Unverhoffter Besuch

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Der Schlüsselmeister war aus der Küche hinaus und in den Flur getreten. Erst jetzt realisierte Edna, woher die Stimme kam.
"Worauf wartest du?", fragte der Schlüsselmeister erneut.
"Aber...ich...äh...", stammelte die mittlerweile hilflos Verwirrte.
Schlussendlich öffnete sie aber doch. Und wurde nur noch mehr verwirrt.
"Na endlich! Guten Tag, Frau...", der Mann vor dem Wohnungseingang warf einen Blick auf das Klingelschild.
"...Nowak. Ich bin ihr Vermieter. Ich bin gekommen, um mir einem Überblick über ihre Wohnsituation zu verschaffen"
Der Mann war groß, mittleren Alters und recht stabil gebaut.
"Meine Wohnsituation?" Edna hatte ihre Sprache wiedergefunden. Doch noch fiel nicht alle Anspannung von ihr ab. Es war nicht die Polizei, soweit so gut! Aber was nun?
"Jawohl. Sie sind im Mietvertrag als einzige Mieterin und somit auch als einzige Bewohnerin festgelegt. Ich möchte mich nun davon überzeugen, ob Sie sich auch dementsprechend daran halten. In der Vergangenheit hatten wir bereits einige Fälle von illegalen Untermietern, müssen Sie wissen. Man macht so seine Erfahrungen. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, mich herein zu lassen? Wie sie vielleicht bemerkt haben, bin ich etwas in Eile"
Er tippte heftig auf seine Armbanduhr, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.
Ohne zu überlegen trat Edna zur Seite.
Der Vermieter trat ein. Es war unvermeidlich, dass sein erster Blick auf den Schlüsselmeister fiel. Dieser lehnte mit verschränkten Armen am Rahmen der Küchentür und nickte dem ungebetenen Gast kurz zu.
"Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?" Der Tonfall in der Stimme des Vermiteters war schroff. Er wollte offensichtlich keine Zeit verlieren. Ob er noch andere Wohnungen überprüfen wollte?
"Ein Gast", antwortete der Schlüsselmeister. "Ich bin vorübergehend zu Besuch."
Die Selbstverständlichkeit mit der er das sagte verblüffte Edna. Ohne mit der Wimper zu zucken fuhr er fort.
"Ich bleibe nur für ein paar Tage. Ich habe vor, mich hier in der Nähe niederzulassen und suche nach einem geeigneten Objekt. Bei dieser Gelegenheit wollte ich...",
sein Blick schweifte zu Edna, "...einer alten Freundin einen Besuch abstatten"
Der Vermieter stutze einen Moment. Dann weiteten sich seine Augen und er sah mehrmals zwischen dem
Schlüsselmeister und seiner angeblichen Mieterin hin und her. Er glaubte, verstanden zu haben, was hier vor sich ging.
"Oh! Na gut... Ich... naja. Es geht mich ja eigentlich auch gar nichts an... Naja, also... dann will ich auch nicht weiter stören..." Er wandte sich zum gehen. "Ich komme auf Sie zurück, Frau Nowak!"

Damit war er verschwunden. Edna, immer noch in ihrer Schreckstrarre befindlich, schloss für einen Moment die Augen. Obwohl sie Erleichterung empfand, klopfte ihr Herz wie verrückt.
Der Schlüsselmeister hingegen beachtete sie nicht weiter. Er war längst wieder in der Küche beschäftigt.

*******

"Ihre Auflage interessiert mich nicht! Ich werde mich zu dieser Sache nicht äußern! Nicht Ihnen gegenüber und auch nicht Ihrem Kollegen, haben Sie mich verstanden?!" Ohne eine Antwort abzuwarten, knallte Dr. Marcel den Telefonhörer auf die Gabel.
Das war inzwischen der vierte Anruf dieser Art.
Sämtliche Zeitungsverlage und Radiosender wollten ein
Statement seinerseits zu den jüngsten Vorfällen in und außerhalb der Anstalt.
Neben den Anfragen der Medien kam auch der Druck aus der Bevölkerung hinzu. Die Bewohner fühlten sich nicht sicher, wenn die Irren frei draußen herum liefen. Außer
der kleinen Konrad waren noch vier weitere Insassen ausgebrochen.
Zwei von ihnen konnten bereits wieder in Gewahrsam genommen werden:
Der ehemalige Hausmeister der Anstalt wurde kurz nach seiner Flucht ganz in der Nähe der Einrichtung aufgegriffen, schien nun allerdings völlig im Eimer zu sein. Er hatte offenbar eine Art Stromschlag abbekommen und die Fähigkeiten vollständige Sätze zu bilden, verloren.
Der andere, ein dicklicher, dunkelhäutiger Junge war von selbst zurückgekehrt. Er verhielt sich nicht weiter auffällig.
Was dem Anstaltsleiter die größten Sorgen bereitete - angesehen von Edna - war, dass auch die Sicherheitszelle des Schlüsselmeisters leer vorgefunden worden war... Ordnungsgemäß aufgeschlossen.
Dieser Patient hatte zwar nie irgendwelche Schwierigkeiten gemacht, doch alle Therapeuten waren an ihm verzweifelt. Seitdem die Therapiesitzungen in der Anstalt auf ein Minimum reduziert wurden, saß er eigentlich die ganze Zeit in seiner Zelle. Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche... und das über dreizehn Jahre lang.
Trotzdem, seine Akte ließ keinen Zweifel daran, dass er gefährlich war!

I Shouldn't Be Free...Where stories live. Discover now