreifer loszuwerden, der jedoch sofort nach seinem hinterhältigen Angriff verschwunden sein musste, denn als Fabius die schmerzenden Augen öffnete, um Deckung zu suchen, war er allein. Verdammt nochmal, er war zu spät dran. Ein wenig verzweifelt fuhr er sich durch sein kurzes, dunkelrotes Haar, und zog seinen Grubenring, den er in der Lippe trug, ein Erkennungszeichen für seinen freien, sozialen Stand, zurecht, bevor er seine Kleidung leise fluchend zurecht zupfte, und mit einem aufgeregten Glucksen die gläserne Türklinke zum Thronsaal hinunter drückte.

Wie schrecklich langweilig das alles war.
Gideon Naige saß mit einem Gesichtsausdruck wie drei Tage Regenwetter auf einem der sechs rotgoldenen Sessel, die in einer Reihe hinter dem Thron platziert waren, und verfluchte einmal wieder sich und die Welt. Unter anderem wurmte ihn die Tatsache, dass er wie aus dem Nichts vom Tod wieder auferstanden war, und nun one irgendetwas dafür getan zu haben in Miryars persönlichen Diensten stand. Als was genau, darüber wollte ihm der zukünftige Gefildenkaiser keine Auskunft geben, Gideon vermutete nur, dass ihm mit Sicherheit kein Gehalt zustand. Mit einem gereizten Knurren schnippte Gideon einen Fussel von seinem schwarz-roten Anzug, der ihm extra für die Feierlichkeiten aufgezwungen worden war. Er war edel, kein Zweifel, eine rote ihm unbekannte Blüte zierte seine linke Brust und von dieser ausgehend verliefen ein paar rote Linien über den restlichen Stoff. Es musste sich um eine Maßanfertigung handeln, denn man hatte die schwierige Länge von Gideons spindeldürren Beinen berücksichtigt, so dass der Rock für jeden Durchschnittsverbraucher vermutlich viel zu lang sein würde. Trotzdem, Gideons Laune war im Keller. Er hatte absolut versagt. Seit er aus dem Tod, dem echten Tod, auferstanden, und in Miryars königlichen Gemächern aufgewacht war, wusste er, dass er erstens keinerlei Erinnerung daran besaß, wie er komplett neu eingekleidet in das Schlafgemach eines Sataä gekommen war und zweitens, dass er die Aufmerksamkeit, die ihm seitdem von sämtlichen Dienstleistern zuteil geworden war, verabscheute. Irgendwie hatten selbst die Sucubi in Miryrs Gemächern einen Naaren an ihm gefressen und ließen sie ihn das deutlich spüren. Kaum war er erwacht gewesen, hatten sich bereits einige gackernde höllische Dienstmädchen über seine schmerzenden Glieder hergemacht, um ihn mit roten Stofffetzen einzukleiden und seine Wunden neu zu versorgen. Dabei hatte Gideon mit wachsendem Unbehagen beobachtet, wie die eine oder andere ihm sehr deutliche Signale bezüglich anderer Dienstrichtungen gesendet hatte, diese aber geflissentlich ignoriert. Sucubi gab es in der Hölle wie Sand am Meer, keines dieser Mädchen war auch nur im Geringsten besonders, was sie für Gideon langweilig und verabscheuungswürdig machte. Sucubi waren auch nur Sklaven, die ihren Dienst verrichteten, und die Art ihres Dienstes gefiel Gideon nicht, der seinerseits lediglich als Sklave für einen Dienstleister gearbeitet und sich mit Pergament herumzuschlagen gelernt hatte. Und der letzte Grund für seine Ablehnung: Er war gerade vom Tod wiederauferstanden, über solche Vergnügen konnte er sich gerade wirklich keine Gedanken machen.  

Die Gesetzgeber - Leise rieselt der Schnee *Arbeitstitel*Where stories live. Discover now