11. Dabei fällt mir ein, dass ich glücklich bin

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Karin merkte wie ihr Schlafanzugoberteil langsam nach oben bewegt wurde und spürte wie sich eine warme, große Hand auf ihren nackten Bauch legte, die sanfte Kreise über ihre Haut streichelte. Das Nächste, was sie fühlte, war eine leichte Kälte auf ihrem Bauch, als die Bettdecke zur Seite geschoben wurde. Schon einige Augenblicke später wurde die winzige Wölbung ihres Bauches mit liebevollen Küssen bedeckt.
Langsam öffnete sie an diesem Samstagmorgen ihre Augen und sah Stefan, der immer noch mit ihrem Bauch beschäftigt war. Ihre Hände legten sich in seine verwuschelten Haare und kraulten sanft seine Kopfhaut. Stefan ließ von den Liebkosungen auf ihrem Bauch ab, blickte nach oben und damit direkt in Karins Augen, denen er das unverkennbare Vollmerlächeln zuwarf.
„Du wirst in letzter Zeit auch magisch von meinem Bauch angezogen."
Er rückte nach oben, sodass sie auf der Seite lagen und ihre Gesichter nur wenige Millimeter auseinander, dabei ruhte seine Hand beschützend auf ihrem Bauch.
„Kein Wunder, wenn ich weiß, dass unser Baby darin wächst."
In seinen Augen erkannte sie einen unmerklichen Anflug von Trauer, der so schnell verschwand, wie er gekommen war und dennoch wusste sie genau, woran er dachte. Sie kannten sich in- und auswendig und ihre nonverbale Kommunikation hatten sie in den letzten Jahren so perfektioniert, dass sie keine Worte brauchten und trotzdem genau wissen, was der jeweils Andere denkt, fühlt und möchte.
„Stefan...", begann sie, stockte jedoch direkt, weil sie nach den richtigen Worten suchte.
„Karin, wir waren doch beide Schuld an der Situation mit unserer Trennung", wusste er direkt, worauf sie hinaus wollte. „Als du Michael und mir von deiner Schwangerschaft erzählt hast, war ich damit komplett überfordert, weil ich nicht wusste wie ich mit der Lage umgehen und wie ich mich dir gegenüber verhalten sollte. Ich hätte dir direkt sagen sollen, dass ich dich liebe und für dich und das Baby da bin, weil ich das mit dir gemeinsam erleben möchte. Aber ich war zu feige und immer wenn ich mich dazu entschlossen habe, dich von Lemgo abzuhalten oder wieder nach Köln zurück zu holen, habe ich im allerletzten Moment doch wieder den Schwanz eingezogen."
Sie grinste auf Grund seiner Wortwahl und wollte gerade etwas erwidern, jedoch ließ er sich nicht unterbrechen, indem er seinen Zeigefinger auf ihren Lippen platzierte.
„Und auch wenn ich mich möglicherweise irgendwann getraut hätte, wusstest du genau, was du wolltest und hast es selbst in die Hand genommen. Ich ärgere mich einfach nur unglaublich, dass ich solche Momente wie jetzt, damals mit Frida verpasst habe. Außerdem habe ich dich alleine gelassen, als du erfahren hast, dass du schwanger bist und ich habe dich einfach hängen lassen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du dich gefühlt haben musst, als du Frida das erste Mal auf dem Ultraschall gesehen hast. Auf der einen Seite diese pure Freude, dass ein Baby, dein Baby, in deinem Bauch wächst, aber auf der anderen Seite warst du alleine und hattest niemanden mit dem du dein Glück in diesem Moment teilen konntest."
„Genau genommen war ich gar nicht alleine. Barbara war bei mir." Er schaute sie fragend an. „Ja, wie Barbara nun mal ist, hat sie schnell herausgefunden was Sache ist und mich quasi gedeckt", lachte Karin.
„Muss ich das jetzt verstehen?" fragte er ungläubig.
„Ehrlich gesagt nicht."
„Was ich aber eigentlich sagen möchte, ist, dass ich diesen Augenblick niemals vergessen werden, als wir vor ein paar Tagen unser kleines Baby zum ersten Mal gesehen haben. Das war einfach überwältigend und auch, wenn es noch etwas dauert, bis ich außer einem schwarzen Fleck etwas auf den Ausdrucken erkennen kann, bin ich wirklich glücklich. Jetzt sind wir hier, zusammen mit Frida und unserer kleinen Noske, die wir in einigen Monaten in unsere Arme schließen können. Ich werde alles daran setzen, dass ich bei meinem dritten Kind nichts verpasse und wir alles gemeinsam erleben."
Seine Hand legte sich auf ihre Wange und sein Daumen strich immer wieder liebevoll darüber, während sie grinste: „Du meinst wohl unseren kleinen Vollmer."
„Bevor wir jetzt über etwas diskutieren, was wir sowieso nicht beeinflussen können, hätte ich eine bessere Idee, wie wir unsere Zeit nutzen können", neckte er sie und positionierte sich über ihr. Sie strich ihm die Haare aus der Stirn.
„Was könnte das wohl sein?", erwiderte sie grinsend und legte ihre Hände auf seine nackte Brust.
„Du weißt genau, was ich meine", gab er flirtend zurück, während sich seine Lippen ihren immer weiter näherten. Erwartungsvoll sah sie ihm tief in die Augen und ihre Zunge fuhr einmal über ihre Lippen. Kurz bevor sich ihre Lippen trafen, stoppte Stefan seine Bewegung, doch Karin wollte nicht mehr warten und zog ihn mit ihrer Hand an seinem Nacken zu sich. Ihre Ungeduld brachte ihn zum Grinsen und er knabberte sanft an ihrer Unterlippe, bevor sie sich mit geschlossenen Augen intensiv küssten. Er hinterließ einen Hauch von Küssen an ihrem Hals und wollte sie gerade komplett von ihrem Oberteil, welches er bereits nach oben geschoben hatte, befreien, als sie plötzliche gedämpfte Schritte auf dem Flur vernahmen, die immer näher kamen.
„Frida muss eindeutig an ihrem Timing arbeiten." Enttäuscht sank sein Kopf auf ihr nacktes Schlüsselbein.
„Heute Nacht schläft sie bei deiner Mama."
„Aber auch nur, weil wir auf Barbaras Geburtstag sind", nuschelte er gegen ihre Haut.
„Was nicht heißt, dass wir für uns gar keine Zeit haben. Schließlich können wir selbst entscheiden, wann wir gehen wollen. Wir sind schließlich erwachsen."
Nach einem letzten Kuss auf ihre Brust, zog er ihr Shirt wieder nach unten und sie kuschelte sich in seine familiäre Umarmung.
Nur Sekunden später hörten sie, wie der Türgriff ihres Schlafzimmers zögernd heruntergedrückt wurde und Frida ihren Kopf, auf dem ein Wirrwarr an blonden Haaren herrschte, hereinsteckte. Als sie sah, dass ihre Eltern wach waren, schob sie ihren zierlichen Körper, der in ihrem rosa Schlafanzug steckte, komplett durch die Tür. Ihre Füße bedeckten ihre gepunkteten Kuschelsocken und in ihrer Hand hielt sie Hasi, ihren kleinen Stoffhasen mit den langen Schlappohren und dem hellgrünen Halstuch, fest umschlossen.
„Darf ich kuscheln?", fragte sie verschlafen und rieb sich mit ihrer freien Faust die müden Äuglein.
„Na klar, komm her."
Dies ließ sich Frida nicht zwei Mal sagen, tapste zum Bett und kletterte über ihren Papa zwischen ihre Eltern. Stefan hüllte seine Familie in die Bettdecke und die beiden drückten Frida jeweils einen Kuss auf die Haare, während Karin versuchte etwas Ordnung in ihr Haarchaos zu bekommen. Die drei genossen die morgendliche Nähe einige Minuten stillschweigend, bis Karin kaum hörbar fragte: „Frida, hast du schlecht geträumt?"
„Nein Mami, ich konnte einfach nur nicht mehr schlafen."
Karin fing Stefans Blick auf und ohne auch nur ein Wort zu sagen, nickte er ihr zustimmend zu: „Frida, wir möchten dir ein Geheimnis verraten."
Ihre verschlafenen Augen weiteten sich gespannt nach dieser Ankündigung und sie schaute wissbegierig zwischen ihren Eltern hin und her: „Ein richtiges Geheimnis, was noch niemand weiß?"
„Genau, nur Mama, du und ich", erläuterte Stefan.
„... und Oma Charlotte", ergänzte Karin lachend. „Frida du wirst bald eine große Schwester werden", offenbarte Karin ihr glücklich.
„Wirklich?", forschte sie ungläubig nach.
„Ja, wirklich. In Mamas Bauch wächst eine kleine Weintraube."
„Aber, Papi, ein Baby ist doch ein Mensch und keine Frucht", erwiderte Frida empört.
Stefan lachte: „Das stimmt, Frida. Aber das Baby in Mamas Bauch ist jetzt neun Wochen alt und demnach inzwischen so groß wie eine Weintraube."
„Darf ich mal gucken?", erforschte sie interessiert.
„Natürlich." Karin zog erst ihre Decke und dann ihr Oberteil etwas nach oben, um ihren Bauch für die kleinen Kinderhändchen frei zu legen.
Sofort rückte Frida zu diesem und legte zaghaft erst ihre Hand und dann ihr Ohr auf den Bauch ihrer Mama.
„Man sieht und hört ja noch gar nichts", stellte sie enttäuscht fest und zog ihre Mundwinkel nach unten.
„Noch nicht, aber es wird nicht mehr lange dauern und wenn du genau hinguckst, dann kann man ein winziges Bäuchlein sehen."
Frida ließ ihre linke Hand auf dem Bauch liegen, setzte sich in den Schneidersitz und erklärte mit erhobenen rechten Zeigefinger: „Wir müssen heute unbedingt einkaufen!"
„Wir waren doch erst gestern einkaufen, hast du das etwa vergessen?", lachte Stefan.
„Doch nicht essen und trinken", stellte sie fest, als sei es das Normalste der Welt.
„Was denn dann?", fragten Karin und Stefan gleichzeitig.
„Ich muss auf jeden Fall sofort ein Kuscheltier für meinen kleinen Bruder kaufen, schließlich habe ich von Jonas auch eins bekommen. Dafür habe ich bestimmt genug Geld gespart."
„Das ist eine sehr gute Idee, Frida", ermutigte Karin sie.
„Und wenn dein Geld nicht ausreicht, dann bezahle ich dir den Rest."
„Nein, Papi. Ich möchte das alleine kaufen und wenn mein Geld nicht reicht, dann spare ich so lange bis ich das für meinen Bruder bezahlen kann."
„Komm mal her."
Frida zog widerwillig ihre Hand vom Bauch und krabbelte in die Arme ihrer Mama.
„Du wirst eine wunderbare große Schwester werden, aber ob du einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester bekommst, wissen wir noch nicht", stellte Karin fest, als sie ihre Arme um Frida schloss und Stefan sich glückselig an die beiden kuschelte.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWhere stories live. Discover now