Die Macht einer Waffe

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Verdutzt drehte sich Jem im Kreis. Durch die heruntergekommenen Fenster warf der Mond kegelförmige Schatten auf den Boden und ließ etwas hervorstechen, das Jem den Atem raubte. Es waren Waffen. Waffen, deren Anblick Jem eine Gänsehaut bescherte. Ein Skalpell hatte sie neben ihr Bett gelegt, eine weiteres lag zwischen den Seiten eines dicken Wälzers. Er wagte es nicht, eines der beiden zu berühren, doch konnte er sich nicht daran hindern, sie aus der Nähe zu betrachten. Sie waren wunderschön, dies musste sich Jem eingestehen, doch merkte er, wie sein Puls stieg, als er die Inschrift des Heftes sah. Es waren schlangen, die sich um den Griff wanden und deren Zungen an der Schneide leckten. Ihre leeren Hüllen schienen Jem anzustarren und sie erinnerten ihn unweigerlich Phels Schlüsselbein. Es waren die selben. Die selbe Grausamkeit, der selbe Schatten. Jem hatte schon immer Waffen gehasst. Seit dem Attentat auf Phels Familie hatte er sie aus vollstem Herzen gehasst. Es hatte sogar eine Zeit gegeben, wo er im Restaurant kein Messer angerührt hatte, aus Angst, ihm würde das Gefühl gefallen, es in der Hand zu halten. Als würden sie ihn beeinflussen. Phel war zehn gewesen, als es passiert war und er nur knapp einen Monat älter. Sie waren jung, sehr jung und doch konnten sie sich an alles erinnern, konnte er sich an alles erinnern. An jedes bittere Detail und die Waffen, die sie in der Hand gehalten hatte. Sie hatte sich selbst verletzt. Sie hatte etliches ausprobiert, etliche Instrumente, die ihre Tante als Arzt bei sich trug, hatte sie in der Hand gehalten, doch diese waren anders. Sie trugen das Emblem. Das Zeichen der Gottessekte. Die sich windenden Schlangen kannte jeder und Jem war fassungslos gewesen, als er diese auf dem Schlüsselbein und Nacken seiner Freundin gesehen hatte. Doch sie meinte, es ginge um viel mehr, als nur ein Mitglied zu sein. Sie wolle sich rächen. Rächen an ihren ärgsten Feinden. Er konnte sich noch an den Klang ihrer Stimme erinnern, sie hatte nachdenklich geklungen. Nachdenklich und traurig und nie hatte er verstanden, weswegen. Er hatte sie nicht ernst genommen, denn nach all den Jahren hatte er sich klar machen müssen, dass jeder vom Schicksal gezeichnet wurde und so auch sie. Das der Mord an ihren Eltern und an ihrem jüngeren Bruder sie beeinflusst hatte und auch die Psychologen hatten Verständnis für ihre zahlreichen Aussetzer und Ausraster. Niemand konnte normal sein, wenn seine komplette Familie ausgelöscht wurde und so hatte er es akzeptiert. Jem hatte es für eine zugegeben außergewöhnliche Phase gehalten, die bald vorüber gehen würde. Doch als er nun diese Mordinstrumente betrachte, wurde ihm vollkommen kalt ums Herz. Sie musste es ernst gemeint haben. Sie wollte sich an den Mördern rächen. All ihre Pläne, die sie ihm erzählt hat, all dies war ernst gemeint und er hatte es ignoriert. Es sollte diese Nacht geschehen, diese Nacht hatte sie es vollbringen wollen. Das hatte sie ihm gesagt und er hatte keinen blassen Schimmer gehabt. Ihre Worte waren, so wie für jeden anderen auch, auch für ihn schleierhaft gewesen. Vor Panik setzte sein Herzschlag für einen kurzen Moment aus und er schnappte entsetzt nach Luft. Sie war in Gefahr, dass konnte er förmlich spüren.

Cold as the breath of deathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt