Runde 2, Tag 7

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Maxi saß mit verschränkten Armen auf Robins Bett. Der junge Mann lag dort, als würde er schlafen, die Arme um Sara geschlungen. Maxi fragte sich, ob es Liebe war, die Tim und Malin und Robin und Sara verband.
Konnte Liebe in so einem grausigen Projekt entstehen? Oder entstand sie gerade deswegen? Der Tiger musste sich eingestehen, dass er nicht der Richtige für diese Überlegungen war. Er hatte dieses Gefühl aus seinem Körper verbannt, wie seine Eltern aus seinen Gedanken. Liebe war nicht nur schön, sie war auch grausam und brutal. Ein Arzt hatte bei Maxi einst ein leichtes Trauma festgestellt. Dabei war ein einziges Symptom bei ihm aufgetreten; er hatte die Fähigkeit zu lieben nur sehr eingeschränkt. Maxi selbst behauptete, dass er sie gar nicht mehr hatte. Er wollte sie auch nicht mehr. Liebe konnte sicherlich etwas schönes sein, aber nicht wenn sie so grausam wie die war, die der junge Mann erlebt hatte.
Die Holzdielen knarrten leise und dann erschien Tim in Maxis Blickfeld. Als er sich auf das Bett setzte, ächzte das Holz leise.
"Magst du sie?", fragte der blonde Mann und meinte damit Sara und Robin.
Maxi zuckte mit den Schultern.
"Mögen...das ist so eine Sache. Ich denke, wenn wir uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten, wären wir eventuell Freunde."
Tim starrte aus dem Fenster.
Wenn Malin und ich uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten...wären wir vielleicht ein Paar gewesen.
Tim sprach es nicht aus. Es sollte Maxi nichts angehen. Stattdessen schwieg er. Momentan schien Schweigen ihm ständig angebracht.
Plötzlich fiel ihm auf, dass er sich noch vor ein paar Tagen mit Maxi geprügelt hatten. Und jetzt?
Jetzt waren sie zu kraftlos, zu einsam, zu müde aufeinander loszugehen.
Als hätte Maxi dasselbe gedacht fragte er: "Wie geht es deiner Nase?" Tim fasste sich dahin. Er spürte einen leichten Knubbel und es tat noch weh.
"Passt schon.", murmelte er.
Maxi nickte nur.
"Jetzt sind unsere beiden Krankenschwestern tot."
Tim schluckte. Maxi hatte recht.
Wir kraftvoll die Gruppe noch vor Malins Tod war...und jetzt...nach dem Tod zwei weiterer war die Gruppe zerschlagen. Am ersten Tag waren Maxi, Tim, Robin und Felix noch die Hoffnung der Gruppe gewesen. Zwei davon waren tot, die anderen beiden fühlten sich, als würden sie sterben.
Tim stand auf, als die Bedrückung im Raum zu groß wurde. Er mied es einen Blick auf Robin und Sara zu werfen und verließ den Raum. Sie waren genauso gestorben wie Malin; Arm in Arm. Tim lebte noch und es kam ihm vor wie ein Frevel.
Aber wollte er wirklich aufwachen? Wollte er wissen wie es den anderen ging, was die Spielemacher noch vorhatten?
Tim verließ das Haus und atmete erleichtert die frische Luft ein.
Zu viele Fragen. Und plötzlich fiel ihm ein, dass Malin recht hatte. Es war wie ein Albtraum. Doch wenn er aufwachte würde er sich nicht ändern. Das war der Unterschied zu Malins Behauptung. Tim beschleunigte seine Schritte um schneller von ihrer Leiche wegzukommen.
Er wollte es nicht wahrhaben, wollte nicht gefangen sein, wollte nicht sterben oder Sterbende sehen. Tim atmete tief durch um keine Panikattacke zu bekommen. Sein Herz raste und er wünschte sich, dass das Karussell seiner Gedanken stehenblieb, aufhörte zu rotieren und ihn wahnsinnig zu machen.
Er krallte seine Nägel in seinen Arm und der Schmerz riss ihn aus dem Strom von Gedanken. Tim sank ins Gras und atmete tief durch. Sein Arm rötete sich, doch der Schmerz war zu schwach um die Gedanken vollständig zu verbannen. Sie kamen wieder, rollten wie eine Welle von Meerwasser über ihn hinweg. Das Salz verteilte sich in seinen psychischen Wunden und Tim biss sich in den Arm. Er biss heftig und lange, so lange, dass sein Gehirn sich auf den Schmerz konzentrierte. Dann sank er zurück und das Gras kitzelte seine Wangen. Es fühlte sich an, als würde sein Arm leicht pulsieren. Was zum Teufel war nur los mit ihm?
Er musste an Ari denken.
...psychische Störungen zurückbleiben... Hatte es angefangen? Hatte es bei ihm angefangen, eingesetzt und sich in seinem Kopf eingenistet? Er sah hinauf in den blauen Himmel und fühlte sich plötzlich sehr ruhig. Tim verdrängte das Chaos aus Gefühlen und Gedanken und schloss die Augen.
Wenn Malin ihn jetzt sehen könnte...
Ein gebrochener Mann, ein gebrochenes Herz und ein gebrochener Verstand.
Was war von ihm übrig geblieben?

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt