Kapitel 6 ~ Crispin

2.6K 261 29
                                    

LESENACHT 4

PoV Jeremie

Alice und Leonard setzten sich auf ein Sofa.
"Wie schon gesagt. Er ist speziell." Ich verdrehte die Augen.
"Und was heißt das genau?" fauchte ich. Es war mir egal, wer da vor mir saß. Die beiden wollten unsere Hilfe, also sollten sie uns alles sagen und wenn ihr Bruder gefährlich war, mussten wir das wissen.
"Crispin ist gefährlich. Aber nicht für euch oder uns. Niemals würde er etwas tun, was seiner Familie, Freunden oder Verbündeten schadet. Und die Personen, die diesen Leuten schaden, für die ist unserer Bruder gefährlich. Er ist der älteste und fühlt sich für uns verantwortlich, da wir nie einen Vater hatten." Wir nickten. Vielleicht war dieser Crispin vor fünftausend Jahren so gewesen, aber wie war das jetzt?
Alice spürte mein Misstrauen.
"Er hat sich über die Jahre nie verändert." Jetzt mischte sich Lana das erste Mal ein.
"Von Crispin habe ich tatsächlich schon einmal gehört. Allerdings wusste ich nicht, dass er der Ur-Vampir ist." Leonard nickte zustimmend.
"Von Crispin hört man die meisten Geschichten. Die meisten laufen darauf hinaus, ihn als emotionalen Schwächling dastehen zu lassen. Er hat mehr geschlafen, als wir anderen Ur-Wesen zusammen."
Elias runzelte die Stirn und setzte sich neben Lana.
"Aber das muss doch einen Grund haben?" fragte dieser und zögernd sahen sich die Geschwister an.
Sofort meldete ich mich zu Wort.
"Wenn wir euch vertrauen sollen, müsst ihr mit uns reden. Ihr mögt zwar Ur-Wesen sein, aber scheinbar benötigt ihr für diese Herausforderung Unterstützung." Alice seufzte resigniert und fing wieder an zu reden. Sie schien gesprächiger als ihr schweigsamer Bruder.
"Als Crispin elf war, fragte er unsere Mutter etwas, was unser aller Leben ändern sollte. Er fragte: Mama, welchen Sinn hat es ewig zu leben, wenn man alleine lebt?" Alice lächelte bei dem Gedanken.
"Er war schon als Kind sehr ernst und hinterfragte Gott und die Welt. Also erschuf unsere Mutter ein Band zwischen zwei Personen, welches so stark war, dass nicht mal der Tod es trennen konnte."
"Gefährten." unterbrach Niclas ungläubig und Alice nickte.
"Ja. Sie erschuf das erste Band zwischen Gefährten. Und für Crispin, den ersten geborenen Übernatürlichen, sollte es jemand ganz besonderes sein. Wisst ihr, unsere Mutter, war die erste Hexe, die es je gab. Sie war eine Heilerin. Und ihre unvergleichliche Verbundenheit zur Natur, schenkte ihr diese Kraft. Zumindest hat sie es uns so erklärt. Die Wahl unserer Mutter fiel schließlich auf Eason. Er war der Hohepriester unserer Gemeinde. Allerdings war Crispin elf und Eason zu dem Zeitpunkt schon fast Erwachsen. Also mussten sie warten, bis Crispin achtzehn wurde. Aber so weit kam es erst gar nicht. Eason wurde wenige Wochen vorher getötet.  Ihre Seelen waren schon verbunden, sie hätten nur noch Blut von anderen trinken müssen. Also beschloss Crispin seinen Gefährten zu suchen. Er sieht keinen Sinn in einem ewigen Leben, welches er alleine verbringen muss. Aber er fand ihn nie. Und aus Verzweiflung schlief er so viel. Und lange. Damit die Zeit schneller umgeht." Kurz herrschte schweigen.
"Er hat fünftausend Jahre seinen Gefährten gesucht und nicht gefunden?" fragte Niclas zweifelnd und Alice nickte.
"So geht es aber vielen. Leonard hat seinen noch nie getroffen." Angesprochener schnaufte.
"Ich suche auch nicht so verzweifelt danach. Es passiert, wenn es passieren soll." Alice lachte kurz.
"Leo ist ein wenig altmodisch. Gibt es noch mehr, was ihr wissen wollt?"

PoV Erik

Als ich aufwachte, spürte ich einen Schmerz im Hinterkopf und fasste automatisch mit der Hand hin. Ich spürte einen Verband. Jemand hatte meine Wunde versorgt.
Leon.
Schnell wanderte mein Blick durch das Zimmer und glücklicherweise fand ich meinen Bruder auf der Couch. An seiner Aura erkannte ich, dass es ihm gut ging. Er schlief nur.
Dann hörte ich ein leises Klirren aus dem Flur und langsam stand ich auf und nahm ein Messer, welches ich für Notfälle unter den Sessel gelegt hatte, in die Hand. Das Geräusch kam aus der Küche. Der Anblick, der sich mir bot, sorgte dafür, dass mir schlecht wurde. Ein Körper lag auf dem Boden und von seinem Kopf war nur noch  roter Match übrig. Ich schluckte und sah an den Küchentisch.
Dort saß eine weitere Person und trank seelenruhig Kaffee.
"Jetzt versteh ich endlich, was ihr alle an diesem Getränk findet." Der Mann, fast noch ein Junge, konnte kaum älter sein als ich. Aber er strahlte etwas bedrohliches aus, was nicht nur an seinen blutigen Händen lag, mit denen er wohl den Kopf der anderen Person zerdrückt hatte.
"Keine Sorge. Das auf dem Boden war dein Angreifer. Ich bin dein Retter." Er grinste ein Tausend-Watt-Lächeln, was schon fast gruselig war und kam auf mich zu.
Ich erkannte sofort den Vampir in ihm. Und gelogen hatte er auch nicht. Also konnte ich ihm vertrauen?
"Wie unhöflich von mir. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Crispin." Er streckte mir die blutige Hand entgegen.

LESENACHT OVER AND OUT!

Seher - Die GabeWhere stories live. Discover now