Kapitel 31

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Sollte ich ihm eine Chance geben?

Ich konnte zumindest nicht leugnen, dass ein Teil von mir genau das wollte und mein Herz auf seine Worte hin einen überraschten, kleinen Hüpfer gemacht hatte. Dass ich fest an seinen Oberkörper geschmiegt, die Hände auf seinem Rücken abgelegt und das Kinn auf seiner linken Schulter geparkt hier stand, machte es nicht unbedingt leichter dem Drang zu widerstehen, sich einfach wieder fallen zu lassen, sich erneut auf ihn einzulassen. Ein Teil von mir glaubte ihm, diesen Teil hatte Jimin mit den wenigen Worten von seiner Ehrlichkeit bereits überzeugen können. Dieser Teil in mir klammerte sich förmlich an diese Sätze, denn er wollte ihm glauben. Er wollte ihm eine Chance geben, ihm vertrauen und endlich damit aufhören, weiterhin Widerstand zu leisten. Denn nur so könnten Jimin und ich endlich damit aufhören, uns weiter im Kreis zu drehen. Nur so könnten wir einen Schritt vorwärts gehen.

Doch natürlich war das nicht die einzige Gefühlsregung in mir und auch, wenn seine Lippen es vor ein paar Minuten geschafft hatten, mich für wenige Augenblicke zu zerstreuen, gab es weiterhin Zweifel in mir. Dieses ganze hin und her war anstrengend. Immer wieder neue Hoffnungen zu schöpfen, um diese schon im nächsten Augenblick platzen zu sehen war für niemanden eine Wohltat. Die Tatsache, dass Jimin die Person war, die mich dazu gebracht hatte, meine Komfortzone zu verlassen, machte es nicht unbedingt besser. Denn wenn genau diese Person einen wieder dazu brachte, die Entscheidung, seinen Schutzwall niederzureißen infrage zu stellen, brachte es unweigerlich einen weiteren Stein ins Rollen, mit dem man erneut begann, wieder alles mögliche zu hinterfragen. Der rationale Teil in mir war zudem entsetzt davon, wie schnell sich mein gefühlsduseliges, verliebtes Ich offensichtlich von der Enttäuschung erholt hatte. In diesem Urlaub hatte ich mich zuweilen so lebendig wie noch nie zuvor gefühlt und zugleich hatte es in mir noch nie ein derart großes Chaos gegeben. Sollte ich mit diesem Hintergrund nicht etwas vorsichtiger sein und versuchen zu vermeiden, verletzt zu werden?

Es war ein ewiger Kampf mit mir selbst, die Situation glich einem Pendel, welches zwischen zwei Extremen hin und her schwang. Der Wunsch, mich auf ihn einzulassen und ihm eine Chance zu geben und das Bedürfnis, ihn von mir zu stoßen und diesem Drama endlich - ein für alle Mal - ein Ende zu setzen existierten nebeneinander. Mal war das eine Bedürfnis ausgeprägter, mal das andere. Wie sollte ich eine vernünftige Entscheidung treffen, mit der ich selbst zufrieden sein konnte, wenn ich mich innerlich so zerrissen fühlte?

Ich wollte ihm glauben. Ich wollte auf seine Ehrlichkeit vertrauen. Ich wollte ihm vertrauen und zugleich wollte ich nicht wieder enttäuscht werden, wollte mich nicht in das nächste Loch aus Selbstzweifeln katapultieren und meine Entscheidung nicht später bereuen. Genau da lag auch das Kernproblem des Ganzen: Wenn ich beschließen würde, mich von Jimin zu distanzieren, könnte ich es später genauso bereuen, wie wenn ich mich nun wieder auf ihn einließ. Keine der beiden Möglichkeiten erschien rundum positiv und vernünftig zu sein und je mehr ich im Laufe des Urlaubs über diese Situation nachgedacht hatte, desto offensichtlicher wurde diese Tatsache.

„Okay", kam es mir dann nach einigen Momenten der Stille über die Lippen, „in Ordnung."

Ich löste mich von ihm und schluckte den Kloß herunter, der sich in meiner Kehle gebildet hatte. Ich hatte schlussendlich eine Entscheidung getroffen, immerhin konnte ich nicht ewig schweigend vor ihm stehen und Gedanken zerpflücken. Vielleicht handelte es sich dabei um einen ganz annehmbaren Kompromiss, mit dem sowohl mein rationales als auch mein emotionales Ich sich irgendwie arrangieren konnten. Ich wollte ihm noch eine Chance geben, doch ich hatte beschlossen, dass es diesmal die letzte sein sollte.

Jimin musterte mich erwartungsvoll, abwartend, irgendwie hoffnungsvoll, ob ich der knappen Antwort noch etwas hinzufügen wollte. Es gehörte nicht gerade zu meinen herausragenden Stärken, meine Gefühle mit jemandem in verbaler Form zu teilen. Während Jimin keine Probleme damit zu haben schien, in entscheidenden Momenten die richtigen Worte zu finden, hatte das schon immer zu meinen Schwächen gehört - viel lieber versteckte ich meine wahren Gefühle hinter sarkastischen Kommentaren. Auch jetzt hatte sich ein bitterer Gedanke in mir breit gemacht, den ich allerdings nicht vorhatte, mit ihm zu teilen.

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