1. Es gibt immer wieder Situationen im Leben, die uns überfordern können

50 2 0
                                    

Karle ist müde, aber happy. Er hat eine gute Vierschanzentournee hinter sich, mit einer persönlichen Bestplatzierung. Aber ganz glücklich ist er trotzdemnicht. Sein Freund Lucas hat sich in den Telefonaten, die sie miteinander geführt haben, wieder so distanziert und kühl angehört. Karle hofft es ist nicht wieder wegen seinem Leben als Skispringer, aber er kann sich denken, dass das Thema wieder auf den Tisch kommen wird, sobald er wieder zu Hause ist. Er hatte, wie immer, Karten für Lucas zu dem Wettkampf in Oberstdorf organisiert und Lucas ist zwar bei der Schanze gewesen, aber mehr als ein kurzen ́Hallo ́ zu sagen war nicht drin und er hat sich nachher bei ihrem Telefonat am Abend beschwert, dass Karle so wenig Zeit für ihn hatte. Karle weiß das viel zu gut und er hat es versucht, aber er kann sich nicht Teilen. Er war voll im Stress. Wieder klappte das Springen zuhause nicht so perfekt und gerade an seiner Heimschanze wollen alle immer was von ihm haben. Die Presse, die Leute von seinem Skiclub, andere Freunde und die Familie auch. Karle seufzt tief. Im letzten Jahr, seitdem Karle fest zur Nationalmannschaft gehört, ist die Zeit, die sie zusammenverbringen können weniger geworden und seit Ende der letzten Saison hat Lucas angefangen unzufrieden zu werden. Erst war Karle über 2 Wochen bei der WM in Lahti unterwegs und kaum war er davon wieder nach Hause gekommen, ging es für 10 Tage nach Norwegen. Es war zu viel für Lucas Geduld. Aber dann kam der Sommer und es hat sich wieder beruhigt, weil Karle dann viel mehr zuhause sein konnte und nicht jedes Wochenende irgendwo in der Welt war. Doch seit die Saison wieder in vollem Gang ist merkt Karle, dass Lucas sich anders verhält. Lucas findet, dass Karle zu viel unterwegs ist und er will sich auch nicht mehr wie Karles dreckiges Geheimnis fühlen, was er ihm bei dem letzten Streit an Kopf geknallt hat. So lange Karle in der B-Mannschaft war, ging es. Da war er nicht so oft und vor allem nicht so viele Tage hintereinander in der Woche unterwegs, aber es ist ein ganz anderes Thema, wenn du dann zu der Elite gehörst. Dann hast du nicht nur den normalen Alltag, sondern auch die WM oder wie dieses Jahr auch Olympia zum Teilnehmen. Dahin will Karle und dafür kämpft er hart. Er hat mehr Stunden in sein Training investiert, aber das ist nun sein Job. Die Beiden kennen sich schon lange, haben die Schule zusammen gemacht, aber ein Paar wurden sie erst ein bisschen später, aber auch dann war Skispringen Karles Leidenschaft. Deswegen kann er nicht ganz verstehen, warum Lucas gerade jetzt anfängt. Er wusste immer, dass Karle ein Leben als Profisportler wollte. Und wenn er Tage frei hat, ist er immer voll für Lucas da. Karle liebt Lucas. Fest und tief, aber sein Skispringen will er für ihn nicht aufgeben und wenn er es machen würde, dann wäre er nicht mehr der Karle, in den Lucas sich verliebt hat. Er kann jetzt nur hoffen, dass die wenigen Tage, die er zuhause hat bevor er wieder aufbrechen muss um nach Kulm zufahren, die Wogen glätten können, sodass es wieder harmonisch in seinem Leben wird. Mit all dem Trubel, welchen er in seinem Sportleben hat, braucht er kein ständiges Drama in seinem privaten Leben. Es zieht ihn runter und er hat nicht mehr den Kopf frei.

Endlich ist er zu Hause angekommen und beginnt seine Taschen aus dem Auto zu räumen. Vollgepackt schleppt er sich die Treppe hoch zu seiner Wohnung. Wie erwartet ist Lucas nicht da. Sie haben vorher telefoniert und er hat gesagt, er hat keiner Zeit so spät am Sonntag vorbeizukommen, denn er muss am Montag früh anfangen zu arbeiten. Karle lässt alle Taschen da fallen, wo er steht und beschließt, dass er erst Morgen auspacken wird. Er hat dafür jetzt keinen Elan und will eigentlich nur seinen Freund treffen um sich im Bett neben ihn zu Kuscheln, aber der hatte ja keine Zeit, weswegen Karle langsam in die Küche geht. Mit einer warmen Tasse Tee vor dem Fernseher zu sitzen wird seine Abendunterhaltung sein bis es spät genug ist und er ins Bett gehen kann. Bewaffnet mit einer Tasse heißem Früchtetee geht er ein bisschen später in sein Wohnzimmer und will sich gerade auf sein großes, graues Sofa legen, als er sieht, dass ein weißer Umschlag an dem großen Teller, wo normalerweise viel Obst liegt, gelehnt steht. Jetzt ist der Teller leer, weil Karle die letzten Tage kaum zu Hause war und niemand eingekauft hat. Früher hat Lucas immer seinen Vorrat gefüllt, wenn er über lange Zeit unterwegs war, aber die letzten Male war sein Kühlschrank immer leer, wenn er nach Hause gekommen ist. Auf dem Briefumschlag steht sein Name. Karl, nicht Karle. Er weiß, wer es dahingestellt hat, weil es nur zwei Personen gibt, die Schlüssel zu seiner Wohnung haben. Lucas und seine Mutter und seine Mutter hat ihm ganz sicher keinen Brief geschrieben. Karle schluckt schwer. Dieser weiße Umschlag ist kein gutes Zeichnen. Mit zittrigen Händen stellt er seine Teetasse weg und greift nach dem Umschlag. Er will ihn nicht öffnen, aber er weiß, dass er muss. Langsam reißt ereine Seite weg und raus kommt ein zerknittertes Papier, dass mit Lucas ordentlicher Handschrift beschrieben ist. Karle sinkt langsam in seinem Sofa nieder und fängt an zu lesen.

Lieber Karle,
ich weiß, es ist feige das zu machen, was ich gerade mache, aber ich brauche Zeit zum Denken. Ich muss mir klar darüber werden, ob ich mich wirklich für immer hinter deinen Sport stellen kann und nie das Wichtigste in deinem Leben sein werde. Ich liebe dich, aber du liebst deinen Sport mehr. Ich werde mich später melden. Es tut mir leid, aber so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Lucas

Karle starrt fassungslos auf den Text vor sich. Lucas schreibt ihm einen Brief, statt mit ihm zu reden? Und was für ein Blödsinn er da schreibt! Karle hat Lucas nie vernachlässigt. Okay, er war oft unterwegs, aber immer, wenn er eine Minute überhatte, hat er sich sofort bei Lucas gemeldet. Sie waren doch trotzdem ständig in Kontakt. Karle merkt, dass ihm Tränen in die Augen steigen, aber er versucht sie zu unterdrücken. Das hier kann nicht wahr sein! Lucas hat einfach überreagiert, schließlich kann er doch nicht einfach so 2,5 Jahre Beziehung wegwerfen! Schnell holt Karle sein Handy aus seiner Hosentasche und wählt mit bebenden Fingern Lucas Nummer. Sein Herz schlägt hart in seiner Brust. Lucas muss es ganz unüberlegt gemacht haben und wenn Karle nur mit ihn redet, wird alles wieder gut. Sie lieben sich doch, auch wenn sie ein paar Probleme in letzter Zeit gehabt haben, aber irgendwas in diese Richtung kommt wirklich total überraschend. Endlich findet sein Handy Netz. Er wartet auf die Ruftöne aber es kommt nur „Ihr gewünschter Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar". Karle drückt die rote Taste und wählt wieder Lucas Nummer. Aber es passiert das Gleiche. Immer wieder versucht Karle es, aber Lucas hat sein Handy aus. Langsam lässt Karle sein Handy zu Boden gleiten. Lucas meint es ernst, er will nicht mit ihn reden, denn normalerweise hat Lucas sein Handy immer an. Immer. Karle nimmt wieder den Brief in seine Hände. Aber die Wörter sind immer noch die Gleichen. Es ist kein Alptraum und so langsam versteht Karle, warum Lucas sich gestern am Telefon so komisch angehört hat. Die Stille wird von herzzerreißenden Schluchzern gebrochen, denn Karle kann die Tränen nun nicht mehr unterdrücken und seine Brust zieht sich zusammen, als er zusammenbricht, während die Tränen von seinen Wangen rollen und auf das Papier in seinen Händen tropfen und die Wörter verschwimmen lassen. Warum macht er sowas, denkt Karle. Bin ich es nicht wert, dass er vernünftig mit mir redet? Habe ich ihm so wenig bedeutet? War unsere Beziehung so wenig wert? Er sinkt auf seinem Sofa zusammen und bleibt einfach liegen, bis er sich leise in einen unruhigen Schlaf geweint hat.

Er wird am nächsten Morgen früh wach, weil ihm kalt ist. Er fühlt sich wie ausgelaugt und als er sich selbst kurz danach im Spiegel betrachtet, kann er auch bestätigen, dass er so aussieht. Gerötete, geschwollene Augen, fette, dunkle Augenringe und er ist hundemüde. Er blickt zu seiner Uhr, kurz nach fünf. Leisestöhnt er. Konnte er seinem Körper nicht ein paar Stunden mehr Schlaf gönnen? Um 8.30 Uhr muss er in der Halle sein, wo heute ein leichteres Training ansteht. So direkt nach den Vierschanzen ist es meistens ein lockeres Training, aber verzichten geht auch nicht, denn schon am Donnerstag fahren sie nach Kulm für das erste Skifliegen für diese Saison. Karle weiß nicht, wie er es schaffen soll, sich auf das Training zu konzentrieren, aber eine Wahl hat er nicht. Er hüpft kurz unter die Dusche, was eigentlich Blödsinn ist, weil er ja sowieso später wieder duschen muss, aber vielleicht macht es ihn ein bisschen munter und macht, dass er nicht allzu elendig aussieht. Hunger hat er keinen, aber er weiß, dass er was in seinem Magen haben muss, weshalb er lustlos in die Küche schlendert und sich ein Brot schmiert. Er versucht regelmäßig den ganzen Morgen über Lucas zu erreichen, aber sein Handy bleibt aus. Die WhatsApp Nachricht hat er auch nicht gelesen. Dass er ihn einfach so vermeidet, schmerzt fast am meisten. Sie sind doch keine Kleinkinder und können doch vernünftig miteinander reden? Karle versteht nichts und er hat diese Seite von Lucas nie vorher gemerkt. Ein bisschen Sorgen macht er sich auch. Was wenn was passiert ist? Lucas hat zwar um Zeit gebeten, aber Karle hat Fragen. Fragen, auf die er gern Antworten hätte und er findet das hier hat er nicht verdient. Nachdem er sich sein Brot reingezwungen hat, hält er es nicht mehr in seiner Wohnung aus und fährt zumTraining. Es ist immer noch viel zu früh, aber ein bisschen extra Training schadet sicher nie, denkt er und schnappt sich seinen Autoschlüssel, schmeißt ein paar Trainingskleider aus seinen Schrank in eine Tasche und verlässt seine Wohnung. Er hat überlegt ob er bei Lucas vorbeifahren sollte, aber der müsste jetzt an seiner Arbeit sein und dahin wird er nicht fahren. Karle ist verletzt, aber er ist kein Idiot. Er weiß, was passieren würde, wenn er plötzlich bei Lucas Arbeit auftauchen würde und so eine Szene kann er sich ersparen. Er wird heute Abend bei Lucas zuhause vorbeifahren, aber er hofft, dass er ihn vorher am Telefon erreicht, aber vielleicht ist ein direktes Treffen doch am besten. So kann Lucas zumindest nicht einfach auflegen. Er dreht sein Radio lauter. Es ist wie immer eingestellt auf 93,95 Rock Antenne und er ist heute extra dankbar für den Sponsor Audi, welchen er fährt, weil der Wagen eine ordentliche Audioanlage hat und so versucht er alle Gedanken an Lucas aus seinen Kopf zu drängen, zumindest für ein paar Sekunden. Auch wenn es weh tut und er sich am liebsten in sein Bett verkrochen, die Decke über seinen Kopf gezogen hätte und erst rauskommen wäre, wenn dieser Alptraum vorbei ist, muss er versuchen sein privates Leben und sein Profi Leben zu trennen. Er kann sich nicht erlauben abgelenkt zu werden. Nicht jetzt, wo die Weltmeisterschaften und Olympia vor der Tür stehen. Er will dahin, so sehr! Dafür hat er gekämpft und selbst Lucas darf das ihm nicht nehmen. Er hat, ohne ihn zu fragen, ihre Beziehung genommen und wie es aussieht, ist sein Sport alles was er jetzt noch hat.

Zwei Stunden später sitzt er wieder in seinem Auto. Er hat sich viel zu stark ausgepowert beim Training, das weiß er. Sogar sein Trainer und seine Kollegen haben ihn erst nur beobachtet, aber als er alle Übungen in einem rasenden Tempo absolviert hat, haben sie alle zu ihm gesagt, er soll sich beruhigen. Eisei hat versucht mit ihm nach dem Training zu reden, aber Karle hat nur gesagt erhat einen wichtigen Termin und hat sich schnell in sein Auto gesetzt und sich auf den Weg gemacht. Er weiß, es war nicht der nette Weg, aber er will und kann das alles im Moment niemanden erzählen. Er hofft immer noch alles ist ein großes Missverständnis und er braucht nur mit Lucas zu reden, damit sich alles wiedereinrichten wird. Das glaubt er und an dem Gedanken hält er sich fest, wie an einem Rettungsring. Sein Verstand fängt langsam an ihm zu sagen, er sollte sich nicht zu große Hoffnungen machen, aber sein Herz kämpf hart dagegen und er wählt immer wieder Lucas Nummer, aber immer wieder wird er enttäuscht und dessen Handy ist immer noch aus. Er steuert sein Auto zu Lucas Wohnung. Seine Vernunft sagt ihm, es ist aussichtlos. Lucas ist sicher an seiner Arbeit, aber er muss es mit eigenen Augen sehen. Er klingelt und wartet, klingelt wieder aber niemand öffnet. Niedergeschlagen setzt er sich wieder in sein Auto und fährt nach Hause. Er muss einkaufen, auspacken, Wäsche machen und auch langsam wieder anfangen die Taschen für seine nächsten Reise zu packen. Aber nicht heute. Morgen hat er einen freien Tag. Er entscheidet sich schnell, dass alle Dinge auch bis morgen warten können. Heute hat er keine Lust, stattdessen sitzt er den ganzen Nachmittag auf seinem Sofa und versucht immer verzweifelter Lucas zu erreichen. Karles Mutter ruft zwischen den Versuchen an und erkundigt sich ob Karle gut nach Hause, nach Bischofshofen, gekommen ist. Er weiß nicht wie, aber er schafft es halbwegs seine Stimme normal zu halten und zum Glück stellt sie keine Fragen über Lucas. Sie geht wohl davon aus, dass er wie immer bei Karle ist und gönnt den Beiden ein paar Tage Zweisamkeit und Ruhe, weswegen das Telefonat, zu Karles Erleichterung, kurz ausfällt.

Später, als es stockdunkel ist und so spät, dass Lucas jetzt ganz sicher zuhause sein muss, rappelt er sich mühsam auf, nimmt seine Brieftasche und Autoschlüssel und macht sich auf den Weg. Sein Magen hat sich mehrmals gemeldet und fordert essen, weswegen er erst ein bisschen einkaufen gehen wird und danach bei Lucas vorbeifahren wird. Schnell erledigt er alles, aber als er bei der Straße von Lucas steht und sieht, dass in die Wohnung kein Licht brennt und niemand aufmacht, kann er nur feststellen, dass Lucas wie von Erdboden verschluckt ist oder sich zumindest gut von Karle entfernt hält. Er ist immer noch verletzt, aber so langsam wird er auch ein wenig wütend. War ihre Beziehung so wenig wert? Leider bringen nur alle Gedanken an Lucas wieder Tränen in seine Augen und er hat es gut den Tag über zurückhalten können, aber jetzt geht es nicht mehr. Langsam geht er zurück zu seinem Auto und fährt nach Hause. Immer wieder muss er sich Tränen aus den Augen wischen, damit er ordentlich die Straßen sehen kann, aber zum Glück hat er es nicht weit zu fahren. Erleichtert stellt er sein Auto ab und schließt seine Tür ab. Es wird ein langer, einsamer Abend und Nacht. Karle ist auch nicht gewöhnt die Abende und Nächte alleine zu verbringen, denn sonst war Lucas immer bei ihm oder bei Wettkämpfen und Lehrgängen hat er immer das ganze Team um sich. Wehmütig denkt er an den letzten, großen Streit mit Lucas zurück. Da hat er ihn angemacht, weil er ein Doppelbett mit Eisei geteilt hat. Aber was soll er machen, wenn die Hotels nur Doppelbett Zimmer haben? Werner sagen, dass er ein Einzelzimmer haben muss, weil sein Freund Gespenster sieht, wo es keine gibt? Karle hat erst gedacht, Lucas hat Spaß gemacht und gelacht, weil Eisei ist so Hetero, wie es nur geht und dazu ist er ganz verliebt in seine Freundin. Eigentlich sollte er lachen, weil es so unglaublich dumm ist, aber stattdessen bringt diese Erinnerung nur, dass er mehr weint. Er war, ist, so verliebt in Lucas und kann das hier nicht verstehen. Lucas hat ihn getroffen, als er Skispringer war. Warum verhält er sich plötzlich so? Karle versteht es nicht

Lebe dein Leben, nicht das der AnderenHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin