51. Weil es perfekt ist, wie wir sind

735 22 6
                                    

Stefan hatte große Mühe seine Augen offen zu halten, als er in grauem Langarmshirt, brauner Lederjacke, Jeans und Chucks gegen einen dunklen Pfeiler auf dem Schulhof lehnte und die Schüler bei der Pausenaufsicht im Blick behielt, so gut es mit halb geschlossenen Augen eben ging. Zeugniskonferenz, Klausuren und Unterricht nahmen in den letzten Wochen vor den Sommerferien einen Großteil seiner Beschäftigungen ein, da er seine Nachmittage nach Schulschluss dafür nutzte, um mit seinem Töchterchen zu spielen und die freie Zeit gemeinsam mit seinen beiden Mädels zu verbringen. Glücklicherweise war der Umbau, die Renovierung und die Einrichtung ihres Hauses inzwischen seit fast vier Monaten abgeschlossen, sodass Karin lediglich die letzten Wochen damit verbrachte ihre Blumenbeete zu bepflanzen und er regelmäßig ihren grünen Rasen mit dem Mäher stutzte. Er hatte für Frida eine Sandkiste gebaut, eine Schaukel an der alten Eiche befestigt, das Gartentor frisch gestrichen und die grüne Hecke aus Kirschlorbeeren geschnitten, die der Vormieter vor einigen Jahren gepflanzt hatte. Diese umgab ihren Garten und schützte sie vor neugierigen Blicken.
Ein sanftes Lächeln zog sich auf seine Lippen, als er sich daran erinnerte, wie seine Frauen das erste Mal voller Freude gemeinsam die Schaukel ausprobiert hatten. Frida saß auf dem Schoß ihrer Mama, streckte immer wieder ihre Ärmchen nach oben und warf lauthals lachend ihren Kopf nach hinten, während er ihnen Schwung gab und ihre blonden Haare im Wind wehten. Seine Abende und Nächte musste er dann für das Korrigieren und Vorbereiten nutzen und auf Schlaf verzichten, aber zum Glück waren es nur noch zwei Wochen bis zu den langersehnten Sommerferien.
Ein Arm war vor seiner Brust verschränkt, während er versuchte sich mit dem Kaffee wach zu halten, den er immer wieder aus seinem Becher nippte. Er strich sich einmal durch die Haare, während er die frische Luft und sanften Sonnenstrahlen genoss und versuchte die Schüler und ihre Unterhaltungen auszublenden.
Plötzlich rollte ein Basketball in sein Sichtfeld und prallte gegen sein Bein, sodass er aus seiner Träumerei geholt wurde.
„Was ist los, Vollmer? Werden sie etwa alt?", stachelte ihn der G-Kurs auf Grund seiner fehlenden Reaktionszeit an.
„Von wegen alt. Die Einzigen, die gleich alt aussehen werden, seid ihr."
Stefan stellte schnell seinen Becher auf den Boden und warf seine Lederjacke dazu. Er eilte auf das Spielfeld, während er seine Ärmel über die Ellenbogen schob und eine Seite seines Shirts, typisch Vollmer, in den Bund seiner Jeans steckte, um die Herausforderung anzunehmen.

Karin parkte routiniert den Pkw auf ihrem Parkplatz vor der Schule. Zu Fridas vertrautem Gebrabbel vom Rücksitz nahm sie den Gang raus, zog die Handbremse an und schaltete den Motor aus. Sie drehte sich in ihrem Sitz nach hinten, nachdem sie ihren Gurt gelöst hatte, und beobachtete ihre sechzehn Monate alte Tochter in ihrem Kindersitz. Ihr Stoffhase mit dem grünen Halstuch saß auf ihrem Schoß und sie erzählte ihrem Hasi aufgeregt eine Geschichte in nicht verständlicher Sprache. Fridas Beinchen baumelten hinab, während ihre Füße mit ihren weißen Söckchen und roten Schühchen immer wieder gegen die schwarzen Polster prallten. Unter ihrer langen Latzhose trug sie ein rot und weiß geringeltes T-Shirt und am Jeansstoff ihrer Hose klemmte ihre Schnullerkette mit den eckigen Perlen aus Holz, die ihren Namen bildeten.
Ihr Gemurmel verstummte, als sie bemerkte, dass die bekannten Fahrgeräusche weg waren und ihr Blicke lösten sich von ihrem Kuscheltier: „Mami."
„Wir sind bei Papa in der Schule", lächelte sie das blonde Mädchen mit den zwei kleinen, geflochtenen Zöpfchen an den Seiten ihres Kopf an.
„Papi", warf sie freudig ihre Ärmchen nach oben, wobei ihr Hase aus ihren Händen rutschte und im Fußraum landete. „Upsi", gebannt und überrascht starrte sie nach unten und wieder nach oben. Ihre Unterlippe zitterte und ihre Augen wurden glasig. „Hasi", schniefte sie mit traurigem Blick ihrer Mama entgegen.
Karin streichelte sanft mit ihrer Hand Fridas Knie: „Ich helfe dir beim Aussteigen und dann bekommst du deinen Hasi gleich wieder." Ihre Beschwichtigungen sorgten für ein Lächeln bei ihrer Tochter.
Karin schnappte sich ihre Handtasche vom Beifahrersitz, stieg aus und umrundete das Auto, um Fridas Tür zu öffnen und ihr den Stoffhasen wieder zu geben. Karin griff die Wickeltasche vom Sitz, in die sie noch ein paar Spielzeuge gepackt hatte, und hob anschließend ihre Tochter aus ihrem Kindersitz, die neugierig ihre Umgebung betrachtete, als ihre Füße den Boden berührten. Etwas ängstlich griff sie nach der Hand ihrer Mama und zusammen machten sie sich auf den Weg in die Schule.
Frida klemmte ihren Hasi unter ihren freien Arm und ihr Schnuller baumelte an der Kette vor ihrem Bäuchlein. Konzentriert trottete sie langsam neben ihrer Mama auf wackeligen Beinchen her. Ihr Blick fokussierte sich auf die zwei Stufen vor der Schule, die sie konzentriert hinauf kletterte und dabei ihre Schritte stolz von Karin beobachtet wurden.
Je näher sie dem Schulhof kamen, desto lauter wurde der Trubel, da immer noch große Pause war. Das Mädchen blieb abrupt stehen auf Grund der bisher ungewohnten Geräusche, die ein buntes Kaleidoskop aus Eindrücken und Stimmen für sie waren. Sie schaute sich aufmerksam um. Die Schüler schrien, lachten und liefen wild umher, sodass sich Fridas Händchen löste und sie sich ängstlich an Karins Bein klammerte: „Mami."
Sie beugte sich zu ihrer Tochter und strich ihr beruhigend über die Haare: „Keine Sorge, mein Schatz. Ich bin bei dir."
Karin wusste, dass Stefan Pausenaufsicht hatte, weshalb sie sich suchend umschaute und ihn nicht verwunderlich schon kurz darauf auf dem Basketballfeld entdeckte, wo er gerade einen Korb seiner Mannschaft bejubelte, indem er seine Arme triumphierend in die Luft reckte.
Sie kniete sich neben ihre Tochter, sodass sie auf Augenhöhe waren, und legte ihren Arm um sie. Das Mädchen rückte dichter an Karin und krallte sich in ihre helle Bluse.
„Schau mal, Frida. Wer läuft denn da vorne?", deutete sie mit ihrem Zeigefinger in Richtung Hof.
Neugierig drehte sich ihr Köpfchen und sie folgte dem Finger. „Papi", leuchteten ihre Augen auf einmal hell, als sie ihren Vater entdeckte. Unsicher schaute sie mit großen Augen zwischen ihren Eltern hin und her bis Karin ihr einen kleinen Stups gab.
„Papi?"
Karin nickte ihr aufmunternd zu und schon trippelte Frida los. Je dichter sie ihrem Papa kam, desto lauter wurde ihr Rufen nach ihm und die wilden Bewegungen ihrer Arme mit Hasi. Überrascht drehte er sich um, als er die ihm bekannte Stimme hörte, und entdeckte sein kleines Mädchen, das so schnell ihre kurzen Beinchen sie tragen konnten, zu ihm gelaufen kam.
„Frida", rief er ihr entgegen und kniete sich nach unten, nachdem er ihr zugewunken hatte. Ihre Händchen drehten sich ebenfalls dynamisch und sie fiel ihrem Papa stürmisch in die Arme. Stefan stand auf, während er sie in eine feste Umarmung zog und mit vielen kleinen Küsschen begrüßte, die er auf ihrem Gesicht verteilte und sie zum Grienen und fröhlichen Lachen brachte.
Karin war inzwischen auch bei ihnen angekommen und er schlang seinen freien Arm um ihre Taille.
„Vermisst ihr mich etwa schon?", begrüßte er sie schmunzelnd und drückte seiner Frau einen liebevollen Kuss auf die Wange.
Karin drehte sich in seinen Armen und legte ihre um seinen Hals. „Dich vermissen wir immer", offenbarte sie ihm und gab ihm einen zärtlichen Kuss, den er nur zu gern entgegen nahm. „Heute ist die Besprechung fürs neue Schuljahr, hast du das etwa vergessen?"
„Nein, aber wieso ist Frida hier?", strich er seinem Töchterchen über den Rücken, die sich an seinen Oberkörper lehnte und seine sanften Berührungen genoss und die Nähe zu ihrem Papa suchte.
„Deine Mama ist krank und so schnell konnte ich keinen Babysitter auftreiben", erklärte Karin.
„Was schlimmes?", erfragte er direkt besorgt.
Sofort schüttelte sie beruhigend den Kopf: „Nein, nur eine Erkältung, aber sie möchte unser Mäuschen nicht anstecken." Karin strich ihrer Tochter über die Wange, die langsam begann auf Stefans Arm zu zappeln.
„Du willst dich bewegen?", setzte er sie langsam auf den Boden, während ihre Beine bereits ausgelassen in der Luft strampelten.
„Ich muss schon mal in mein Büro, um noch ein paar Vorbereitungen zu treffen."
Frida schaute sich bereits erwartungsvoll um und überlegte konzentriert, welche Ecke sie erkunden könnte.
„Ich bringe sie dir, wenn die Pause vorbei ist, damit sie sich vorher noch ein bisschen austoben kann."
„Danke und bis gleich", küssten sie sich kurz zum Abschied.
Frida ging bereits neugierig zu einer Holzbank, auf der ein paar Schüler saßen. Sie streckte ihr Köpfchen nach oben und schaute sich diese ganz genau an. Als sie bemerkte, dass ihr Papa hinter ihr war, rannte sie plötzlich lachend so schnell sie ihre Beine tragen konnten quer über den Schulhof. Stefan war ihr dicht auf den Fersen und sie schaute sich immer wieder kontrollierend zu ihm um, während sie ausgelassen über den Hof tobte.
„Meine Güte, ich bin noch nie einer Frau so viel hinterher gelaufen wie dir. Nicht mal deiner Mama", schnappte Karin die Worte ihres Mannes auf dem Weg ins Innere auf, die sie zum Schmunzeln brachten.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt