Runde 1, Tag 7

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Als Tim an diesem Morgen aufwachte, war das Erste woran er dachte, dass die Schonfrist vorbei war. Der Nicht-töten-Tag war um. Langsam stand er auf und trat ans Fenster.
Die Wolken hatten sich etwas aufgelöst, der Wald war nass und vereinzelte Sonnenstrahlen brachten die Regentropfen zum Glänzen. Tim wandte den Blick ab und kontrollierte ob das Messer noch in seiner Jackentasche war. Und wieder auf Stille bedacht trat er auf den Gang.
Der Boden knarrte trotzdem leise. Neidisch musste Tim zugeben, dass er mitbekommen hatte, wie Felix sich wirklich komplett lautlos über die Dielen bewegen konnte.
Der Asiate ähnelte einem Kater schon sehr.
Er betrat den Gemeinschaftsraum. Das Feuer brannte wie immer ununterbrochen. Felix saß alleine in einem der Sessel. Als Tim eintrat sah er auf, obwohl er ahnte, dass der Kater ihn schon vorher bemerkt hatte. "Guten Morgen.", sagte er leise.
Tim nickte ihm zu und sah sich um. "Sind die anderen schon wach?" Felix nickte.
"Sara und Ovid sind draußen und Maxi hab ich vorhin auch schon gesehen."
Tim schmunzelte.
"Ich geh auch raus. Ist schön das die Sonne scheint."
Jetzt lächelte auch Felix. Und für einen Augenblick war sein Blick warm und lieb.
Zusammen verließen sie das ruhige Haus.
Der Boden war leicht matschig und von den Bäumen fielen noch ein paar vereinzelte Tropfen.
Ovid und Sara saßen auf der Veranda. Als die beiden Tim und Felix erblickten winkte Sara ihnen zu. "Hey Jungs!" Die selbe Bitterkeit die sie mit Malin teilte schien für einen Moment verschwunden. Felix lächelte. "Hi." Tim ließ sich auf den trockenen Holzboden sinken.
Trotz der Sonne war es noch recht kühl.
"Mögt ihr die Sonne oder den Mond mehr?", fragte Sara in die Stille.
Tim sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
"Keine Ahnung. Darüber mache ich mir nicht so viele Gedanken."
Felix schwieg einen Moment lang.
"Beides...weil...ohne die Sonne kann der Mond nicht scheinen. Und ohne Mond ist die Nacht schwarz."
Tim seufzte. "Wie poetisch."
Ovid zuckte locker mit den Schultern. "Sonne."
Felix lächelte immer noch leicht und lehnte sich gegen einen der Holzpfeiler.
Wieder breitete sich Schweigen über ihnen aus.
Tim wurde es zu langweilig, er stand auf und verschwand im Wald. Felix scharfe Augen folgten ihm.
"Magst du Katzen?", fragte Sara die ihn beobachtet hatte.
Er zuckte mit den Schultern. "Schon. Wieso?"
Sie lachte leise. "Ich denke den Beinamen Kater  wirst du so schnell nicht wieder los."
Ovid grinste. "Gibt es nicht sogar eine Katzenfuttermarke die Felix heißt?"
Felix lachte und fuhr sich mit einer Hand durch die fast schwarzen Haare.
"Oh Gott." Er schüttelte langsam den Kopf und musste dabei immer noch schmunzeln. "Warum haben alle keine Spitznamen außer Maxi und ich?" Sara zuckte mit den Schultern. "Du hast es dir halt verdient. Und sei lieber froh, dass es so ein netter Spitzname ist."                                    Wieder trat Schweigen ein. Stille war etwas häufiges in Valos. Und trotz der krächzenden Krähen, dem raschelnden Laub und dem Quietschen der Schaukeln im Wind, schien die Welt stumm zu sein. "Ich hoffe in der nächsten Runde sind wir in einer anderen Location.", sagte Ovid leise. Sara nickte nur, sie schien mit den Gedanken woanders zu sein. Felix schwieg, den Blick starr auf den Wald gerichtet. Ovid akzeptierte das Stille jetzt bevorzugt war. Trotzdem war es ihm unangenehm so nichts tuend herum zu sitzen.                                                                         Er stand schließlich auf, streckte sich und verschwand nach drinnen. Doch im Haus war er genauso ruhelos. Überall die geschlossenen Zimmer der Toten, der unerträgliche Gemeinschaftsraum und die unnütze Küche. Er mochte das Haus nicht. Die Wände weiß, die Türen braun und alle Teppiche blau. Doch die häufigsten Farben waren schwarz und grau. Wenn kein Licht schien lauerten sie in den Ecken, machten Valos zu einem kalten Fleck. Ovid seufzte und ging auf sein Zimmer. Vorerst hatte er nichts anderes zu tun.

Nach einer ganzen Weile Stille, kam Maxi aus dem Wald. Er hatte die Hände in den Jackentaschen vergraben. Diese, und auch die Hosentaschen, waren ausgebeult. Steine... Er schien sehr viele dabei zu haben. Als bereite er sich auf einen gewaltigen Kampf vor. Auch Felix bemerkte es. "Tiger benutzen Krallen, keine Steine.", sagte er leise. "Und du hast vor ihn mit einer langen, silbernen Kralle aufzuschlitzen?", fragte Sara leise. Ihr Blick hatte sich verdüstert. Felix setzte ein schiefes Lächeln auf, seine Augen blitzten böse. "Nicht nur ihn." Sara schauderte. "Warum kannst du so gut töten?" Felix sah sie an und zuckte mit den Schultern. "Du musst anders denken; Sie würden dich auch töten."
Ja...früher oder später würde ihr einer der Spieler das Messer in den Leib rammen.
Aber für Sara war dies kein Grund selber zur Waffe zu greifen. Das machte sie zu einer dauerhaften Gejagten, einem Opfer. Trotzdem war ihr das lieber als ein Mörder zu sein. Mit diesem Gewissen wollte sie nicht leben. Niemand sollte damit leben wollen.
Felix erhob sich langsam und strich sich über die Hose.
Er hatte die Augenbrauen zusammen gezogen.
Sara beobachtete ihn. Seine Hand glitt zu seiner Jackentasche, als wolle er sich versichern, das etwas vorhanden war.
Wahrscheinlich seine Stahlkralle. Sara sah fast wie Felix' Hand sich darum schloss. Trotzdem hatte sie keine Angst.
"Mach es schnell und ohne Leiden.", sagte sie leise.
Felix warf ihr einen kurzen Blick zu. "Ja."
Und dann, zu ihrer Überraschung, drehte er sich von ihr weg und ging ins Haus.
Lautlos und wie ein Schatten glitt er am Gemeinschaftsraum vorbei, in welchem Tim und Robin saßen.
Ovids Zimmer war das Letzte im oberen Geschoss.
Er stellte sich an die Glassfront am Ende des Ganges. Eine schwarze Gestalt vor graugrünem Hintergrund.
Und jetzt wartete er. Wie eine Katze, still und geduldig. Früher oder später würde Ovid aus diesem Zimmer kommen oder hineingehen. Felix brauchte nur Geduld.
Dieses eine Mal könnte ich der Beste sein... Wenn er das nicht bald schon war. Sobald Ovid tot war hatte er zwei Personen getötet und somit gleich viel wie Maxi.
Aber das machte ihn nicht zum Gewinner.
Noch nicht...

"Sie nannten mich Heide." Yannik sah in das Feuer, während er Robin lauschte.
"Nur weil du nicht den Glauben deiner Eltern geteilt hast?" Robin seufzte.
"Ja. Religion ist etwas schönes, aber sie kann auch so viel Schaden verrichten. Krieg..."
Yannik lachte gefühlslos.
"Und dabei sollen doch alle Götter so friedlich sein. Töte nicht, begehre nicht deines nächsten Weib oder so. Aber erzähl weiter."
Robin zuckte lustlos mit den Schultern. "Ehre deine Eltern. Meine Eltern behaupten, genau das habe ich nicht getan. Einmal hab ich einen Hund überfahren. Das war der Tag an dem ich für sie zum Heiden wurde. Zum Ungläubigen. Von Satan besessen und so."
Yannik sah hoch, in Robins blaue Augen. "Was hast du getan?"
Sein Gegenüber seufzte. "Ich bin gegangen. Der Tag war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, wie man so schön sagt."
"Hast du sie wieder gesehen?"
Robin lachte. "Nein. Nie wieder. Wer will denn zu solchen zurück?"
Yannik zuckte mit den Schultern.
"Ich bin auch nicht zurück. Nachdem meine Eltern mich verstoßen haben, meine ich."
Robin legte den Kopf schief und sah ihn fragend an.
"Mein Bruder war schwul. Ich stand zu ihm, dann haben sie uns beide verstoßen. Danach ging es uns besser." Robin kratzte sich am Kinn. "War schwul?"
Yannik sah wieder ins Feuer.
"Von homophoben Arschlöchern tot geprügelt."
Robin sah unglücklich aus. "Das tut mir Leid."
Yannik lehnte sich zurück.
"Mir auch. Aber was tot ist, kann nicht wieder leben. Also lassen wir die Leichen in Ruhe."
Sie schwiegen wieder eine Weile. Robin wusste nicht, wieso er es Yannik gesagt hatte. Es tat eigentlich nichts zur Sache, er hatte nicht vor den Jungen nach diesem Projekt je wieder zu sehen.
Niemanden ging es an wer er war. Solange er es wusste genügte das. Robin war Heide, Auszubildener Kraftzeugmechatroniker (Schwerpunkt Motorrad), Kleinkrimineller, Einzelkind und Verstoßener.
Aus seinem Leben war wahrlich nichts geworden und nun saß er hier und wartete darauf sein Opfer zu töten. Er würde warten mit Tim, aber nur so lange wie nötig.
Er sah kurz zu Yannik. Dieser hatte vermutlich noch niemanden getötet. Vielleicht dachte er wie Sara. Robin seufzte leise. Sara tat ihm Leid. Sie würde noch sehr viel durchmachen müssen. Aber letztendlich würden sie das alle.

Felix war keinen Moment unaufmerksam gewesen und das lohnte sich.
Er hörte plötzlich Ovids Schritte aus dessen Zimmer und seine Muskeln spannten sie automatisch an. Als Ovid die Tür öffnete hatte Felix das Gefühl, irgendetwas in ihm wurde abgeschaltet. Alle Emotionen waren weg und nur eine kalte Leere blieb zurück. Seine Konzentration galt nur einer Sache.
Ovid trat auf den Gang und bemerkte Felix sofort. Er starrte ihn an, doch für mehr blieb ihm keine Zeit.
Felix überwand den Abstand mit zwei Schritten, rammte Ovid die Faust in den Bauch und brachte ihn möglichst lautlos zu Fall. Ein stumpfes Keuchen entfuhr dem Lockenkopf, als er mit Felix zu Boden ging. Ehe er sich versah hatte der Kater ihn auf den Rücken gedreht und sich auf seine Hüften gesetzt. Er hielt Ovid den Mund zu als er sein Messer flink aus der Manteltasche zog. Kurzer Hand drückte er den Arm seines Opfers weg und rammte das Messer zwischen Achsel und Rippe.
Ovid stöhnte und Felix nahm die Hand von seinem Mund. Sein Opfer sah ihn schwach aus den braunen Augen an, während die Lebenskraft aus ihm schwand.
In seinem Blick lag Verachtung.
"You're a monster. Get it?" Es klang wie seine Muttersprache, als er das sagte. Dann schloss Ovid die Augen und starb.
Felix nahm langsam das Messer und zog es aus der Wunde. Seine Emotionen waren bei diesem Satz mit einem Schlag zurück gekommen.
Du bist ein Monster...
Felix rutschte von der Leiche und starrte auf den, mit Blut überzogenen, Stahl in seiner Hand. Langsam steckte er es weg und griff in Ovids Hosentasche. Er war wie betäubt als er den kleinen Zettel öffnete und las.
Yannik
Felix stand zitternd auf, steckte das Papierstück weg und hob mühsam den Toten hoch.
Etwas ungeschickt bugsierte er ihn in das Zimmer und legte ihn auf das Bett.
Als er den Raum verlassen wollte, ertönte durch das geöffnete Fenster ein Rascheln und Wispern, als der Wind durch die Blätter fuhr.
Und für einen Moment bildete Felix sich ein Ovids Stimme zu hören, vom Wind getragen.
You're a monster. Get it?

Sara kam anschließend auch von draußen rein. Abends zog es sie alle in den Gemeinschaftsraum.
Meist saßen sie nur schweigend da, oder unterhielten sich über unrelevante Themen. Sie hatten inzwischen alle begriffen, dass nichts was sie hier taten oder sprachen zählte, außer das Morden.
Maxi saß dort wo Ovid gestern saß. Auf der Fensterbank. Der Tiger hatte den Blick nach draußen gerichtet, die Kapuze wie immer auf, als wollte er sich verbergen. Sich und das Geheimnis auf seiner Brust. Sara war der Gruppe dankbar, dass keiner die dieses Thema wieder angesprochen hatte.
Und wie sie ihn so beobachtete fiel ihr etwas auf. Sie sah sich kurz um.
Robin lag auf der Couch, die Augen geschlossen und trotzdem hellwach. Yannik und Felix saßen in den Sesseln, Malin hockte auf dem Boden vor dem Feuer und Tim lehnte im Türrahmen.
"Geht es Ovid nicht gut? Kommt er heute nicht runter?", fragte Sara.
"Er wird nicht mehr kommen.", sagte Felix leise.
Alle schwiegen. Alle akzeptierten.



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