Aufwachen, Einschlafen

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Maxi öffnete die Augen. Mit zitternden Fingern zerrte er sich die Brille vom Kopf und warf sie beiseite. Sein Herz raste, er schnappte nach Luft.
"Herzlichen Glückwunsch Maximilian.", sagte der Mann neben seiner Liege freundlich. Maxi starrte ihn einen Moment an, dann schlug er ihm ins Gesicht. Der Mann kippte vom Hocker und kam hart auf dem Boden auf. Maxi warf die Decke auf den Boden, sprang von dem Liegestuhl und zog rasch den Rest seiner Kleidung an. Kaum das er fertig war, rappelte sein Betreuer sich wieder auf. Seine Lippe war aufgeplatzt. Beschwichtigend hob er die Hände. "Hey...alles gut? Soll ich einen Arzt holen lassen?" Maxi schüttelte den Kopf. Er wandte sich ab und sah zu der Tür. "Du triffst gleich deine anderen Mitspieler. Bitte verhalte die ruhig und gehorche den Anweisungen. Wir wollen dich zu nichts zwingen." Maxi schwieg. Ihr wollt nicht...
Der Mann trat zur Tür und entriegelt sie auf komplizierte Weise. Dann öffnete er sie und Maxi kam zu ihm. Sein Begleiter führte ihn in einen großen, hellen Raum. Teppichboden, Stühle und ein Tisch. Und Männer in schwarzer Uniform. Security.
Maxi war der Letzte im Raum.
Die restlichen dreizehn saßen schon auf ihren Stühlen, hinter ihnen jeweils der Betreuer und ein Sicherheitsmann. Sie alle sahen Maxi entgegen. Keiner klatschte, keiner sagte etwas. Und Maxi setzte sich schweigend auf seinen Platz. Ein paar bemerkten das Nasenbluten seines Betreuers und zogen die Augenbrauen hoch. Doch keiner sagte etwas.
Eine Tür am Ende des Raumes öffnete sich und der Professor trat herein. Er lächelte und auf seinen stoppeligen Wangen erschienen Grübchen. "Hallo ihr Lieben. Es freut mich, dass die erste Runde so erfolgreich verlief. Ich habe hier ein paar Fragebögen, die Sie bitte ausfüllen, damit wir wissen was es noch zu verbessern gibt." Er verteilte jeweils einen Fragebogen mit Stift und stellte sich dann lächelnd in die Kreismitte. Maxis Hand zitterte immer noch leicht, als er den Stift ergriff und sich langsam die Fragen durchlas.
Erschien Ihnen die Welt real?
Ja.
Haben Sie noch gemerkt, dass dieses Spiel virtuell war?
Maxi überlegte kurz. Dann; ja.
War die Lautstärke angenehm?
Geht so.
Haben Sie die Sinneswahrnehmungen gut nutzen können? Welche war eher mangelhaft?
Das Schmecken. Obwohl Maxi das nur von Pauls Reaktion abhängig machen konnte.
Haben die Tiere sich realistisch verhalten?
Ja. Maxi erkannte das Felix neben ihm "naja" hinschrieb.
War das Blut realistisch?
Maxi atmete scharf ein. Ja...sehr.
Ging es Ihrem Avatar gesundheitlich gut?
Ja.
Hat Ihr Avatar Mängel aufgewiesen?
Nein.
War das Wetter realistisch?
Naja...
Gibt es sonstige Mängel an Valos?
Maxi beschrieb etwas umständlich das Phänomen mit dem Hügel. Er wusste selbst nicht, warum er hier so brav saß und Fragebögen ausfüllte, wo er doch gerade zwei Menschen umgebracht hatte.
Kurz darauf sammelte der Professor die Blätter wieder ein.
"Vielen Dank. Dort drüben an der Wand steht ein Buffet, falls sie Hunger haben oder einfach etwas im Magen haben wollen. Danach erkläre ich ihnen die zweite Runde." Maxi blieb sitzen, mit ihm ein paar andere, aber der Großteil von ihnen ging an den länglichen Tisch mit Essen. "Sicher, dass es dir gutgeht? Möchtest du nichts essen oder trinken?", fragte sein Betreuer und beugte sich zu ihm vor. Maxi stieß ihn grob von sich weg. "Nein!", fauchte er.
Felix, neben ihm, starrte nur auf den Boden. Er war blass, hatte die Schultern hochgezogen und den Kopf auf den Boden gesenkt. Maxi erinnerte sich an die Szene im Schlafzimmer, es hatte nicht so ausgesehen, als hätte er einen einfachen Tod gehabt. Und Felix war sichtlich verstört. Und da beschloss er etwas. Maxi stand auf und ging zu Ari hinüber. Als dieser ihn bemerkte zuckte er kaum merklich zusammen. "Ich...wollte nur sagen." Der Tiger holte tief Luft. "Es tut mir Leid." Ari sah ihn ehrlich überrascht an. "Ähm...das...okay." Er kratzte sich verlegen am Kopf. "Mir auch. Also...das ich dich angeschrien habe. Du hast nur so gehandelt wie es vorgesehen war." Maxis Kiefer mahlte. Er nickte nur knapp und drehte sich um. Er fand Robin neben dem Tisch an die Wand gelehnt, ein Glas Wasser in der Hand. Die beiden tauschten einen kurzen Blick. "Es ist okay.", sagte Robin und lächelte. "Ich wollte es doch." In diesem Moment ging Tim an ihnen vorbei. Er schien es gehört zu haben, denn er murmelte leise: "Schwach." Robin ignorierte ihn. Beide wussten, dass Tim nur auf sich selbst wütend war, weil er es nicht geschafft hatte zu gewinnen. Maxi seufzte. Robin legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Du bist ein wahrer Sieger, wenn du dich bei den Verlierern für dein Morden entschuldigst. Egal wie die anderen das sehen." Maxi nickte kurz.
Dann wandte er sich ab, um zu seinem letzten Opfer zu gehen. Sara saß im Stuhlkreis, die Beine überkreuzt und die Arme verschränkt. Maxi trat direkt vor sie. Doch bevor er etwas sagen konnte, stand Sara auf und umarmte ihn. Er war so überrascht darüber, dass er einfach nur dastehen konnte und es über sich ergehen ließ. Als sie ihn wieder losließ lächelte sie und tat es auch wieder nicht. "Denk an dein Versprechen.", wisperte sie und ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. Maxi trottete wie betäubt zu seinem Platz und ließ sich neben Felix sinken. Der Asiate warf ihm nur einen kurzen Blick zu. Nach einer Weile kam Ovid wieder und setzte sich zu Maxis Linke hin. Er aß ein belegtes Brötchen, doch ihm war anzusehen, dass er mit den Gedanken nicht bei der Käse-Gurke Semmel war. Der Professor zog sich einen Stuhl in den Kreis und bat dann mit lauter Stimme alle auf ihre Plätze. Er ließ sich ein Klemmbrett reichen und räusperte sich.
"Nun, ich denke es wird Zeit Sie in die zweite Runde einzuweihen. Davor möchte ich noch kurz anmerken, dass schon die erste Runde ein grandioser Erfolg zur Verbesserung von einigen Details bezüglich der Sinneswahrnehmung war. Vielen Dank. In der dieser Runde haben Sie die altmodische Art von Mörder gespielt. Diesmal sind die Regeln etwas anders. Es wird drei Mörder geben und 11 Unschuldige. Die Mörder können jederzeit töten wen sie wollen. Wenn die Unschuldigen allerdings einen Verdacht haben, bekommen sie ein Messer zugestellt. Töten Sie aber die falsche Person, die ebenfalls unschuldig ist, scheiden Sie persönlich aus. Also denken Sie gut nach. Noch Fragen?" Wieder einmal meldete Ovid sich. "Ja?" Der dunkelhäutige Junge zupfte an einer seiner Locken. "Ist es diesmal eine andere Location?" Der Professor nickte. "Ja. Lassen sie sich überraschen." Jetzt meldete sich Ari.
"Professor, Sie haben mich am Anfang dieses Projekts etwas gefragt. Diesmal frage ich sie: Darf ich aussteigen?" Ein paar sogen die Luft scharf ein, die Betreuer warfen sich kurze Blicke zu. Der Professor sah Ari einen Moment lang an, dann sagte er ganz offen: "Nein."
Ari beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab. "Und wieso ich nicht, wenn ich fragen darf?" Der Professor lächelte, als würden sie über irgendwelche nicht relevanten Themen sprechen. "Das Projekt hat bereits angefangen und es ist uns leider nicht möglich sie mitten drinnen aussteigen lassen zu können. Und weil Sie das ganze Projekt zerstören könnten, wenn ein Wort hiervon nach außen dringt." Ari fiel die Kinnlade runter. Ein paar anderen auch. "Das Projekt ist illegal, Sie Wichser!", knurrte Samuel. Der Professor wiegte den Kopf. "Sagen wir; nicht ganz. Wir haben schon vor Gericht darum gestritten. Aber nun ja, wir haben den Prozess zwar verloren, durften aber den Avatartest trotzdem durchführen, wenn es nicht auf so brutale Weise wäre. Leider wäre das unserem Zweck undienlich, daher sind Sie hier. Wenn das Spiel erst auf dem Markt ist, wird keiner danach fragen." Yannik seufzte. "Das ist nicht das einzig illegale Projekt der Welt." Der Professor nickte zustimmend. "Ist das dein Ernst?!", brüllte Felix zu Yannik. Seine plötzliche Aggression ließ alle zusammenzucken. Tim verdrehte die Augen. "Beruhig dich kleiner Chinese, was willst du schon machen?" Felix wollte aufspringen, allerdings war der Sicherheitsmann schneller, packte ihn am Kragen und zerrte ihn zurück auf den Stuhl. Ari fluchte. "Wir klagen Sie an, wenn wir hier raus sind!" Der Professor beugte sich lächelnd vor. "Deswegen, mein Lieber, kommen sie hier nicht wieder so schnell raus." Luis schüttelte entsetzt den Kopf. "Von diesem Projekt wissen knapp eine Handvoll vertrauenswürdiger Leute und Sie werden danach über persönliche Kontakte in psychiatrische Kliniken eingewiesen.", sagte der Professor lehnte sich wieder zurück und legte die Beine übereinander. "Warum, glauben Sie, wurden Sie für dieses Projekt gewählt?" Stille. Dann hob Sara den Blick vom Boden. "Weil wir niemanden haben, der uns vermissen wird. Keine Familie, keine Freunde...es würde niemand nach uns suchen." Der Professor legte den Kopf schief und lächelte traurig. "Genau richtig meine Liebe. Menschen wie Sie - tut mir Leid falls ich sie verletzte - sind entbehrlich. Und zum Glück gibt es Menschen wie Sie! Denken Sie nach, so viele Erfolge dieser Welt wurden dank Leuten wie Ihnen aufgebaut!"

Tim wehrte sich kein Stück, Paul, Yannik und Ovid ebenfalls nicht. Sie schwiegen still, akzeptierten das Geschehene. Ein paar wehrten sich, wieder andere nicht, aber nur weil sie wussten, dass es keinen Zweck hatte. Sie wurden von der bewaffneten Security jeder wieder in die Räume gebracht und dort zurück auf die Stühle bugsiert. Und doch wurde die Prozedur unterbrochen. Robin riss sich knapp vor seinem Raum von dem Sicherheitsmann los. Er rannte quer durch den Raum, wich zwei Männern aus, sprang elegant über einen Schreibtisch und rollte unter dem nächsten hindurch. Er nutzte all seine Parkour Kenntnisse um den Männern auszuweichen und sich einen Weg zu den dicken, gesicherten Türen zu verschaffen. Einen der Betreuer riss er um wie ein Rugbyspieler, rannte die letzten Meter und rammte seine Faust mit voller Wucht auf den Feueralarm, direkt neben der dicken Tür. Dieser heulte sofort ohrenbetäubend los. Im nächsten Moment wurde Robin von einem der Sicherheitsmänner gepackt und zu Boden geschlagen. "Schaltet den Lärm ab!", brüllte der Professor. Danach bekam Malin, die zu den Letzten gehörte, kaum noch etwas mit. Alles war laut und hektisch, sie wurde in den Raum gezerrt und ohne Umstände riss ihre Betreuerin ihr die Hose hinunter. Malin schrie, aber es interessierte keinen und ging im allgemeinen Krach unter. Zwei Sicherheitsmänner drückten sie auf den Sitz, einer band sie fest. Dann wurde ihr eine Decke über den Schoß gelegt und jemand setzte ihr hektisch die Brille auf. Gleich darauf folgten die Kopfhörer und die Spritze. Der Stich tat höllisch weh, doch kurz darauf wurde die Welt schwarz und Malin erwachte in Valos.

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt