Kapitel 4

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Mit wachsender Bestürzung musterte ich den roten Fleck, der sich viel zu schnell auf dem weißen Hemd des Fremden mir gegenüber ausbreitete. Ich spürte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht fuhr, das war mir gerade wirklich unangenehm. Dementsprechend schnell begann ich in mein brüchiges Englisch zu verfallen, um mich möglichst höflich bei ihm zu entschuldigen. Doch als mein Blick auf sein Gesicht fiel, verstummte ich augenblicklich.

Sofort erkannte ich ihn wieder, seine schmalen, dunklen Augen, sein tiefschwarzes Haar und seine vollen, geschwungenen Lippen hatten ihn direkt entlarvt. Die Erkenntnis, dass ich gerade dem Kerl, den ich heute morgen erst am liebsten total zusammengestaucht hätte, weil er mein neues Buch versaut hatte, seinen Drink über das natürlich auch noch strahlend weiße und sicherlich ziemlich teure Hemd gekippt hatte, sorgte dafür, dass eine leichte Übelkeit in mir heranwuchs.

Wie unangenehm war das denn jetzt bitte? Gerade sein Oberteil musste ich natürlich versauen. Was würde er jetzt sagen? Würde er mich jetzt total zur Sau machen?

Schüchtern suchte ich seinen Blick und merkte schnell, dass er meine Augen bereits fixiert hatte. Wieso kam mir sein Blick gerade so intensiv vor, dass ich ihn kaum ertragen konnte? Ich wich automatisch einen kleinen Schritt zurück, bevor ich mich endlich wieder fing und mich leicht vor ihm verbeugte, um mich aufrichtig bei ihm zu entschuldigen. So unglücklich die Situation auch war, ich wollte unter keinen Umständen unhöflich sein. Ich war mir meiner Schuld nur zu bewusst. Dieser Fleck würde sich wahrscheinlich nie wieder komplett rauswaschen lassen.

Als ich meinen Körper wieder in eine aufrechte Position versetzt und meine Brille gerade gerückt hatte, da sie bei der Verbeugung leicht herabgerutscht war, musste ich feststellen, dass mein Gegenüber mich nur grinsend musterte. Meine Augenbrauen zogen sich automatisch vor Verwirrung zusammen, doch ich schob das Gefühl zur Seite und schenkte meine Aufmerksamkeit wieder dem nicht mehr ganz so fremden Koreaner vor mir.

"Ach, ist schon okay. Mach dir mal keinen Kopf um mein Hemd. Ich meine, wofür gibt es Fleckensalz?", fragte er eher rhetorisch und zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. Er setzte die beiden roten Cocktails, von denen nun nur noch einer bis oben hin gefüllt war, auf einen freien Tisch neben uns und suchte den Tisch im Anschluss daran nach Servietten ab, um seine nassen Hände zu trocknen.

Ich reagierte ausnahmsweise mal ganz rational und zog eine Packung Taschentücher aus meiner Hosentasche, um sie ihm anzubieten.

Er nahm sie dankend an und zog ein Tuch heraus, um sich damit über seine Hände zu wischen. Ich weiß nicht genau, warum es mir auffiel, doch während er die rote Flüssigkeit von seinen Händen entfernte, dachte ich mir, dass er doch außergewöhnlich kleine Hände für einen Mann hatte.

"Für's Erste sollte das reichen, vielen Dank", riss er mich aus meinem dämlichen Gedankengang raus und warf mir wieder dieses perfekte Lächeln zu. Ich erwiderte dies aus Höflichkeit und machte kehrt, um zu Jin und Taehyung zu gehen. Doch kaum hatte ich mich umgedreht, fiel mir wieder ein, warum ich überhaupt hier hinten stand. Heute war ja mein absoluter Glückstag, denn eine dichte Menschenmasse trennte mich von Jin und Taehyung. Ich wusste, dass es sinnlos wäre, sich da durch zu kämpfen, da es mich noch mehr aus meiner Komfortzone rausbringen würde, als dieser Fremde es mit seinem intensiven Blick schon schaffte. Ich hätte außerdem wenig Lust darauf, nochmal jemandem das Hemd zu versauen. Ich drehte mich also wieder zu dem Fremden, dessen Blick noch immer auf mir lag. Als er meinen leicht gequälten Gesichtsausdruck sah, entkam ihm ein helles Lachen, was in meinem Kopf noch eine Weile nachhallte.

Wie gemein, jetzt lachte er mich sogar aus. War er irgendwie sadistisch veranlagt, oder so? Ich schob automatisch meine Unterlippe vor und verschränkte meine Arme vor der Brust. Diese Geste galt nichtmal ihm im speziellen, es war viel mehr ein Automatismus, zu dem diese Situation meinen Körper zwang.

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