Wir sind ungestört

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Edna wusste nicht, wie lange sie so da stand und ihn anstarrte. Sie wurde erst aus ihrer Trance gerissen, als der Schlüsselmeister beide Hände auf ihre Schultern legte und sie beiseite schob.
"Mach mal Platz, Süße. Sonst kommst DU nicht ins Bad und ICH nicht an dir vorbei."
Edna spürte schon wieder, wie sie rot anlief.
Er machte sich lustig über sie und ihr war es peinlich.

Während das heiße Wasser die Badewanne füllte, schüttete Edna etwas ins hinein, das sie für Badezusatz hielt. Der Schaum, der sich auf der Wasseroberfläche ausbreitete, bestätigte diesen Gedanken. Der Duft von Lavendel erfüllte den Raum und Edna begann tatsächlich, sich ein wenig zu entspannen. Sie stieg aus ihren Klamotten und in die dampfende Wanne hinein. Harvey hatte sie absichtlich im Wohnzimmer gelassen. Ihrer Meinung nach, war das ein Moment, der nur ihr gehören sollte.
Doch schlagartig war es mit ihrer Entspannung vorbei, als ihr wieder einfiel, was sich vor ein paar Minuten vor der Badezimmertür abgespielt hatte.
"Oh, verdammt", raunte Edna und sank unter die Wasseroberfläche.
Sie tauchte kurz darauf wieder auf und wischte sich die nassen Haare aus der Stirn.
Sie war nervös und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
Wie hatte der Schlüsselmeister sie eben genannt?
Das heiße Wasser, aber auch der Gedanke an das Handtuch, welches das einzige war, was den Körper ihres Verbündeten bedeckt hatte, brachte Edna ins Schwitzen.
Irgendwas stimmt nicht mit ihr. Vielleicht wurde sie krank. Oder verrückt. Also noch verrückter als sie ohnehin schon war.
Aber würde das überhaupt noch einen Unterschied machen? Sie war bewiesener Weise durchgeknallt. Da spielte es doch auch keine Rolle mehr, wenn sie unangebrachte Gedanken gegenüber dem Schlüsselmeister hegte. Auch wenn er ein psychopathischer Killer war. Das war Edna schließlich auch, dachte man nur an Alfred oder Dr. Marcel - der ihren Angriff wahrscheinlich nur durch Glück, eher noch durch puren Zufall gerade so überlebt hatte.
Die verwirrte Dunkelhaarige entschloss sich dazu, das alles als neues aufregendes Abenteuer zu betrachten. Solange sie nicht gefasst und wieder eingesperrt wurde, war schließlich alles in Ordnung.
Zufrieden über ihren Entschluss griff Edna nach dem Shampoo.

Eine halbe Stunde später hatte Edna ihr Bad beendet. Sie rubbelte ihre Haare trocken und war erneut etwas frustriert, dass niemand außerhalb der Wohnung ihre wunderschöne violette Mähne zu Gesicht bekommen durfte. Doch gleich darauf fiel ihr ein, dass der Schlüsselmeister auf von ihr verlangen könnte, ihr Haar abzuschneiden. Also war es das beste, diesen Kompromiss wohlwollend weiterhin zu akzeptieren.
Die getragenen Sachen flogen in den Wäschekorb und auch Edna ging, in ein buntes Handtuch gewickelt, zurück in den Flur.

In diesem Augenblick ertönte wieder ein Klingeln an der Wohnungstür.
Bevor Edna reagieren konnte, stürmte der Schlüsselmeister an ihr vorbei in Richtung des Geräuschs.
"Unmöglich... hat dieser Mensch nichts anderes zu tun?", hörte sie ihn mürrisch brabbeln.
Er riss die Tür auf und schaute den Vermieter herausfordernd an. Er hatte wohl bereits gewusst, wer da die Klingel betätigte.
Erst jetzt realisierte Edna das fragwürdige Auftreten des Schlüsselmeisters. Er hatte sich immer noch nichts angezogen. Nur dieses eine Handtuch schlang sich nach wie vor um seine Hüften.
Das schien auch der Vermieter zu bemerken.
"Guten Tag! Ich... oh... ähm...", stammelte er.
Sein Blick schweifte von seinem halbnackten Gegenüber durch den Korridor zur ebenfalls halbnackten Edna.
Diese versteifte sich, als ihr bewusst wurde, wie die Situation auf den unerwünschten Besuch wirken musste. Und zum wiederholten Mal wurde die junge Frau knallrot im Gesicht.
Der Schlüsselmeister hingegen schien das Schauspiel zu genießen. Anzüglich lächelte er dem Mann entgegen.
"Verzeihen Sie, werter Herr. Aber wie Sie vielleicht erkennen können, sind die Dame und ich gerade etwas beschäftigt. Wenn Sie die Güte hätten, uns den restlichen Tag allein zu lassen? Gewiss können wir Ihr Anliegen auch morgen diskutieren."
Der Vermieter, nun ebenfalls stark errötet, hatte gar keine andere Möglichkeit, als die Lage natürlich vollkommen falsch zu interpretieren.  Somit stammelte er nur eine kurze Entschuldigung und verschwand so schnell wie er gekommen war.
"Na bitte."
Zufrieden schloss der Schlüsselmeister die Tür und ging langsam auf Edna zu. Diese starrte ihn an. Sie konnte sich nicht rühren.
"So, Prinzessin. Wir wären wieder ungestört."
Stocksteif beobachtete sie, wie sich der bleiche Mann ihr immer weiter näherte. Unmittelbar vor ihr blieb er stehen.
Süffisant grinsend sah er ihr in die Augen.
Edna war für einen Moment davon so gefesselt, dass sie gar nicht mitbekam, wie der Schlüsselmeister langsam nach ihrem Handtuch griff.

I Shouldn't Be Free...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt