2. Denke nicht so oft an das, was dir fehlt. Sondern an das, was du hast

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 Die Tage nach der Abreise nach Kulm sind nicht erholsam für Karle. Lucas hat den schlimmsten Zeitpunkt gewählt, um Schluss zu machen oder eine Beziehungspause einzulegen oder was auch immer er gemacht hat. Doch da Karle ihn immer noch nicht erreichen konnte, fängt er so langsam an ihre Beziehung als vorbei zu sehen. Gerade zwischen der Vierschanzen-Tournee und dem Skifliegen hätte Karle dringend viel Ruhe und Entspannung nötig gehabt, statt schlafloser Nächte und Tage voll mit Stress. Er ist also nicht in seiner besten Verfassung, als er das Hotel in Kulm erreicht. Aber eine Sache freut ihn. Andreas Wank ist gut beim Continental Cup gesprungen und weil Rich sich leider in Innsbruck verletzt hat und in Kulm nicht springen kann, bekommt Wanki eine Chance wieder beim Welt Cup dabei zu sein. Karle mag Wanki, denn er ist immer für Spaß zu haben und die Tage, die er mit allen an den ersten beiden Stationen der Vierschanzen-Tournee in Oberstdorf und Garmisch war, waren echt lustig und er hatte nicht gedacht, dass sie sich so schnell schon wiedersehen würden! Karle ist für alles, was ihn ablenken kann sehr dankbar und deswegen freut er sich auf Wanki. Er kriegt sogar ein kleines Lächeln zustande, bevor er das Hotel betritt. Es erreicht zwar nicht seine Augen und auch sonst ist er relativ blass und fühlt sich schlapp, aber er versucht es nicht zu zeigen, weswegen er seine Schultern strafft, nach seinen Taschen greift und durch die Türe ins Hotel geht.

Alle sind noch nicht da, aber er findet Andi and Stephan in einer Sitzecke in der Lobby und zu seiner Erleichterung haben sie Wanki im Schlepptau. Nicht, dass er was gegen Andi und Stephan hat. Stephan ist sogar der, mit dem er die tiefste Freundschaft hat, aber gerade jetzt kann er es nicht ertragen sich alleine mit ihnen zu unterhalten, weil die Beiden das Liebespaar schlechthin sind. Auch wenn sie nicht übereinander herfallen, Gott nein, aber da sind immer diese kleinen Gesten, die er auch mit Lucas hat oder hatte, denkt er niedergeschlagen. Deswegen ist er wirklich froh, dass auch Wanki dasitzt. Er versucht wieder ein Lächeln auf seine Lippen zu zaubern, bevor er zu dem Trio hingeht, sie begrüßt und sich hinsetzt. Er gratuliert Wanki zu seinen beiden zweiten Plätzen in Bischofshofen, aber viel mehr redet er von seiner Seite aus nicht. Zum Glück war er nie der größte Redner, weswegen er hofft, dass es niemanden auffällt, dass er stiller ist als sonst. Die beiden Andis reden auch genug für alle vier und er kann deshalb ruhig daneben sitzen und einfach an den richtigen Stellen nicken und lachen. Das kriegt er hin, doch wenn jemand richtig hingucken würde, würde derjenige sehen, dass sein Lachen nie seine Augen erreicht. Karle sieht auch, dass Stephan ihn mehrmals ein bisschen beobachtet, aber nichts sagt und dafür ist Karle ihm sehr dankbar. Nachdem Eisei und Pius auch die Reise nach Kulm geschafft haben und das Hotel betreten haben, werden die Zimmerschlüssel übergeben und Karle teilt sich, wie immer, ein Zimmer mit Eisei. Andi und Stephan sind auch Zimmer Partner, aber Pius und Wanki bekommen Einzelzimmer, weil Wankis Teilnahme erst gestern Abend klar wurde und die Doppelzimmer dann schon alle belegt waren. Nicht, dass die Beiden sich beschwert hätten, denn sie sind beide happy damit. Die Gruppe macht sich vollgepackt auf in Richtung Fahrstuhl und wie immer wird diskutiert, wer als erstes in den Fahrstuhl darf. Die Fahrstühle sind zwar relativ groß, aber sechs Skispringer mit dazugehörigen Taschen passen nicht hinein. Karle hält sich fern von der Diskussion, aber Eisei versucht zu erreichen, dass sie als erstes Paar hochfahren dürfen. Doch Pius und Wanki lachen nur, sagen 'Alter vor Schönheit' und darauf hat Eisei keinen guten Konter. So sieht er sich unter Protest geschlagen, schafft es aber zu organisieren, dass die nächste Fahrt ihre ist. Andi versucht es zwar mit dem Argument, dass er als Zweiter im Weltcup auch als Zweiter den Fahrstuhl bekommen sollte, aber gegen Eisei kommt er nicht an. Normalerweise würde es Karle große Freude bereiten, sich in die Diskussionen voll einmischen, aber heute steht er nur daneben und wartet bis er dran ist. Er merkt, dass Stephan ihn wieder im Auge hat und auch Eisei ihn anguckt, aber keiner der Beiden spricht ihn an. Doch er kann sich denken, dass es später kommen wird, wenn sie auf ihren Zimmern sind. Er kann wohl nicht mehr davonlaufen. Irgendwann muss er es ihnen erzählen. Sie wissen alle von Lucas und vor allem Eisei wird merken, dass er ihn nicht anruft, was er sonst sofort macht, wenn sie in ihre Zimmer kommen. Karle versuchen sich innerlich für alle Fragen zu wappnen, die kommen werden und er hofft, dass er die Fassung behalten kann. So langsam sollte er aufhören ihm nachzutrauen, er hat es nicht verdient. Nicht nachdem er Karle so behandelt hat, aber dummerweise liebt er ihn immer noch. So schnell hört es nicht auf. Leider.

Kaum sind die Beiden in ihrem Zimmer, dreht sich Eisei schon zu Karle und fragt was los ist. Er kennt ihn eben gut. Sie haben sich schon zu Continental Cup Zeiten ein Zimmer geteilt und Eisei kann manchmal als sehr unempfindsam rüberkommen, aber er hat ein großes Herz und immer ein offenes Ohr für seine Kollegen. Karle schluckt schwer, setzt sich auf eines der beiden Betten und fängt leise an alles zu erklären. Er weint nicht, aber ein paar einzelne Tränen rollen seine Wangen runter. Als Eisei das sieht, steht er von seinem Bett auf, setzt sich neben Karle und zieht ihn in eine Umarmung. Lange sitzen die beiden Skispringer so und Eisei schimpft wütend darüber, was Lucas für ein Idiot ist und dass er so einen wundervollen Menschen wie Karle nicht verdient hat. Karle merkt, wie gut es tut, dass jemand Bescheid weiß, auch wenn es nicht einfach war, es zu erzählen. Karle fühlt sich auch dumm, dass er nicht gemerkt hat, dass seine Beziehung nicht so in Ordnung war, wie er dachte. Er hat einen Menschen so falsch eingeschätzt und dafür schämt er sich. Aber Eisei sagt ihm sofort, dass er das nicht soll! Karle hat keine Schuld an dem, was passiert ist und Eisei ist richtig sauer auf diesen Idioten. Wie kann man Karle so behandeln? So feige sein, dass er immer noch nicht erreichbar ist? Das plagt Karle am meisten und das merkt Eisei. Dass er einfach ein Stück Papier hat und keine Antwort auf seine Fragen bekommt. Er hängt irgendwie in der Luft und wird wohl nicht weiterkommen, bevor diese Ratte sich meldet und redet. Dass Beziehungen in die Brüche gehen, passiert halt, aber sowas macht man nicht. Man verschwindet nicht einfach und legt einen Brief hin. Die Beiden sitzen so an Karles Bett und Beide hängen ihren Gedanken nach. Karles drehen sich, wie fast immer in den letzten Tagen, um Lucas und Eisei versucht einen Plan hinzukriegen, wie er Karle helfen kann. Er würde auch sehr gern ein paar Wörter mit Lucas wechseln! Beide sind so tief in Gedanken, dass sie erst nicht merken, dass es an ihrer Tür klopft. Erst als das Klopfen lauter und in mehreren Schlägen erfolgt, reagiert Eisei und steht auf, um zu gucken, wer stört. Vor der Tür stehen Wanki und Pius und fragen, was sie machen, weil man ja nix hört. Sie wollen Karten spielen und fragen, ob Eisei und Karle auch mitkommen wollen. Eisei guckt Karle fragend an und Karle nickt langsam als Antwort. Ein bisschen Ablenkung tut sicher gut, denkt er.

„Wir kommen.", teilt Eisei mit, „Aber gibt uns 15 Minuten, wir haben es bis jetzt nicht geschafft auszupacken."
„Okay.", antwortet Wanki, „Wir sind nebenan bei Andi und Stephan. Kommt einfach, wenn ihr fertig seid." Weg sind die Beiden. Karle macht sich ein bisschen frisch im Badezimmer, leert seine Taschen schnell und auch Eisei schafft es schnell fertig zu werden. Zusammen machen sie sich auf den Weg ins Nachbarzimmer. Ein bisschen Ablenkung, Karten spielen, ein bisschen Spaß haben und dann hofft Karle, dass er eine ruhige Nacht bekommen kann. Er braucht dringend eine Nacht Durchschlafen, sonst wird das nix mit Skifliegen.

Tatsächlich wird es ein schöner Abend. Karle kann seine Gedanken ausschalten und das kann er vor allem dank Andi und Wanki. Die Beiden scherzen den ganzen Abend, ziehen sich gegenseitig ab und naja, Best Friends halt. Karle ist nicht ganz bei der Sache und so verliert er jede Runde. Sonst ist er gar nicht so schlecht in Schafkopf, aber heute ist der Wurm drin, was ihm nix ausmacht, nicht heute. Sonst ist er, das muss er zugeben, ein ganz schlechter Verlierer. Er hofft, dass es niemand so genau merkt. Das sollte aber gehen, weil alle viel Spaß haben und er versucht mitzumachen so gut er kann. So geht der Abend schnell vorbei und es wird Zeit für alle ins Bett zu kommen. Morgen wird ein langer Tag. Als sich alle auf den Weg machen, zieht Stephan Karle zur Seite und fragt ihn, ob alles ist okay. Ist es nicht, sagt Karle, aber es geht und er will jetzt nicht drüber reden. Stephan zeigt wie immer großen Verständnis, aber sagt ihm auch, dass er immer zu ihm kommen kann, wenn was ist, egal wann. Karle weiß es zu schätzen und umarmt Stephan dankbar, bevor er und Eisei in das Zimmer nebenan verschwinden. Sie machen sich schnell bettfertig und es wird nicht mehr geredet. Karle findet auch ganz schnell Schlaf. Es hilft ganz sicher, dass er nicht alleine ist. Dass er neben sich Eiseis leises Atmen hört und es beruhigt einfach.  

Lebe dein Leben, nicht das der AnderenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt