Die Sünde eines Freundes

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Syd", schrie Phel heiser und hieb mit der Faust auf die weiche Matratze ihres eigenen Bettes ein. Ihre kupfernes Haar hatte sich auf dem Kissen ausgebreitet und die Schlangen züngelten über ihre Wunden hinab zu ihrer Hand, als suchten sie den Tod. Phel erschauderte bei dem Gedanken daran, dass Syd möglicherweise etwas zugestoßen sein könnte. Viel Schlimmeres zugestoßen sein könnte. Sie wollte ihn sehen. Sie wollte ihn neben sich haben und ihn in Sicherheit wissen. Eine Woche, dass waren seine Worte zu seinem Vater gewesen. Gewiss waren schon einige Tage vergangen und er war dort draußen. Dort draußen in Schwierigkeiten, dass konnte sie förmlich spüren. „Syd" murmelte sie erneut und nun spürte sie heiße Tränen über ihr Gesicht laufen. Tränen, die in ihren Wunden brannten und den Schmerz widerspiegelten, den sie empfand. Den sie all die Jahre empfunden hatte. Er hatte sie umgebracht, er hatte ihrer Familie das Leben genommen und dennoch wollte sie ihn sehen.

Plötzlich wurde die Tür zu ihrem Zimmer aufgerissen, sodass die Scharniere protestierend quietschen und das Holz ächzte. Es war Jem, der zu ihr stürmte. Seine Haare standen wirr vom Kopf ab und sein Hemd war falsch geknöpft. Es schien, als habe er all die Nächte vor ihrem Zimmer verbracht um den Moment nicht zu verpassen, wenn sie das erste mal wieder die Augen aufschlug.

„Phel", murmelte er und drückte sie an sich „wie kannst du mir so etwas antun."Er drückte sie gegen seine Brust und fuhr mit seinen Fingern durch ihr Haar. Der Verband ihres Armes bohrte sich in seine Seite und ihre bandagierte Schulter brannte höllisch auf, doch Phel ignorierte den Schmerz. „Siebzehn Jahre Phel und du willst an einem Tag alles hinschmeißen." Er verstummte und zog sie noch enger an sich, als wolle er überprüfen, dass dies wirklich real war.

„Wie viele Tage", brachte sie mühevoll hervor und befreite sich aus seiner Umarmung „Wie viele Tage war ich weg, Jem?"

Wenn er überrascht war, dass sie sich von ihm los gemacht hatte, so ließ er sich dies nicht anmerken. Es war Jem. Gefasst und ruhig. Die Eigenschaften, die Phel an ihm geschätzt hatte.

„Sechs Tage", antwortete er und sah sie fragend an, wobei er seine Augenbraue hochgezogen hatte und seine Lippen sich zu einem zaghaften Lächeln verzogen, dass jedoch so schnell wieder verschwand wie es gekommen war, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. Die Mischung aus Furcht und Entsetzen, die ihr Gesicht älter wirken ließ.

„Bring mich hier weg", panisch blickte sie sich um und packte seinen Arm „Bring mich zu unserem Ort, Jem!" Ihre Augen waren aufgerissen und in diesem Moment wirkte sie einfach nur erschöpft, doch ihr eiserner Griff ließ nicht nach. „Bitte!" Kein Flehen in ihrer Stimme, kein unterdrückter Schmerz, als sei sie über die Nächte hinweg gefühllos geworden. Es bereitete ihm ein Stechen, sie so dasitzen zu sehen und im Grunde wusste er schon, wie er nun handeln würde.

Phel stand dort. Ihr Herzschlag ging ruhig und ihre Gedanken zogen wie ein Band vor ihrem inneren Auge vorbei. Sie hielt Jems Hand während sie nach unten in die Tiefe schaute. Fall River war eine zerklüftete Landschaft, das Herz der Klippen und Steilwände. Hier hatte Syd sie gerettet und vor dem Verbluten geschützt, hier würde nun alles zu Ende gehen und sie hatte das Gefühl, dass es richtig war. Die Gottessekte war eine Gang, eine gefürchtete, unbezwingbare Gang, durch dessen Hände sie nicht sterben würde und sie war sich sicher, ihr Vater würde sich wünschen, dass sie nun selbst in den Tod ging, als durch einen Dolch in ihren Pranken zugrunde zu gehen. Beinahe verspürte sie so etwas wie Erleichterung, als sie einen weiteren Schritt auf das Ende der Klippe zu wankte. Der Verband hatte wieder begonnen sich mit Blut vollzusaugen und es kostete sie enorme Kraft einen Fuß sicher vor der anderen zu setzen.

„Jem?", fragte sie über ihre Schulter hinweg und drückte seine Hand ein wenig stärker. Sie musste es einfach tun. Sie hatte es schon so lange tun wollen und nun würde sie es tun, auch wenn dies hieß, Jem zurücklassen zu müssen. „Bringe es für mich zu Ende!" flüsterte sie und ließ ihn los. Ihre kupfernen Haare wehten im Wind als sie sprang und die Anziehungskraft der Erde sie auffing. Die lauwarme Luft zerrte an ihrer Kleidung und ließ ihre Augen tränen. Nun würde sie sie alle wiedersehen. Mit einem lauten Krachen schlug sie auf die Erde auf. Eine Kraft, die ihren Körper vollkommen verzehrte und ihren Augen das Licht stahl. Der silberne Dolch rutschte ihr aus der Hand und landete klirrend ein paar Meter weiter unter ihr. Zischende Schlangen wanden sich um den Griff und ihr eigenes Schlüsselbein.

Cold as the breath of deathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt