Phel

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Sie war nicht mehr sie selbst. Die dünnen schwarzen Linie, die sich ihren Nacken hinaufwanden und in Schlangen knapp über ihrem Schlüsselbein endeten, hoben sich in ihrer düsteren Farbe von ihrem ebenmäßigen Untergrund ab. In dem matten Schein des dämmrigen Lichtes schimmerte ihre Pergament ähnliche Haut transparent und ließ sie wie Schneewittchen in ihren jüngsten Jahren wirken. Sie war abgemagert, sodass er ihre Knochen und Sehnen durch das dünne Oberteil durchschimmern sah und auch ihre eingefallenen Wangen ließen sie älter und wie eine erwachsene junge Frau wirken, obschon sie erst siebzehn war. Es versetzte ihm einen Stich im Herzen, als er sie so dasitzen sah. Wie der Dorn einer gefährlichen Dornenranke bohrte sich der Schmerz in seinen Oberkörper und hinterließ eine Wunde, die sich nicht heilen ließ, bei ihrem Anblick. Die früher trockenen Lippen, die sie sich immer unauffällig hatte befeuchten wollen, waren nun tiefrot geschminkt und ihre hellen bernsteinfarbenen Augen hatten ihren Glanz verloren und wurden stattdessen mit Eyeliner umrandet, sodass sie beinahe denen einer Katze ähnelten. Es war das Schlimmste an der ganzen Situation, dachte sich Jem. Ihre sonst fröhlichen Augen waren erloschen. Sie leuchteten nicht mehr auf, sobald sie ihn erblickte und funkelten nicht erbost, wenn er ihre verbot, mit einer Infektion schwimmen zu gehen. Sie spiegelten einfach rein gar keine Emotionen mehr wider, als sein sie von innen heraus verdorrt und tot. Jem wusste nicht genau, ob er sich nun furchtbare Sorgen machen sollte oder ob er sie schon längst aufgeben müsste. Sie war nur noch ein Schatten ihres selbst, doch war es dies wert? Ein Teil seines selbst dem Schicksal zu überlassen? Vielleicht tat er schon beides, denn in letzter Zeit wusste er nicht mehr, was genau er jetzt fühlen sollte in ihrer Anwesenheit. Trauer und Sorge zerrissen ihn förmlich und ließen sein Gesicht müde wirken. Tiefe Augenringe zeichneten sich unter seinen Augen ab und hoben seine Wangenknochen dadurch ein weiteres Stück hervor. Auf eine bizarre Art und Weise ließ in die Müdigkeit nur noch ein wenig attraktiver wirken, doch das erschien Jem im Moment nicht wichtig genug, als dass er seine Zeit dafür opfern müsste, wenn er sich doch stattdessen um das deutlich fatalere Mysterium kümmern konnte. Ihr Schicksal. Er wusste nicht, was genau ihr widerfahren war. Das wusste niemand so genau, doch schon längst hatte er Vermutungen aufgestellt, die ihn mit der Zeit nur weiter überzeugt hatten und zu dem Entschluss führten, dass sie doch schon längst verloren sein könnte. Denn er war sich sicher, dass war nicht mehr sie. Phel war nicht mehr sie selbst, denn Phel wurde gezeichnet.

Cold as the breath of deathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt