XXIII

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Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich blinzelte mehrmals um mir klar zu machen, dass das auch wirklich wahr war. Live. Das mir gebotene Bild war schrecklich. Der Raum war, so weit ich das beurteilen konnte, klein und schäbig. An den Wänden bildete sich Schimmel und es sah aus wie ein Dachboden, der sehr lange nicht mehr genutzt wurde. Bis auf eine Petroleumlampe, die von der Decke hing, erhellte kein Licht das Zimmer. Fenster gab es keine und eine Tür, war von dem Standpunkt der Kamera nicht zu sehen. Das Schlimmste war allerdings nicht die Tatsache, dass der Raum so heruntergekommen war, sondern, dass jemand an zwei Seilen an den Armen aufgehängt wurde. Die Kleidung war zerrissen und blutig. Blut tropfte gleichmäßig auf den Steinboden in eine kleine Lache, die sich gebildet hatte. Der Kopf des Körpers hing schlaff herunter, aber ich konnte eindeutig Liam erkennen. 

Ich keuchte. Das konnte doch nicht sein. Projekt Life hatte ihn die ganze Zeit. Warum verheimlichten sie ihn mir? Nur um das Heilmittel zu bekommen? Das war krank. Ich ging wieder zurück in den anderen Raum und nahm mir eine Grundrisskarte, die auf einem der Stühle lag, genauso wie ein Stift, der darauf lag. Ich ging wieder zu Liam und schaute mir den Grundriss des Gebäudes an. Ich suchte nach dem fünften Stock, konnte ihn aber nicht finden. Warum war er auf diesem Scheiß Grundriss nicht eingezeichnet? Ich drehte die Karte um und fand auch keinen fünften Stock. Allerdings fand ich das Dachgeschoss. Das musste es sein. Ich prägte mir den Grundriss gut ein und verließ das Zimmer von Liam. Im Anderen Zimmer riss ich noch alle Kabel aus den Wänden, sodass alle Bildschirme ausgingen. 

Auf dem Weg zum Fahrstuhl, fand ich einen Arztkoffer den ich für hilfreich hielt und nahm ihn mit. Die Gänge waren noch immer leer und das machte alles viel gruseliger. Am Ende des Ganges sah ich schon den Fahrstuhl, als von links jemand um die Ecke abbog und genau auf mich zu kam. Er hatte mich wahrscheinlich noch nicht gesehen, denn er starrte auf sein Handy und würdigte mich keines Blickes. Kurz bevor er ganz bei mir war, riss er den Kopf hoch und starrte mich geschockt an: „Warum sind sie nicht auf der Versammlung?" 

„Jemand hat eine Kopfverletzung und ich muss ihn Behandeln", sagte ich ruhig und hob den Koffer an. 

„Wen?" 

„Sie", er guckte mich verwirrt an, aber bevor er noch etwas sagte, riss ich den Koffer hoch und schlug ihm ins Gesicht. Er taumelte und fiel rücklings um. Ich schaute ihn erschrocken an und ging in die Knie um zu gucken, ob er noch lebte. Eigentlich sollte ihn so ein Schlag ja nicht umgebracht haben, aber man weiß ja nie. Meine Finger gingen an seinen Hals und spürten seinen Puls. Er lebte also noch. Gut. Ich öffnete eine Tür auf der rechten Seite des Flurs und zerrte ihn hier rein. Nicht das ihn noch jemand sieht und Alarm schlägt. Ich verließ das Zimmer, schloss die Tür und ging weiter zum Fahrstuhl. 

Direkt daneben war eine Tür auf der Treppen abgebildet waren, also das Treppenhaus. Das könnte später vielleicht noch nützlich sein. Ich stieg ein und drückte auf den Knopf. Es lief Fahrstuhlmusik, Wonderwall. Seit Shawn mir den Song auf der Gitarre vorgespielt hatte, hörte ich ihn rauf und runter. Ich konnte das ganze Lied auswendig. Shawn tat mir leid. Ich hatte ihn immer wieder abblitzen lassen und er wusste nicht warum. Ich mochte ihn so gerne und trotz meines Verhaltens hat er mir immer eine weitere Chance gegeben, die ich dann auch gleich wieder vermasselte. Wenn das alles vorbei ist, werde ich mit ihm reden und werden wir uns mal richtig verabreden. Dann wird nichts dazwischen kommen und wir werden nicht gestört von Rowan oder anderen unvorhersehbare Ereignissen. Rowan..., ich weiß gar nicht mehr was ich von ihr halten soll. Erst wirkte sie so nett mit ihrem "Ich werde dir helfen" und doch log sie mich eiskalt an. Obwohl, vielleicht wusste sie ja gar nicht dass Liam hier ist. 

Mit einem *Ding* öffnete sich der Fahrstuhl und es wurde schlagartig dunkel. Zum zweiten Mal mussten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Sobald ich den Fahrstuhl verließ, ging das Licht an. Es war ein langer Flur der in einer Stahltür endete. An den Wänden waren Fliesen und Lampen. Auf der linken Seite war eine Tür, an der ein Stromzeichen war. Ich öffnete sie kurz und sah mehrere Stromgeneratoren, nicht Liam. Trotzdem ging ich rein und befestigte kleine Sprengsätze, die mein Vater und ich mir vorhin noch gebastelt hatten. Ich stellte sie scharf, sodass ich sie jederzeit mit der Fernbedienung aktivieren konnte. Danach verließ ich den Raum wieder. Am Ende des Flurs war eine große Stahltür mit Handabdruckscanner. Scheiße, wie komm ich da denn jetzt rein? 

Ich guckte mir den Scanner genau an und sah, dass man ihn seitlich öffnen konnte. Das tat ich und ich konnte ein Codefeld sehen. Das machte die Sache um einiges Einfacher. Erfahrungsgemäss hatte ich immer 10 Versuche bevor der Alarm los. Ich schaute es mir genau an und konnte sehen, dass vier Tasten öfter gedrückt wurden, als die anderen. 4 7 2 9. Ich probierte mögliche Kombinationen nach und nach aus und hatte Glück. Beim sechsten Versuch öffnete sich die Tür mit einem Zischen. Ich schob die schwere Tür auf und erschrak. In dem Raum hing wirklich Liam. Ich rannte hin und hob seinen Kopf an: „Liam! Wach auf! Ich bin es, Bree." 

Er öffnete erst leicht die Augen und riss sie dann panisch auf. Mit kratziger Stimme sagte er: „Bree du musst hier weg. Sofort. Sie werden dich sonst auch foltern." 

„Liam, alles ist gut. Niemand ist hier. Sie denken ich arbeite für sie." 

Ich befreite ihn von seinen Fesseln an den Armen und er fiel erschöpft auf mich. Ich stützte ihn und wir gingen zur Tür. Als wir am Fahrstuhl waren, machte es wieder *Ding*. Diesmal aber ohne, dass ich es gefordert hatte. Scheiße. Jemand kam. 

„Links. Liam, wir müssen ins Treppenhaus", flüsterte ich und die Tür fiel gerade hinter uns zu, als sich die Fahrstuhltür öffnete. Im Treppenhaus liefen wir die Stockwerke runter, bis Liam zusammensackte. Ich setzte ihn auf eine Treppenstufe und holte das Verbandszeug aus dem Koffer. Gerade als ich alle seine Wunden so gut ich konnte verbunden hatte, ging der Alarm los.

 Sie hatten bemerkt, dass Liam weg war.

-HECTA 35-                                                  Agentin wider WillenWhere stories live. Discover now